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Steinbach: In Ruhe fundiertes Konzept erarbeiten |
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Präsidentin des Vertriebenenbundes relativiert Streit um Stiftungsbeirat |
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Erika
Steinbach im Gespräch mit Britta Bürger
Die Austritte von drei Beiratsmitgliedern der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sieht die Präsidentin des Bundes der
Vertriebenen gelassen. Es gebe für diese Entscheidungen auch sehr persönliche
Gründe, sagt Erika Steinbach.
Britta Bürger:
Lange galt die Publizistin Helga Hirsch als treue Verbündete von Erika
Steinbach, doch nun zieht sie sich zurück aus dem wissenschaftlichen Beirat der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Sie ist damit schon die dritte von
derzeit neun wissenschaftlichen Beraterinnen und Beratern, die aus dem Projekt
aussteigen, bevor der Öffentlichkeit überhaupt klar ist, wie die künftige Arbeit
der Stiftung und die geplante Ausstellung zu Vertreibungen in Europa eigentlich
aussehen soll. Bevor wir mit Erika Steinbach, der Präsidentin des Bundes der
Vertriebenen über dieses aktuelle Debakel sprechen, hören wir,
wie Helga Hirsch gestern bei uns im Radiofeuilleton ihren Rücktritt
erläutert hat.
Helga Hirsch:
"Ich
bin sehr enttäuscht, was mit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im
letzten halben Jahr, also im Zeitraum ihrer Existenz passiert ist, und ich sehe
in der augenblicklichen Konstellation keinen Ausweg daraus. Und dann habe ich
für mich beschlossen, ich denke, es ist notwendig, dass eine Art von Neubeginn
gemacht wird. Ich möchte das nicht mehr gerne decken, was sich jetzt noch
weiterentwickeln könnte, hindümpeln könnte, und hoffe, ein Zeichen gesetzt zu
haben."/
Bürger: Helga Hirsch zu ihrem Austritt aus
dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Am
Telefon begrüße ich jetzt Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der
Vertriebenen und jahrelange Vorkämpferin des Projekts. Guten Tag, Frau
Steinbach!
Erika Steinbach: Einen schönen guten Tag,
Frau Bürger!
Bürger: Verstehen Sie die Enttäuschung von
Helga Hirsch?
Steinbach: Also die Situation, die sich ja
in den letzten Wochen dargestellt hat mit dem Rücktritt erst eines polnischen
Mitglieds des wissenschaftlichen Beirats, dann der tschechischen Historikerin
und nun von Helga Hirsch, das hat jeweils auch sehr persönliche Gründe, wie mir
bekannt ist. Und bei Helga Hirsch spricht eines deutlich daraus: Sie hat nun
über viele Jahre sehr engagiert für eine Einrichtung in Berlin gekämpft, das
haben wir gemeinsam getan. Sie hat es nicht nur engagiert, sondern auch mutig
getan. Sie hat in Polen dafür geworben, hat dafür viele persönliche
Freundschaften in Polen auch sehr aufs Spiel gesetzt, und sie möchte, dass es
schnell vorangeht.
Ich glaube, bei allen dreien muss man ganz unterschiedliche Ansätze sehen. Bei
Helga Hirsch ist es die Enttäuschung, dass es nicht schnell genug vorangeht.
Allerdings wird verkannt, der wissenschaftliche Beirat ist kein
Entscheidungsgremium, sondern der Beirat hat dann seine Aufgabe, wenn die ganze
Konzeption vorgestellt wird, dann kann der wissenschaftliche Beirat Rat geben.
Die Entscheidungen fallen im Stiftungsrat und nicht im wissenschaftlichen
Beirat.
Bürger: Aber auch die, die Entscheidungen
fällen müssten, werden scharf kritisiert. Helga Hirsch hat zum Beispiel gesagt,
dass es nach einem halben Jahr Arbeit des Beirats noch immer kein inhaltliches
Programm gebe, kein wissenschaftliches Konzept. Dafür macht sie vehement den
Stiftungsdirektor, Manfred Kittel, verantwortlich. Auch das hören wir uns kurz
an:
Hirsch:
"Ich
denke, jeder Direktor dieser Stiftung wird es sehr, sehr schwer haben. Umso mehr
ist es erforderlich, dass dieser Mensch nicht nur ein guter Wissenschaftler ist,
sondern dass er auch wirklich ausgewiesen ist und standhalten kann, wenn der
Wind ihm entgegenweht. Und ich denke, dass Professor Kittel sich vielleicht
nicht bewusst gemacht hat - er kommt ja auch aus München, hat vielleicht nicht
mitbekommen -, wie scharf es manchmal hier wirklich in Berlin zuging. Ich sehe,
er ist augenblicklich einfach überfordert. Das heißt, statt auch in die
Offensive zu gehen oder Dinge zurechtzurücken, weicht er in der Regel zurück,
das ist das eine, sodass wir jetzt nach einem halben Jahr schon Existenz von
Stiftung weder irgendwelche Grundlagen haben, wie diese zukünftige
Dauerausstellung aussehen soll, noch irgendein Programm für Veranstaltungen
dieses Jahres. Das heißt, wir existieren faktisch nicht in der Öffentlichkeit."/
Bürger: Das ist doch das eigentliche
Problem, Frau Steinbach, dass die Öffentlichkeit zwar bislang mit
Personalquerelen auf Trab gehalten wurde, sich aber, was die inhaltliche
Ausrichtung angeht, nach wie vor fragt, was will diese Stiftung eigentlich
genau. Hat Herr Kittel hier nicht tatsächlich das Wichtigste aus dem Blick
verloren?
Steinbach: Die inhaltliche Ausrichtung ist
im Gesetz festgeschrieben, und das sagt, Kern dieser Einrichtung wird das
Schicksal der deutschen Vertriebenen sein, im historischen Kontext soll auch
Anteil genommen werden an den Schicksalen anderer Vertriebener, das ist ganz
deutlich geäußert.
Das Problem für diese Stiftung liegt unter anderem auch darin, dass das
verfügbare Gebäude mindestens noch mindestens drei Jahre braucht, bis es
überhaupt genutzt werden kann. Das heißt, es muss grundsaniert werden, es wird
einen Architektenwettbewerb geben, und deshalb ist überhaupt für mich nicht
verständlich, dass aus dem wissenschaftlichen Beirat heraus man kaum erwarten
kann, wie das Haus gefüllt wird. Es wird Jahre dauern, bis dort eine
Dauerausstellung zu sehen sein wird. Deshalb kann sich der Direktor auch die
Zeit und die Ruhe lassen, um eine Konzeption in aller Fundiertheit zu
erarbeiten. Diese Konzeption wird dann erst einmal im Stiftungsrat, dem
Entscheidungsgremium, beraten, und danach ist erst der wissenschaftliche Beirat
überhaupt gefragt.
Aber ich kann mir vorstellen, dass bei Helga Hirsch, die nun sehr engagiert ist
- und das ist eine ihrer großen Stärken und da war sie eine große Stütze in den
vergangenen Jahren -, dass da natürlich auch ein Stück Ungeduld vorhanden ist.
Sie möchte gerne sehen, dass es ganz schnell vorangeht. Aber alle müssen sich
gedulden, das Gebäude wird noch lange nicht in einem Zustand sein, dass man
überhaupt eine Ausstellung zeigen kann. Es muss wirklich grundsaniert werden.
Bürger: Aber die Ungeduld, die bezieht
sich ja auch auf andere Beispiele. Raphael Groß zum Beispiel, der Direktor des
Jüdischen Museums in Frankfurt, auch Mitglied des Beirats, kritisiert heute in
der "Süddeutschen Zeitung", dass es inhaltlich noch keinerlei Konsens über die
Ausrichtung der Stiftung gebe, selbst wenn der Ansatz, wie Sie es eben
geschildert haben, im Gesetz niedergeschrieben ist. Raphael Groß fragt noch
immer, in welchem Verhältnis die Begriffe Vertreibung, Versöhnung und
Vernichtung zueinander stehen. Warum drängt denn Manfred Kittel hier nicht auf
eine deutliche Klarstellung, das ist doch wichtig für die Öffentlichkeit?
Steinbach: Ja, warum soll er auf eine
Klarstellung drängen? Das Thema ist, es ist deutlich positioniert. Es ist ein
Haus, in dem das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen als Kernthema
dargestellt werden soll, und alles andere muss darum sich herumranken. Es ist
eine Einrichtung, die sich mit einem wesentlichen elementaren Teil deutscher
Geschichte und deutscher Schicksale beschäftigt, jede dritte Familie in
Deutschland ist davon betroffen. Wie man es einbettet in die anderen Dinge, dazu
gibt es, ich sag mal so, im Moment keinen Beratungsbedarf im wissenschaftlichen
Beirat. Der wissenschaftliche Beirat hat vielleicht einmal zu viel getagt, das
muss ich in aller Offenheit sagen. Wenn man noch nichts zu beraten hat, dann ist
auch jede Tagung überflüssig.
Bürger: War der Beirat möglicherweise
bislang falsch besetzt?
Steinbach: An der Besetzung dieses Beirats
haben alle Beteiligten im Stiftungsrat mitgewirkt, einschließlich der jetzigen
Kritiker, wie Frau Schwall-Düren zum Beispiel. Die Mitglieder des
wissenschaftlichen Beirats sind von allen Beteiligten des Stiftungsrates dorthin
entsandt worden. Und es ist ja auch eine breite Palette in diesem Beirat
vorhanden. Es war ein polnischer Historiker, eine tschechische Historikerin, ein
ungarischer Historiker - über den sich übrigens die tschechische Historikerin
geärgert hat, das war im Grunde genommen ihr Austrittsgrund. Und dann sind eine
Vielzahl anderer Historiker, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen, auch
sogar unterschiedliche Parteizugehörigkeit - soweit das dabei überhaupt eine
Rolle spielen sollte, ich bin der Meinung, es soll keine Rolle spielen -, also
ist sehr vielfältig besetzt, und dazu haben alle im Stiftungsrat ihre Hand
gehoben.
Bürger:
Manfred Kittel hat sich hier bei uns im Programm auch selbst gegen Helga
Hirschs Vorwürfe verteidigt, hören wir auch ihn dazu:
Manfred Kittel:
"Angesichts dieser Bemerkung sei mir vielleicht doch der Hinweis erlaubt, dass
in dieser Forderung nach sozusagen souveräner Exekutive, wie sie es auch mal
genannt hat, nicht zuletzt die Enttäuschung darüber mitschwingt, dass der
Direktor keine Alleingänge gegen den Stiftungsrat und seinen Vorsitzenden
unternimmt, aber ich kann nur unterstreichen, das wird der Direktor auch
weiterhin nicht tun. Man muss, auch wenn das manchmal ganz mühsam ist, sich
bemühen, gerade in dieser schwierigen Anfangsphase, mit den Gremien in enger
Abstimmung vorzugehen. Und ich glaube, angesichts der Brisanz, die das Ganze
politisch hatte, in gewisser Weise ja immer noch hat, ist es unrealistisch zu
meinen, man könnte da sozusagen mit wesentlichen Eckpunkten der Konzeption die
schon öffentlich diskutieren als schöne Idee, die der Direktor an einem
Sonntagmorgen entwickelt. So funktioniert das nicht!"
Bürger: Manfred Kittel sieht da also
offenbar noch längeren Abstimmungsbedarf in den Gremien, bevor man mit einem
Konzept an die Öffentlichkeit gehen könne. Was ist denn Ihrer Ansicht nach, Frau
Steinbach, dann der richtige Zeitpunkt?
Steinbach: Ich bin davon überzeugt, dass
es nötig ist, jetzt abzuwarten, bis das Gesetz auf neue Füße gestellt wird. Und
es hat ja eine Vereinbarung gegeben zwischen dem Bund der Vertriebenen und den
Regierungsfraktionen, dass der Stiftungsrat erweitert wird, dass die Fläche des
Gebäudes für die Ausstellung um 50 Prozent erweitert wird und wenn in dem
Zusammenhang am Ende auch der wissenschaftliche Beirat noch etwas vergrößert
wird. Und dann glaube ich, dass man insofern dann auch einen Neuanfang hat, weil
die Zusammensetzung sich etwas anders darstellt.
Worüber man sich sicherlich Gedanken machen sollte, und das hat Herr Szarota bei
seinem Rücktritt unter anderem als Grund angeführt, der sagte: Also er sieht
sich nicht imstande, die innerdeutschen Debatten für sich auszufechten. Und da,
glaube ich schon, ist mehr als ein Funken Wahrheit dran.
Wir können doch deutlich erkennen, dass die Debatte, wie gehen wir mit dem Thema
Vertreibung von 15 Millionen Deutschen hier im Lande selber um, als Deutsche,
die ist noch längst nicht ausgestanden. Ich bin sehr erfreut, dass diese
Debatten jetzt geführt werden, und das ist auch wieder eine Gelegenheit, solche
Debatten zu führen, aber ich bin auch davon überzeugt, wir überfordern jeden
ausländischen Historiker, der da hineingeworfen wird, am Ende verlangt die eine
Seite oder die andere Seite von ihm, Position zu beziehen, das bringt die
Menschen in große Schwierigkeiten ...
Bürger: Ist das ein ...
Steinbach: ... zum Teil in Schwierigkeiten
auch in ihren eigenen Ländern. Ich kann es Ihnen an einem Beispiel sagen: Mit
unserer eigenen Stiftung des Bundes der Vertriebenen, nämlich dem Zentrum gegen
Vertreibungen, hatten wir zu Beginn einen sehr guten polnischen Historiker
dabei, der das mit Feuereifer gemacht hat und nach einem Jahr einen traurigen
Brief geschrieben hat: Leider sieht er sich nicht mehr in der Lage, weil er
sonst Gefahr läuft, seine Stelle in Polen zu verlieren.
Bürger: Frau Steinbach, ist das ein
Plädoyer für weniger oder für mehr ausländische Berater?
Steinbach: Man muss sich darüber Gedanken
machen und man sollte auch einfach mal in Ruhe mit den Persönlichkeiten darüber
sprechen. Weil ich glaube, das dürfen wir auch anderen Menschen nicht antun, sie
in eine Situation zu bringen, die für sie vielleicht möglicherweise sogar
existenzielle Probleme hat. Für Herrn Szarota nicht, er ist aufgrund seines
Lebensalters von existenziellen Fragen sicherlich nicht betroffen, aber man muss
sich ja in dem eigenen Heimatland immer rechtfertigen. Und wie hoch die Debatten
gehen, das hat nun jeder verfolgen können hier in Deutschland, was sich in Polen
allein mit dem Thema und der Vokabel Vertreibung tut.
Bürger: Sie wollen das Thema jetzt aber nicht
rein innerdeutsch behandeln?
Steinbach: Nein, ich sage nicht innerdeutsch,
sondern die deutschen Heimatvertriebenen stammen ja aus ganz Mittelost-,
Südosteuropa, deshalb haben wir auch in unserer eigenen Stiftung Historiker aus
anderen Ländern. Aber man muss wissen, dass man diesen Menschen unter Umständen
viel zumutet.
Bürger: Die Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung verliert mehr und mehr Rückhalt bei ihren wissenschaftlichen
Beratern. Es hagelt Kritik, selbst Rücktrittsforderungen an den
Stiftungsdirektor werden laut. Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der
Vertriebenen, stellt sich weiter hinter die Stiftung und ihren Präsidenten. Frau
Steinbach, vielen Dank für das Gespräch!
Steinbach: Ich danke Ihnen auch, Frau
Bürger, schönen Tag!
Sie können das vollständige Gespräch als MP3-Audio nachhören.
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