Fast eine Liebeserklärung
Antje Vollmer überrascht mit Porträt von den Lehndorffs und Ostpreußen
von Dagmar Jestrzemski

Nur wenig war bisher über Heinrich Graf Lehndorff bekannt, obwohl der letzte Besitzer des masurischen Gutes Steinort als Widerstandskämpfer zu den herausragenden Persönlichkeiten gehörte. Nun ist auch ihm und seiner Frau Gottliebe, geb. Gräfin Kalnein, die von Anfang an um das riskante Engagement ihres Mannes wusste, eine eigene Würdigung zuteil geworden. Eine der vier Töchter des Ehepaares, die unter dem Künstlernamen Veruschka bekannte Vera von Lehndorf (* 1939), hatte die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer gebeten, die Geschichte ihrer Eltern niederzuschreiben. Als langjährige Bundestagsabgeordnete der Grünen eine harte politische Gegnerin der Vertriebenen ist Vollmer mit ihrer Doppelbiografie unter dem Titel „Doppelleben – Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop“ eine bemerkenswerte Dokumentation gelungen, in der sie sogar Sympathien für Ostpreußen anklingen lässt. Darin enthalten sind Beiträge über den Adel und seine Traditionen sowie den militärischen Widerstand.

Das Buch beginnt mit einem Rückblick auf die Vorfahren der letzten Lehndorffs auf Schloss und Gut Steinort im Norden der masurischen Seenplatte. Verwandtschaftliche Beziehungen bestanden seit jeher zu den Dönhoffs und anderen ostpreußischen Adelsfamilien. Ursprünglich westpreußisch-prußischer Abstammung war die Familie einst im Kulmer Land ansässig. 1420 wird Steinort erstmals als Wohnsitz genannt. 1936 übernahm Heinrich von Lehndorff im Alter von 27 Jahren das Gut, ein Fideikommiss mit 5500 Hektar Land. Kurz darauf heirateten er und Gottliebe Gräfin Kalnein (1913–1993). Die Trauung vollzog der prominente Vertreter der Bekennenden Kirche Pastor Martin Niemöller. Ebenso wie sein Vetter Hans von Lehndorff, der Autor des „Ostpreußischen Tagebuchs“, war Heinrich von Lehndorff Mitglied der Bekennenden Kirche. Dem jungen Paar blieb nur eine kurze Zeitspanne unbeschwerten Glücks. Nach Kriegsbeginn wurde von Lehndorff zunächst in Polen eingesetzt und anschließend Ordonnanzoffizier bei Generalfeldmarschall Fedor von Bock, dem späteren Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte. Sein militärischer Rang war und blieb der eines Oberleutnants. Im Oktober 1941 schloss er sich endgültig dem Personenkreis um Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg an, nachdem er bei Borissow Augenzeuge eines von einer SS-Einheit begangenen Massakers an der jüdischen Bevölkerung geworden war. Als Mitglied der Verschwörergruppe fiel Heinrich von Lehndorff die Aufgabe zu, um neue Unterstützer zu werben. Schloss Steinort wurde geheimer Treffpunkt der Widerstandskämpfer und blieb als solcher bis zum Schluss unentdeckt, obwohl das Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ und das Oberkommando des Heeres nahe gelegen waren. Nur bei Spaziergängen im Park und während der Ausritte wurden Informationen ausgetauscht. Einige Brisanz erhielt das Familienleben auf Steinort, wenn Außenminister Joachim von Ribbentrop anwesend war, der 1941 einen Flügel des Schlosses requiriert hatte. Bei den Besprechungen seines Stabs war der Hausherr häufig anwesend. Stets unter der Aufsicht der Gestapo, führte die Familie auf dem eigenen Anwesen jahrelang ein Doppelleben.

Anhand der spärlich überlieferten schriftlichen Dokumente, darunter Heinrichs Briefe und Gottliebes Tagebuchaufzeichnungen, Abschriften von Tonbandaufnahmen sowie von Sekundärliteratur rekonstruierte Vollmer die Vorbereitung und die verzweiflungsvollen Reaktionen der Familie und Freunde nach dem Scheitern des Plans zur Beseitigung Hitlers am 20. Juli 1944. Als Mittelsmann zwischen Stauffenberg und Tresckow war von Lehndorff an dem als „Operation Walküre“ getarnten Umsturzplan unmittelbar beteiligt. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat in der Wolfsschanze wurde er am 21. Juli verhaftet. Zwei Fluchtversuche misslangen tragischerweise. Am 4. September wurde er durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee gehenkt. Einzelheiten über seine Verhaftung und die Folterverhöre der Gestapo sind den sogenannten Kaltenbrunner Berichten zu entnehmen. Die Autorin legt dar, dass einige Schergen des Regimes erkennbar Furcht vor der bevorstehenden Vergeltung für ihre Verbrechen an den Tag legten. Zum erstenmal veröffentlicht ist Heinrich von Lehndorffs erschütternder Abschiedsbrief an seine über alles geliebte Frau. Vollmer berichtet von den Konsequenzen für die hochschwangere Gottliebe, ihre Verhaftung, die Geburt der vierten Tochter Katharina im Gefängnis Torgau. Weihnachten 1944 verlebte Gottliebe von Lehndorff wiedervereint mit ihren Kindern im mecklenburgischen Conow. An der Schwere ihres Schicksals wäre sie später ohne den Rückhalt durch ihre Familie womöglich zerbrochen.   

Antje Vollmer: „Doppelleben – Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop“, mit Erinnerung von Hanna Schygulla an Gottliebe von Lehndorff, einem Essay zu Schloss Steinort von Kilian Heck sowie Dokumenten, Eichborn, Frankfurt am Main 2010, geb., 414 Seiten, 34 Euro

Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt, 08.10.2011