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       Echte Böhmen und authentische Tschechen  | 
      
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       Der Präsident 
      von morgen und seine Argumente von gestern  | 
    
  
  
In 
  Tschechien geht heute die Ära von Václav Klaus zu Ende. Morgen übernimmt Miloš 
  Zeman das Präsidentenamt. Der bei der Abstimmung knapp unterlegene Karel Schwarzenberg 
  war im Wahlkampf heftig attackiert worden in einer Debatte, die viel über die 
  tschechische Gesellschaft aussagt, meint Richard Szklorz.
Auch nach der Wahl wurde der Verlierer mit Steinen 
  beworfen. Diesmal nicht vom Sieger Miloš Zeman, sondern von dem noch amtierenden 
  Präsidenten Václav Klaus. Karel Schwarzenberg sei eben kein authentischer Tscheche, 
  sagte Klaus in einem Interview. Warum? Weil Schwarzenberg eine finstere Vergangenheit 
  klar benannt hatte? Was war geschehen, bei diesen tschechischen Präsidentschaftswahlen 
  im Januar?
  
  Nötig ist ein Blick in die Vergangenheit.
  
  Im Jahr 1945 erließ Edvard Beneš seine berüchtigten
  Enteignungs-Dekrete. 
  Sie sind bis heute akzeptierter Teil des tschechischen Rechtssystems. Damit wollte 
  sich der Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg nicht abfinden. Und so beging 
  er, live im Fernsehen, einen Tabubruch: Er sagte, dass nach den heutigen Maßstäben
  Edvard Beneš dem Internationalen 
  Gerichtshof in Den Haag überstellt werden müsste. 
  
  Das Millionenpublikum kam aus dem Staunen nicht heraus, denn Karel Schwarzenberg 
  sprach weiter: Die Enteignung und Vertreibung der böhmischen Deutschen sei nicht 
  zu rechtfertigen, denn sie folgte dem Prinzip der Kollektivschuld. Auf dieses 
  Kapitel der tschechischen Geschichte könne wirklich niemand stolz sein kann, fügte 
  er sarkastisch hinzu.
  
  Für Miloš Zeman war damit der Punkt erreicht, die weißen Handschuhe abzulegen. 
  Er und seine Helfer überzogen Karel Schwarzenberg mit einer völkisch gefärbten 
  Rhetorik, mit Lügen und Halbwahrheiten. Es war die schmutzigste Wahlkampagne der 
  Nach-Wende-Jahre. Und sie endete mit Zemans Wahlsieg.
  
  Tschechien wird Edvard Beneš, 
  den janusköpfigen Politiker aus alter Zeit, nicht so leicht los. Nach dem Zusammenbruch 
  des Sowjetsystems suchte das Land einen neuen ideologischen Halt.
  Edvard Benesch - Repräsentant 
  der bürgerlichen Vorkriegsrepublik, Symbol des Widerstandes gegen Nazideutschland, 
  später während der kommunistischen Diktatur zur Unperson gemacht - stieg zu einem 
  der Stammväter der tschechischen Staatlichkeit auf.
  
  Für Beneš sind Denkmäler errichtet 
  worden, Plätze wurden nach ihm benannt. Die historische Last, die mit seinem 
  Namen verknüpft ist, schien dieser Traditionspflege keinen Abbruch zu tun. 
  
  Das sture, manchmal hilflose Festhalten am Falschen diente als eine Art Versicherungspolice 
  gegen mögliche Rückforderungen der
  deutsch-böhmischen Vertriebenen 
  und ihrer Nachkommen. Profitierten doch breite Bevölkerungsschichten vom gigantischen 
  Besitztransfer, der sich abspielte.
  
  Die Angst, die einst so leicht erworbenen Grundstücke, Kleine-Leute-Häuschen, 
  Bauernhöfe, Villen seien vielleicht doch nicht so sicher, wurde von den Kommunisten 
  Jahrzehnte mächtig geschürt. Sie ging den Menschen über ins Blut.
  
  Und doch: Trotz der schweren, nationalistischen Geschütze, die da aufgefahren 
  wurden, stimmten jetzt im Januar über 45 Prozent der Wähler für den Kandidaten 
  Schwarzenberg! Sie honorierten damit auch die leise, beharrliche Standhaftigkeit, 
  mit der er bei der unbequemen Wahrheit blieb. 
  
  Schwarzenberg mag nicht authentischer Tscheche nach völkischem Maß sein. Dafür 
  ist er ein echter Böhme, aus einem Land stammend, das es eigentlich so nicht mehr 
  gibt: In dem einmal kulturelle und ethnische Vielfalt herrschte, mit deren Zerstörung 
  die Nazis brutal begannen und die nach dem Krieg auf makabre Weise vollendet wurde, 
  bis hin zur beinah totalen ethnischen Einförmigkeit. Der nicht ganz perfekt tschechisch 
  sprechende Karel Schwarzenberg war ein Bote aus diesem fern gewordenen Land, dessen 
  Untergang nicht wenige nachdenkliche Tschechinnen und Tschechen als schmerzhaft 
  empfinden.
Morgen wird der neue Präsident der Tschechischen 
  Republik in sein Amt eingeführt. Es wird nicht Karel Schwarzenberg sein, der Bote 
  der Vielfalt, sondern Miloš Zeman, ins Amt gekommen durch eine mit Lügen durchsetzte 
  Wahlkampagne.
  
  Es bleibt als ferne Hoffnung, jener Leitsatz, der die Prager Präsidentenstandarte 
  ziert. Dort steht: "Die Wahrheit wird siegen."
    
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