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Drei Historiker in schwieriger Mission:
Michael Dorrmann, Andreas Kossert und Manfred Kittel. |
Rothäute an Neumanns Lagerfeuer
Schleppende Fortschritte beim Vertriebenenzentrum in Berlin –
Salomon Korn spricht Klartext
von Konrad Badenheuer
Der Verzicht Erika Steinbachs auf die Berufung in
den Stiftungsrat des Vertriebenenzentrums in Berlin hat nicht ausgereicht, um
die politischen Gegner des Projekts zu befriedigen. Sie versuchen offenbar
weiterhin, das ganze Vorhaben zu Fall zu bringen und die Erinnerung an die
Vertreibung aus dem politischen Diskurs der Bundesrepublik auszulöschen.
Zu Beginn dieser Woche hat unter Leitung von Kulturstaatsminister Bernd Neumann
der Rat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ getagt. Ohne die
Urheberin des ganzen Projektes, Erika Steinbach, die nach kombiniertem
politischem Druck aus dem In- und Ausland auf eine Mitgliedschaft verzichtet
hat. Das Treffen stand unter schwierigen Vorzeichen: Innerhalb weniger Tage
haben zwei Mitglieder des Wissenschaftlichen Beraterkreises der Stiftung sich
zurückgezogen, überwiegend mit der eher nebulösen Begründung, die
Stiftungsarbeit sei zu sehr politisiert, so die Historikerinnen Kristina
Kaiserovà und Helga Hirsch. Die Gruppe der Vertriebenen in der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion nannte diesen Rückzug ebenso „unverständlich“ wie die
jüngste Kritik an der Stiftung seitens der SPD: „So werfen Wolfgang Thierse und
Angelica Schwall-Düren ausgerechnet der Bundesregierung die ,einseitige
Besetzung‘ der Stiftungsgremien vor, obwohl gerade Frau Schwall-Düren als
bisheriges Stiftungsratsmitglied über die Berufung der Vertreter des
Wissenschaftlichen Beraterkreises mitentschieden hat.“
In das Dickicht der taktischen Winkelzüge und
Finten um die Stiftung hat der Vertreter des Zentralrats der Juden in
Deutschland im Stiftungsrat, Salomon Korn, eine Schneise der Klarheit
geschlagen. Er forderte die Neuausrichtung der Stiftung. Wenn dort das Thema
Vertreibung „nicht im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und dem
nationalsozialitischen Menschheitsverbrechen“ dargestellt werde und zudem die
NS-Vergangenheit früherer (meist in den 1950er Jahren aktiver) BdV-Funktionäre
aufgeklärt werde, werde er sein Amt als Mitglied des Stiftungsrates ruhen lassen
und eventuell der Zentralrat als Ganzer das Gremium verlassen. „Wir werden keine
Alibifunktion ausüben“, erinnerte Korn an das legitimierende Potenzial der
Mitwirkung des Zentralrates, ließ aber keinerlei Kenntnisse beispielsweise am
Umgang Polens und der Tschechoslowakei mit jüdischem Eigentum und jüdischen
kulturellen Hinterlassenschaften in den ehemals deutschen Gebieten erkennen.
Und doch hat Korn mit seiner Wortmeldung im
Unterschied zu den drei bisherigen Mitgliedern im Beraterkreis Tomasz Szarota,
Kristin Kaiserovà und Helga Hirsch zumindest nicht um den heißen Brei geredet,
sondern den Grundsatzkonflikt klargemacht, mit dem das geplante Zentrum schon
2005 zum Projekt der Großen Koalition wurde: Während im politischen Berlin
Einigkeit darüber besteht, dass das allgemeine Völkerrecht für die deutschen
Vertriebenen nicht zu gelten hat, dass die an ihnen verübten Morde straflos
bleiben und sie selbstverständlich keinerlei Wiedergutmachung erhalten sollen,
besteht Dissens über den Sinn der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“.
Die meisten Unionspolitiker wünschen sich einen Ort der zumindest moralischen
Genugtuung für die Vertriebenen; Politiker von SPD und Grünen hingegen, aber
eben auch Salomon Korn wollen das geplante Zentrum hingegen sogar gegen die
Vertriebenen selbst ausrichten.
Treffend hat dies vor wenigen Tagen „FAZ“-Herausgeber
Bertolt Kohler formuliert: „Die Stiftung ... ist sowohl das Kind des
Bestrebens, eine nationale Erinnerungsstätte an die Vertreibung zu schaffen, wie
auch des Versuchs, eine solche zu verhindern. Treibende Kraft hinter Ersterem
war Erika Steinbach.“ Die stellvertretende Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion, Angelika Schwall-Düren, hat diese Sichtweise vor wenigen
Tagen im Kern bestätigt. Sie wurde aus Warschau (!) mit den Worten zitiert, nach
Erika Steinbach selbst müsse nun auch noch ihr böser Geist aus der Stiftung
verjagt werden.
Mit schwarzem Humor und Sarkasmus verglich
Bertolt Kohler in der „FAZ“ die Stiftung mit einem Indianerreservat. „Dort darf,
wie auch schon im deutsch-tschechischen Gesprächsforum, eine Handvoll
Eingeborener unter Aufsicht vieler weißer und natürlich weiser Brüder darüber
palavern, ob und wie der Indianerkriege zu gedenken sei − in den Grenzen, die
der derzeit ziemlich kleinmütige Große Geist der Versöhnung zieht. Den Rothäuten
war es nicht einmal erlaubt, selbst zu bestimmen, wen sie an Neumanns Lagerfeuer
schicken. Denn als das ganze Projekt nicht mehr zu verhindern war, musste als
sichtbares Zeichen an Polen wenigstens Erika Steinbachs Kopf fallen. An dieser
Enthauptung beteiligte sich sogar noch der deutsche Außenminister.“
Dies war die Ausgangslage, unter der sich zu
Wochenbeginn der Stiftungsrat traf, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Natürlich kam wenig heraus. Immerhin sollen die Gremien „neu formiert“ und die
„inhaltliche Arbeit fortgesetzt und konkretisiert“ werden. Dazu hat der Rat den
Direktor der Stiftung, Prof. Manfred Kittel, gebeten, bis zum Herbst Eckpunkte
für die Konzeption der geplanten Dauerausstellung vorzulegen. Außerdem wurde
neben Kittel und Andreas Kossert, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der
Stiftung, Michael Dorrmann als Kurator der Stiftung neu bestellt. Zitat: „Damit
stehen der Stiftung auch die personellen Ressourcen bereit, um die vor ihr
liegende inhaltliche und gestalterische Auseinandersetzung mit ihrem schwierigen
Thema leisten zu können. Außerdem soll die Grundsanierung des Deutschlandhauses
vorangetrieben werden. Wichtig schließlich die geplante Änderung des
Stiftungsgesetzes. Dessen Novelle sei „eingeleitet“, um beispielsweise die
beschlossene Vergrößerung des Stiftungsrates umzusetzen, und solle noch bis zur
Sommerpause abgeschlossen werden.
Bleibt die Frage, wer der neue Kurator ist und ob
er das ganze, im Grundansatz mehrdeutige Zentrumsprojekt im „schwarzen“ oder im
„roten“ Sinne versteht. Michael Dorrmann ist promovierter Historiker und wurde
1968 in München geboren. Hervorgetreten ist er durch eine Reihe von
Ausstellungen und den zugehörigen Buchpublikationen, die aber eine direkte
politische Einordnung nicht zulassen. Dorrmann ist weder ein erklärter Gegner
noch ein bekannter Unterstützer des zentralen Anliegens der deutschen
Vertriebenen, also der Versöhnung auf der Grundlage der historischen Wahrheit
und des Völkerrechts. Immerhin heißt eine der von ihm zuletzt gestalteten
Ausstellungen „Raub und Restitution“. Aber dabei ging es „natürlich“ nur um den
Umgang mit jüdischem Eigentum in der NS-Zeit und danach.
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