Wenn Historiker und Journalisten nicht lesen können
Links-Kampagne gegen den Direktor der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ - Skandale, die es gar nicht gibt
von Heinrich Maetzke
Berlin - Um die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ tobt wieder einmal ein ideologischer Krieg. Links-Historiker wollen die Ablösung von Stiftungsdirektor Manfred Kittel erzwingen - und fabrizieren Skandale, die es gar nicht gibt.
Es ist schwierig mit einem wissenschaftlichen Beraterkreis zusammenzuarbeiten, wenn manche seiner Mitglieder an einer ideologisch begründeten Leseschwäche leiden. Wenn dann noch Feuilleton-Redakteure dazukommen, die an der gleichen Leseschwäche laborieren, dann ist plötzlich ein Skandal da, wo für Leute, die des Lesens mächtig sind oder einfach nur fleißiger lesen, nicht das geringste Skandalisierungspotential besteht. So geschehen jetzt bei einem hochgejazzten Nicht-Skandal um die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und deren Gründungsdirektor Professor Dr. Manfred Kittel.
Unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums hat Kittel kürzlich in zwei Räumen eine Doppelausstellung eröffnet. Im ersten Raum bietet Kittels 2008 gegründete Stiftung auf 22 Stationen mit Schautafeln und dreidimensionalen Exponaten einen Ausblick auf die geplante Dauerstellung, die einmal Kern der geplanten Dokumentationsstätte zu Flucht und Vertreibung sein soll - sozusagen ein Werkstattbericht, eine Werkstattschau. Im Zweiten Raum erwartet den Besucher eine in griechisch-türkisch-britischer Koproduktion entstandene Ausstellung mit dem Titel „Twice a Stranger“. In der medial interaktiven Ausstellung mit elf Dokumentarfilmen geht es um vier Fälle von Vertreibung: die erzwungene Umsiedlung von etwa zwei Millionen Griechen und Türken nach dem Ende des ersten Weltkrieges, die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten ab 1945, Vertreibungen und Umsiedlungen im Zusammenhang mit der Gründung Indiens und Pakistans 1947 und um den Fall Zypern 1963 bis 1974.
Jetzt beklagen sich plötzlich einzelne Mitglieder des 15-köpfigen wissenschaftlichen Beirats der Stiftung „Flucht, Vertreibung und Versöhnung, dass es in der Werkstattschau explizit heiße, die Vertreibung der Deutschen solle „der“ Schwerpunkt der künftigen Dauerausstellung sein, nicht nur „ein“ Schwerpunkt. Über „der“ und „ein“ Schwerpunkt ist seinerzeit tatsächlich lange diskutiert worden. Vor zwei Jahren hat der Stiftungsrat die Debatte schließlich im Text der „Konzeption für die Arbeit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Leitlinien für die geplante Dauerausstellung“ klar entschieden: „Flucht, Vertreibung und Integration der Deutschen“ sollen „den Schwerpunkt bilden“, heißt es auf Seite 13. Von den „Ursachen, Verlauf und Folgen von Flucht und Vertreibung der Deutschen als Hauptakzent der Stiftungsarbeit“ ist auf Seite elf explizit die Rede. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Und wer es kann, muss halt mindestens bis Seite elf lesen. Aber das ist offenbar nicht selbstverständlich.
Noch schwerer zu begreifen ist die groteske Vorstellung von einzelnen Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats und von aufgeregten Feuilleton-Redakteuren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung, Stiftungsdirektor Kittel hätte sich ausgerechnet in dieser Grundfrage Freiheiten herausgenommen und gegen den Stiftungsauftrag verstoßen. Denn natürlich kennt der Stiftungsdirektor den Wortlaut der Konzeption seiner Stiftung genau und nimmt ihn sichtbar ernst.
Unbegreiflich auch das nächste angebliche Skandalon - die Werkstattschau der Stiftung an sich. Kittel habe sie nicht nur gegen den ausdrücklichen Rat eröffnet, sondern es auch versäumt, ihn darüber zu informieren, schreibt in der SZ Franziska Augstein. Was offenbar sowohl dem Beirat als auch der Redakteurin entgangen ist: Die Ausstellung ist schon anderthalb Jahre alt. Zum Baubeginn des geplanten Dokumentationszentrums im Juni 2013 wurde sie schon einmal eröffnet und gezeigt - in festlichem Rahmen und im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Ausstellung unter freiem Himmel vom Juni 2013 ist damals sehr gelobt worden. Hinzugekommen sind jetzt nur die dreidimensionalen richtigen Exponate. Sonst sind alle Stationen und Tafeln identisch. Wo bitte ist da jetzt der Skandal? Was genau haben die wissenschaftlichen Berater über die Werkstattschau der Bundesstiftung nicht gewusst? Man glaubt es kaum: Einige Mitglieder dieses vergesslichen Beirats fordern jetzt allen Ernstes die Ablösung von Stiftungsdirektor Kittel.
Drittes Pseudo-Skandalon ist die griechische Ausstellung über „Twice a Stranger“. In ihrem deutsch-polnischen Teil war tatsächlich ein Bild falsch zugeordnet. Noch vor Eröffnung der Doppelausstellung im Deutschen Museum hat Kittel diesen Teil herausnehmen lassen, weil auf die Schnelle nicht sicher zu klären war, ob noch andere Bilder unsicherer Herkunft waren. Kritisiert wird auch, dass in einem Filmdokument zu diesem deutsch-polnischen Teil die Rede von zwei Millionen Vertreibungsopfern ist. Historiker sprechen inzwischen „nur“ von etwa 600000 Opfern. Aber der englische Filmausschnitt stammt aus dem Jahr 1960. Ein paar Sätze weiter wird erklärt, dass es sich um eine „disputed number“ - umstrittene Zahl - handele. Noch unerträglicher ist den Kritikern im Beirat, dass dieser inzwischen gestrichene Teil der Ausstellung mit dem Jahr 1945 beginnt und nichts über die Vorgeschichte enthält. Sie übersehen - oder wollen übersehen -, dass Vorgeschichte und Kontext der Vertreibung der Deutschen natürlich ausführlich im ersten Ausstellungsraum in der Werkstattschau der Stiftung behandelt wird.
„Der ungeprüfte Ankauf einer Ausstellung wirkt merkwürdig“, wundert sich in der FAZ Feuilleton-Redakteur Jürgen Kaube über die griechische Ausstellung „Twice a Stranger“. Von „ungeprüftem Ankauf“ kann natürlich keine Rede sein. „Die Stiftung wird das Schicksal der Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen thematisieren, die aufgrund von Kriegen, nationalem Konflikten und Diktaturen während des 20. Jahrhunderts in Europa ihre Heimat verloren und Schreckliches an Leib und Seele erfahren haben“, heißt es schon auf Seite drei der 46-seitigen Stiftungskonzeption. Es ist von der „europäischen Perspektive“ und von der „internationalen Vernetzung“ der Stiftung die Rede und vom „multiperspektivischen Ansatz“. Die griechische Ausstellung erfüllt alle diese Anforderung auf schöne Weise. Man darf annehmen, dass es Kittel und seinem Team gefallen hat, dass die Ausstellung in griechisch-türkisch-britischer Kooperation entstanden ist. Zur Erinnerung: Im Namen d er Bundesstiftung steht das Wort „Versöhnung“.
Mit dem griechisch-türkischen Teil jener Ausstellung wird außerdem Bezug auf den Ersten Weltkrieg und die politische Neuordnung Europas danach genommen - dem Ausgangspunkt aller Vertreibungen, die dann in Europa kommen sollten. In der geplanten Dauerausstellung der Stiftung wird das natürlich auch einmal ein wichtiger Punkt sein. Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist 2014 aktuell. Über die griechische Ausstellung hat die Stiftung dazu zur rechten Zeit einen schönen und wichtigen Bezug parat.
Je länger man sich das alles anschaut und darüber nachdenkt, desto klarer wird: Gar nichts spricht gegen die griechische Ausstellung. Und erst recht nichts gegen die Werkstatt-Ausstellung der Bundesstiftung. Bleibt die Frage: Um was geht es eigentlich bei der inzwischen sehr persönlichen Hatz auf Stiftungsdirektor Kittel? Die Antwort ist so einfach wie unerfreulich: Was sich da abspielt ist linke Geschichtspolitik, ein Kampf um Geschichtshoheit, um Deutungshoheit. Kittel hat dabei doppeltes Pech: Er ist der „falsche“, weil konservative Historiker auf dem Chef-Sessel einer Stiftung, deren Auftrag linke Historiker beherrschen wollen. Und er ist Schüler eines unter linken Geschichtskollegen - und Feuilleton-Journalisten - regelrecht verhassten wissenschaftlichen Lehrers: Horst Möller.
Möller, ehemaliger Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), ist einer der wichtigsten und angesehensten Historiker Deutschlands und ein Mann mit großem Einfluss in der Zunft. Aber er hat einen „schlimmen Fehler“: Er ist ein konservativer Historiker, noch dazu ein im schönsten Sinne liberaler konservativer Historiker. Mit anderen Auffassungen hat Möller weder als Ordinarius in Erlangen, noch als Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris oder des IfZ in München je ein Problem gehabt - aber linke und typischerweise intolereante Kollegen immer eines mit ihm und mit seinen Auffassungen. Im von linker Seite vom Zaun gebrochenen ziemlich absurden Historikerstreit von 1986/87 über die Vergleichbarkeit oder Unvergleichbarkeit des Holocaust hat Möller für damals bösartig angegriffene Historiker-Kollegen Partei ergriffen - in seiner üblichen, betont sachlichen Art - und ist bei seiner Position geblieben. Was haben linke Historiker-Kollegen nicht all es versucht, um Möller aus dem Institut für Zeitgeschichte zu kicken. Vergeblich. Möller war - und ist - einfach zu gut. Gegen seine Argumentation kommt so schnell keiner an. Auch SZ-Redakteurin Augstein hat sich gerne an Möller abgearbeitet, schon als sie noch im FAZ-Feuilleton schrieb. Zu seinem Abschied vom IfZ hat sie ihm in der SZ unfreundliche Dinge hinterhergeschrieben.
Weder die Links-Historiker noch das linke Feuilleton haben Möller je etwas anhaben können. Genau deswegen ist jetzt sein Schüler dran: Manfred Kittel, der bei Möller promoviert wurde und bei ihm habilitiert hat. Da schießen jetzt Historiker-Kollegen auf Kittel, weil sie Möller tr effen und endlich Rache üben wollen. Der ganze Pseudo-Skandal um die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist ein Stück hochideologischer Geschichtspolitik im allerübelsten Sinne. Kittels berufliches Schicksal liegt jetzt in der Hand des Stiftungsrats und dort vor allem in der Hand der Stiftungsratsvorsitzenden und Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt Monika Grütters. Jemand sollte ihr raten, sich nicht auf einen üblen, mit linkem Furor ausgetragenen Krieg um historische Deutungsmacht einzulassen. Manfred Kittel kann nichts dafür. Er ist und bleibt der richtige Mann für den Posten des Direktors der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“.
Quellen: www.bayernkurier.de/zeitung/artikel/ansicht/15002-wenn-historiker-und... |