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Gedanken zur Zeit In ihrem soeben veröffentlichten Erinnerungsbuch "Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Meine Erfahrungen in der Politik" hat Rita Süssmuth, Vorgängerin des jetzigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, über ein Ereignis berichtet, das in die Rubrik des vorauseilenden Gehorsams eingereiht zu werden verdient. Es war im Mai 1990, als eine polnische Delegation in Berlin während der Gespräche über die Zwei-plus-vier-Verhandlungen erwartet wurde. Da hingen aber, nach der Memoirenschreiberin Überzeugung "leider immer noch", neben den Fahnen aller Bundesländer auch "die der ehemaligen deutschen Ostgebiete". Es mußte also etwas geschehen, denn den polnischen Delegierten war der Blick auf gerade diese Flaggen natürlich "nicht zuzumuten". Zumal "die Oder-Neiße-Grenze anerkannt war", was übrigens schon vom Zeitpunkt her überhaupt nicht stimmt, aber die seinerzeitige Präsidentin des Deutschen Bundestages vertrat und verfocht offenbar schon vor der offiziellen Anerkennung diesen Standpunkt. Und Rita Süssmuth ahnte es, sich der "political correctness" unterwerfend: "Ein kleiner Skandal könnte das schon werden, wenn die Gäste diese Fahnenparade sähen. Diplomatisch gesehen wäre es gewiß ein größerer Fauxpas." Frau Prof. Süssmuth nennt es eine "hausfrauliche List", um zu erklären, warum sie so handelte, wie sie gehandelt hat. "Waren die Fahnen nicht stark verschmutzt? Es schien mir fast so, bei näherem Hinsehen. Also – in die Reinigung mit ihnen." Und so geschah es auch, die Fahnen der deutschen Ostgebiete verschwanden auf Anordnung der Bundestagspräsidentin aus dem Ostflügel des deutschen Reichstages. Und das auch gleich auf Nimmerwiedersehen. Im Bericht der Memoirenschreiberin heißt es dazu weiter: "Die Fahnen wanderten nach einigen Wochen – Fahnen reinigen, das dauert eine Weile – von der chemischen Reinigung aus an einen anderen Ort. Sie fanden auf meine Anweisung hin, gebündelt in einem großen Ständer, einen schönen Platz in der historischen Ausstellung des Reichstages." Man spürt ordentlich den Stolz der Bundestagspräsidentin des Jahres 1990 über ihre angebliche politische Weitsicht, ihr entschlossenes Handeln, ihre voreilige Zuvorkommenheit, ihren hausfraulichen Trick und die mit Ironie und Zynismus vollzogene Tat der Einsargung der heimatlichen Fahnen der aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen. Offenbar war es zunächst doch aufgefallen, daß die Fahnen der ostdeutschen Gebiete abgehängt und verschwunden waren. Es wird nämlich von einem "Fraktionsessen am Abend", als die polnischen Delegierten in Berlin waren, berichtet: "Jemand fragte, wo denn die Fahnen seien? Die müssen wieder her!" Man müßte sich nachträglich bei dem nicht genannten Frager für sein energisches Nachstoßen bedanken! In Süssmuths Memoirentext heißt es nur: "Wahrheitsgemäß antwortete ich dem enttäuschten Kollegen, sie befänden sich in der Reinigung." Aber wenige Zeilen später erfahren wir, daß die gleichfalls von der Bundestagspräsidentin angeordnete Versenkung der Fahnen als Museumsexponat niemand mehr überhaupt registriert hat, denn Rita Süssmuth berichtet, daß das endgültige Schicksal dieser Fahnen "im Eifer der Ereignisse offenbar keine bemerkte". Damit enden die Erzählungen der CDU-Politikerin zu diesem Punkt. Es ist eine bittere, eine empörende Geschichte unserer jüngsten Vergangenheit. Und diese Episode der beabsichtigten Selbstverleugnung unserer Nationalgeschichte ist nur deswegen ans Tageslicht gelangt, weil die Urheberin der eigenwilligen und selbstgerechten Aktion selber den Scheinwerfer zum Beweis ihrer vorgeblichen Tüchtigkeit und Weisheit darauf richtet. Das einzig Gute an dieser Tat der einstigen Bundestagspräsidentin: Wir wissen nunmehr Bescheid.
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