|
|
Der Bundeskanzler war „not amused“: Seit einem halben Jahr war er nun schon im Amt, durfte trotz eingeschränkter Souveränität des noch jungen Staates an mancherlei eindrucksvollem Staats- und sonstigem Akt teilnehmen – und musste sich bei solchen Anlässen höchst unpassendes karnevalistisches Liedgut anhören. Konrad Adenauers Bundesrepublik mangelte es nämlich an einer eigenen Hymne. Durfte Schillers „Freude, schöner Götterfunken“ nach Beethovens Noten noch als würdiger Hymnenersatz gelten, so sträubten sich nicht nur dem Gründungskanzler die Nackenhaare, als US-Musiker ihn mit „Heidewitzka, Herr Kapitän“ begrüßten (unpassend nicht nur, weil Adenauer für die tägliche Heimfahrt nach Rhöndorf nicht das besungene „Müllemer Böötche“, sondern die Rheinfähre Godesberg-Niederdollendorf nutzte). Als dann die Besucher eines deutsch-belgischen Fußballspiels (kein offizielles Länderspiel; das erste nach dem Krieg fand erst am 22. November 1950 statt, Gegner war die Schweiz) mit „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ beglückt wurden, reichte es dem Regierungschef des Staates, der aus „Trizonesien“, also den drei westlichen Besatzungszonen, hervorgegangen war: Eine Hymne musste her, und für Adenauer konnte das nur Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen“ zur Musik von Haydn sein. Die Sache hatte einen Haken. Zuständig für Staatssymbole aller Art war nicht der Kanzler, sondern der Präsident. Und Theodor Heuss lehnte das „Lied der Deutschen“ strikt ab; sein Kriterium war offensichtlich die gezielte Falschinterpretation der ersten Strophe durch die Nationalsozialisten. Er hatte sogar eine Neudichtung in Auftrag gegeben, doch fand die von Hermann Reutter vertonte Hymne des Bremer Kirchenlieddichters Rudolf Alexander Schröder keinen Anklang. Die Hinhaltetaktik des schwäbischen Schöngeistes ließ die rheinische Frohnatur Adenauer auf eine List verfallen. Am 18. April 1950 hatte er seinen ersten offiziellen Besuch in Berlin zu absolvieren, mit einer großen Kundgebung im Titania-Palast. Der Kanzler ließ Zettel mit dem Text der dritten Strophe des Deutschlandlieds auslegen und rief zum Schluss der Veranstaltung die Teilnehmer zum Singen auf. Die meisten erhoben sich von den Plätzen und stimmten „Einigkeit und Recht und Freiheit“ an, manche allerdings auch „Deutschland, Deutschland über alles“. Die drei westalliierten Stadtkommandanten aber blieben demonstrativ sitzen, verfolgten schweigend den Gesang und leiteten massive diplomatische Aktivitäten gegen Adenauers „Handstreich“ ein. Der aber verstand es, sich nicht nur gegen Bedenkenträger aus London, Paris und der Berliner SPD durchzusetzen, sondern auch gegenüber Heuss. Zwei Jahre nach diesem denkwürdigen 18. April 1950 gab der Präsident seinen Widerstand endgültig auf. In Form eines im amtlichen Bulletin veröffentlichten Briefwechsels zwischen Adenauer und Heuss wurde das „Lied der Deutschen“ offiziell zur Nationalhymne erklärt – mit dem vom Kanzler angeregten Zusatz „Bei staatlichen Anlässen soll die dritte Strophe gesungen werden“.
Vereinzelt wird in Deutschland behauptet, manchmal sogar von Seiten der Deutschen Polizei, dass das Absingen aller drei Strophen des Deutschlandliedes verboten sei, weil es gegen des § 86a des StGB verstoße. Das Amtgericht Lüneburg stellte dazu in einem Urteil (Az. NZS 15 Gs 419/03) unter anderem fest: "Das 'Lied der Deutschen' stellt kein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation dar, sondern ist die deutsche Nationalhymne, d.h. nationales Symbol, welches explizit in § 90a Abs. 1 Ziff. 2 StGB unter den Schutz vor Verunglimpfung gestellt wird. Auch der Text der 1. Strophe unterfällt nicht der Vorschrift des § 86a StGB." Es sei anerkannt, so das Gericht weiter, dass bei öffentlichen Anlässen lediglich die dritte Strophe des Deutschlandliedes gesungen werden soll. "Damit ist jedoch in keinem Fall der übrige Teil des Textes der Hymne als verboten anzusehen oder gar als Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation einzuordnen. (...) Das Gericht zeigt sich zugegebenermaßen überrascht, dass nach Einschätzung der Polizei in Deutschland das Absingen der eigenen Nationalhymne offenkundig als Verwirklichung eines Straftatbestandes angesehen wird ..." Es ist also NICHT verboten alle drei Strophen mitzusingen.
Diese Netzseiten sind optimiert
für 1024x768 oder höher und 24 Bit Farbtiefe sowie MS-Internet Explorer 11.x oder höher. |
|