»Das ist nicht mehr meine Partei«
Interview: Die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach über die Gründe für ihren Austritt aus der CDU

Parteiausstritt nach 40 Jahren Mitgliedschaft: Erika SAteinbachDie Austrittswelle von konservativen Unionsmitgliedern aus der Merkel-CDU hält unvermindert an. Mit Erika Steinbach hat nun die profilierteste Konservative der weit nach links gedrifteten Union nach über 40 Jahren Mitgliedschaft den Rücken gekehrt. Mit der Bundestagsabgeordneten und langjährigen früheren Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) sprach Bernd Kallina über die Gründe ihres Austritts aus der CDU.

PAZ: Nach jahrzehntelanger CDU-Mitgliedschaft und als Parlamentarierin im Deutschen Bundestag mit hohem nationalen und internationalen Bekanntheitsgrad aus der Union auszutreten, das konnte Ihnen nicht leicht gefallen sein. Dennoch erschien der Austritt Ihnen als unausweichlich, warum?

Erika Steinbach: Eine solche Entscheidung kann nicht leicht fallen. Nach über 40 Jahren in einer Partei, nach zahllosen Wahlkämpfen bei Wind und Wetter, geht man so einen Schritt nicht leichtfertig. Die CDU galt immer als „Hüterin des Rechtsstaates“, das hat sich verändert. Bei mittlerweile vielen großen Politikfeldern, sei es der Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima über die Euro-Rettungspakete und die Griechenland-Hilfen bis hin zur Flüchtlingspolitik, wurden gewichtige Entscheidungen der Bundesregierung ohne vorherigen Beschluss des Deutschen Bundestages oder gegen geltende Verträge getroffen. Die Fraktionen wurden bei bedeutenden Entscheidungen nicht mehr eingebunden, beziehungsweise sie haben nur noch abgeknickt. Das schmerzt mich insbesondere, da die Rechtsstaatlichkeit für mich ein Garant unserer Demokratie ist. Mein Vertrauen ist erschüttert, denn ich bin mir nicht mehr sicher, dass Entscheidungen nicht auch in Zukunft am Gesetz vorbei getroffen werden.

PAZ: Sie gehörten dem „Berliner Kreis“ innerhalb der Union an, der ja Front zu machen versuchte gegen den zunehmenden Linkskurs der Merkel-CDU. Alles vergeblich?

Steinbach: Der Berliner Kreis in der Union ist eine Gruppe in der CDU, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, wertkonservative Anliegen wieder in das Bewusstsein der eigenen Partei zu rücken. Es ist das große Verdienst von Christean Wagner, unermüdlich daran zu arbeiten, dass die langjährige wertkonservative Ausrichtung in der CDU nicht vollständig unter die Räder kommt. Anhand der Reaktionen aus der Bevölkerung, aber auch aus der CDU, kann man erkennen, dass es ein Bedürfnis danach gibt. Die mehr oder weniger unverhohlene Nichtachtung seitens der CDU-Spitze gegenüber dieser Initiative hat meinen Entschluss zum Parteiaustritt mit befördert.

PAZ: Von Adenauer bis Kohl: Alle früheren Parteivorsitzenden achteten darauf, dass neben dem christlichen und liberalen auch der rechte Flügel in der Union klar erkennbar war. Angela Merkel verzichtete jedoch auf ihn und begünstigte damit die Entstehung der AfD. Ein unglückliches Eigentor oder ein bewusstes Manöver hin zu einer anderen Union?

Steinbach: Es ist erkennbar, dass die CDU diesen Trend ganz bewusst fördert. In der Erkenntnis, dass dadurch Zustimmung auch seitens der Grünen und in Teilen sogar der Links-Partei erreicht werde kann, lässt man das elementare wertkonservative Element der CDU tatsächlich links liegen. Im Grundsatzprogramm der CDU sind die elementaren drei Wesensmerkmale der CDU – christlich-sozial, liberal und wertkonservativ - zwar noch enthalten, in der Realität aber wurde das Wertkonservative immer mehr marginalisiert, ja stigmatisiert. Durch die gesellschaftspolitische Anpassung an rot/grüne Gesellschaftsmodelle, bei der die behauptete Mitte weiter nach links verschoben wurde, ist inzwischen ein gesellschaftspolitisches Vakuum entstanden, das Raum für neue Parteien geschaffen hat. Langjährige Positionen wurden schlichtweg geräumt. Hier erinnere ich nur an eine Rede Angela Merkels aus dem Jahr 2003, als sie sagte: „Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der Gipfel der Verlogenheit und eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Deshalb werden wir auch weiterhin eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung fordern.“ Und im Wahlprogramm 2013 der Union steht werbend zu lesen: „CDU und CSU treten dafür ein, dass die entfallenen Grenzkontrollen im Schengen-Raum weiterhin durch geeignete Maßnahmen ausgeglichen werden, wie etwa durch anlassunabhängige Kontrollen entlang der Grenze ...“. Dafür habe ich 2013 Wahlkampf gemacht. Leider wurde deutlich erkennbar mit der Massenzuwanderung das glatte Gegenteil in dieser Legislaturperiode durch die Bundesregierung praktiziert. Nicht nur an einem Wochenende, sondern über Monate hinweg.

PAZ: Insbesondere das von der Bundeskanzlerin herbeigeführte Flüchtlingschaos trug zu Ihrem Abschied aus der CDU bei. Sie sprechen dabei schwerwiegend sogar von „Gesetzesbruch“. Können Sie ihn präzisieren?

Steinbach: In dieser Beurteilung befinde ich mich in bester Gesellschaft. Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hat davon gesprochen, dass „die Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit noch nie so tief wie derzeit“ gewesen sei und die „Leitplanken des deutschen und europäischen Asylrechts gesprengt“ worden seien. Zahlreiche Aspekte der Flüchtlingspolitik sind hiervon betroffen, wie beispielsweise das Aussetzen der Dublin-Regelung. In der Flüchtlingspolitik entsteht insbesondere der Eindruck, dass nun ein Laissez-faire für Unrecht akzeptiert wird und selbst staatliche Institutionen sich über das Recht hinweg setzen. Wenn tausende gefälschte Pässe und Dokumente im Bundesamt für Migration festgestellt werden, ohne dass Strafanzeige gestellt wird und ohne, dass die vorgeschriebenen Konsequenzen gezogen werden, dann ist das entgegen unserer gesetzlichen Regelungen. Nach unserer Gesetzeslage stehen bis zu fünf Jahre Haft auf Fälschung solcher Dokumente. Zudem wäre damit das Anrecht auf Asyl verwirkt. Für kriminelle Migranten bedeutet das, dass sich Gesetzesbruch in Deutschland lohnt, denn die illegale Einreise wird mit Aufnahme, Versorgung und Taschengeld belohnt, die Verschleierung der wahren Identität durch Wegwerfen und Fälschen von Pässen oder Mehrfach-Registrierung wird nicht sanktioniert. Selbst Serientäter, die bereits mehrfach kriminell in Erscheinung getreten sind, haben kaum mit Folgen zur rechnen. Unsere Bürger sind erkennbar dadurch heute einem höheren Sicherheitsrisiko ausgesetzt und haben vielfach das Vertrauen in den Staat als Garanten ihrer Sicherheit verloren.

PAZ: Als weitere Kritikpunkte für Ihre CDU-Flucht nennen Sie den Atomausstieg und den Eurokurs der Kanzlerin. Was trieb Merkel zu diesen Entscheidungen, die doch mit erheblichen Finanzbelastungen für Deutschland verbunden sind?

Steinbach: In der Tat bedeuten all die von Ihnen genannten Politikbereiche eine erhebliche ökonomische Belastung für Deutschland. Aber noch gravierender ist für mich die Tatsache, dass es sich auch dabei um Entscheidungen am Recht beziehungsweise an Verträgen vorbei handelt. Deutschland fordert mit ziemlicher Hartnäckigkeit immer wieder die Einhaltung von Recht und Gesetz von anderen Staaten ein, ohne sich selbst dieser grundlegenden demokratischen Maxime gemäß zu verhalten.

PAZ: Aber auch auf anderen Politikfeldern ließ die CDU-Chefin kein wertkonservatives Profil erkennen. Stichworte dazu: Homo-Ehe, Wehrpflicht und das kulturrevolutionäre Projekt „Gender-Mainstreaming“. Wie konnte es dazu kommen?

Steinbach: Keine Gesellschaft ist statisch, sie entwickelt sich weiter. Brüche entstehen dann, wenn elementare Grundlagen aufgegeben werden. Die CDU hat deutlich erkennbar in den vergangenen Jahren in gesellschaftspolitischen Fragen weitestgehend kapituliert. Ja, sie hat sich zu häufig regelrecht gescheut, für ihr grundlegendes Gesellschaftsmodell – zum Beispiel den Wert von Ehe und Familie – zu fechten.

PAZ: In Ihrem Kritik-Katalog sparen Sie interessanterweise vertriebenenpolitische Belange aus. Hier scheint die CDU-Vorsitzende Pluspunkte gesammelt zu haben, oder?

Steinbach: Die Bundeskanzlerin war für wichtige Anliegen des Bundes der Vertriebenen aufgeschlossen und hat auch mehrfach am Tag der Heimat gesprochen. Für ihre Unterstützung, eine dauerhafte Gedenkeinrichtung in Berlin zu errichten, die das Schick­sal insbesondere der deutschen Heimatvertriebenen in die historische Erinnerungskultur unseres Landes aufnimmt, und die Unterstützung meines Anliegens, einen nationalen Gedenktag auch für das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen zu implementieren, habe ich sie zum Abschluss meiner BDV-Präsidentschaft mit einer extra für sie geschaffenen Sonderanfertigung der Ehrenplakette unseres Verbandes aus Überzeugung ausgezeichnet. Meine Entscheidung, aus der CDU auszutreten, habe ich jedoch nicht als ehemalige Präsidentin des BdV getroffen, sondern als Bundestagsabgeordnete, die als Mitglied des Parlamentes die Aufgabe hat, die Bundesregierung zu kontrollieren.

PAZ: Sie werden ab sofort als fraktionslose Abgeordnete dem Parlament angehören. Mit welchen Aktivitäten haben wir von Ihnen zu rechnen?

Steinbach: Als fraktionsloses Mitglied des Deutschen Bundestags werden mir einige Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Dazu gehört beispielsweise das Recht auf Akteneinsicht oder auch, Einzelfragen zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten. Das mir zustehende Rederecht im Plenum werde ich verantwortungsvoll, aber nicht exzessiv wahrnehmen, sofern ich es für erforderlich halte.

PAZ: Merkel hat in der Fraktionssitzung nach Ihrem Austritt ein Schreiben von Ihnen zitiert, in dem Sie die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik gelobt haben sollen.

Steinbach: Angela Merkel zitierte aus einem Schreiben, das ich ihr als Vorsitzende der Jury zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises zukommen ließ. Unsere Jury-Sitzungen waren und sind streng vertraulich. Auch das Schreiben an die Kanzlerin ist bislang niemals öffentlich geworden. Da aber durch das Zitieren aus diesem Schreiben ein ganz bestimmter Eindruck erweckt werden sollte, habe ich mich inzwischen genötigt gesehen, selbst öffentlich Stellung zu nehmen. Der Personalvorschlag, Angela Merkel zur Preisträgerin 2016 zu machen, wurde innerhalb der Jury so kontrovers diskutiert, dass er beinahe zum Abbruch unserer Sitzung geführt hätte. Ich gehörte zu denen, die gegen diesen Vorschlag waren. Als Vorsitzende und Demokratin habe ich aber selbstverständlich das schließliche Mehrheitsvotum mit dem von der Bundeskanzlerin zitierte Schreiben umgesetzt. Wobei von Flüchtlingspolitik darin mitnichten die Rede war, sondern von „Mitgefühl für Flüchtlinge“ – und wer hätte das nicht. Natürlich sollte durch das Zitieren aus diesem Schreiben in der Fraktion ein ganz bestimmter Eindruck erweckt werden, der der Unglaubwürdigkeit.
 

Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung - Ausgabe 04/17 vom 27.01.2017