1000 Jahre deutsch-polnische Nachbarschaft
So riesig die Thematik, so vielfältig die Vorträge auf dem
9. Kommunalpolitischen Kongress der Landsmannschaft Ostpreußen
von Manuel Ruoff
„1000 Jahre deutsch-polnische Nachbarschaft. Gegensätze und Gemeinsamkeiten“ lautet das Motto des diesjährigen 9. Kommunalpolitischen Kongresses der Landsmannschaft Ostpreußen in Allenstein. Das ist ein weites Feld und entsprechend bunt war der Kreis der Vortragenden und vielfältig die Auswahl der Referatsthemen.
Im Gegensatz zum Kreis der Referenten war jener der Zuhörer relativ homogen. Die LO hatte vor allem Kreisvertreter und andere Funktionsträger der Landsmannschaft sowie im südlichen Ostpreußen beheimatete Repräsentanten der Deutschen Minderheit und Vertreter der Kommunalpolitik in das Hotel Warminski eingeladen. Das Wochenendseminar begann am Freitagabend mit einem festlichen Bankett und endete am Sonntagmittag mit einem letzten gemeinsamen Mittagessen. Dazwischen lag außer einem Besuch des örtlichen Planetariums mit den Vorführungen „Kopernikus in Allenstein“ und „Kosmischer Express“ ein strammes Programm an Vorträgen mit anschließender Diskussion.
Den lockersten und lebendigsten Vortrag hielt sicherlich Fred Mrotzek. Der 1965 in Parchim geborene Historiker sprach frei und bezog durch Fragen an das Publikum dieses mit ein. Er würzte seinen Vortrag mit historischen Witzen, die nicht nur lustig waren, sondern auch Volkes Seele plastisch widerspiegelten. Schließlich ist der politische Witz ein kaum zu unterschätzendes Ventil in jeder Diktatur. Sein Thema lautete „In Polen war der Kommunismus ein ,Toter Hund‘ – das Schicksalsjahr 1989“. Da der Referent in der DDR aufgewachsen ist und an der Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland arbeitet, lag es nahe, dass er die kommunistische Diktatur in Polen mit der in der DDR verglich. Sein Untersuchungszeitraum betraf sowohl die Stalinisierung als auch die anschließende Entstalinisierung. Dabei arbeitete er einige interessante Unterschiede heraus, die den Widerstand in Polen förderten. Als da wären die tiefe Verankerung des Katholizismus, die aus den polnischen Teilungen und den langen Phasen der Fremdherrschaft resultierende Untergrundkampftradition, das damit zusammenhängende grundsätzliche Misstrauen gegenüber Staat und Obrigkeit sowie antirussische Gefühle aus den historischen Erfahrungen der Fremdherrschaft. Polen den Kommunismus aufzuzwingen sei wie das Satteln einer Kuh. Auf die explizite Frage des Veranstaltungsleiters, des stellvertretenden LO-Sprechers Gottfried Hufenbach, wer nun 1989 wen beeinflusst habe, antwortete Mrotzek denn auch ohne Umschweife, dass Polen für die Aufständischen in der DDR allzeit Vorbild gewesen sei.
Erhard Brödner ist Autor des im vergangenen Jahr im Nümbrechter Kirsch-Verlag erschienenen Buches „,Resurescat Polonia‘. Das Verhältnis der Bevölkerung der preußischen Rheinprovinz zum polnischen Novemberaufstand 1830/1831 im Licht der heimischen Presse“ und las vor zum Thema „Die polnischen Freiheitsbestrebungen und die deutsche Sympathiebewegung von 1832 (Hambacher Fest)“. Es spricht für eine geschickte Kongressregie, erst einmal mit einem derartigen Wohlfühlthema in die ebenso problematische wie komplexe und komplizierte Gesamtthematik des Kongresses einzusteigen. Denn selten kamen sich Deutsche und Polen so nahe, wie beim polnischen Aufstand gegen das zaristische Russland und dem anschließenden Zug unterlegener Aufständischer durch Deutschland ins französische Exil. Detailliert beschrieb Brödner die herzliche Betreuung und Versorgung der polnischen Exilanten auf ihrem Weg durch Deutschland nach Frankreich. Brödner stellte sogar fest, dass die Stimmung in Deutschland polenfreundlicher gewesen sei als in Frankreich, das den Polen Exil gab. Bei seiner Beschreibung der deutschen Polenbegeisterung unterschied Brödner sauber zwischen dem Verhalten der deutschen Bevölkerung in den Gebieten, durch welche die Polen zogen, und dem der deutschen Staaten. Brödner, der große Teile seines Lebens in Polen verbracht hat, schloss seinen Vortrag mit einem Appell, nach der tragischen zwischenzeitlichen Entfremdung wieder an die Polenbegeisterung des Hambacher Festes anzuschließen.
Bei der anschließenden Diskussion behauptete ein polnischer Teilnehmer, dass die deutsche Freundlichkeit gegenüber den polnischen Exilanten auf einem schlechten Gewissen der Deutschen wegen der deutschen Beteiligung an den polnischen Teilungen beruhe, während ein deutscher Teilnehmer die Ansicht vertrat, dass es zu dem Zeitpunkt gar kein Deutschland gegeben habe, da das Heilige Römische Reich deutscher Nation bereits aufgelöst und das Deutsche Reich noch nicht gegründet worden sei. Dem hielt Brödner die Fakten entgegen, dass es dazwischen den Deutschen Bund gegeben hat und der Krieg zwischen Preußen und Österreich von 1866 explizit als „Deutscher Bruderkrieg“ von den Zeitgenossen bedauert wurde. Überhaupt zeigte der Referent bei der anschließenden Diskussion, dass er zu seinem Thema auch frei hätte vortragen können.
Dass auch ein vorgelesener Vortrag für die Zuhörer Genuss und Gewinn sein kann, wenn er denn langsam, deutlich und vor allem wohl prononciert präsentiert wird, zeigte Klaus Neitmann. Der Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs bot einen informativen, lückenlosen Überblick über die Beziehungen zwischen dem Deutschordensstaat und der Polnisch-Litauischen Union. Wie bei Überblicken üblich, blieben große Sensationen aus. Doch gab es einige interessante Nuancen. Statt der weit verbreiteten Sichtweise, dass der Ordensstaat es nach der Bildung der Union mit einem mehr oder weniger monolithischen Block zu tun gehabt habe, arbeitete Neitmann heraus, dass Litauen noch einige Zeit neben Deutschordensstaat und Polen ein ziemlich unabhängiger dritter Faktor gewesen sei. Eine interessante Erklärung für den Abfall der preußischen Stände von den Ordensrittern bot der Potsdamer Archivar mit den polnischen Verheerungsfeldzügen. Während die Ritter sich auf ihre Bürgen zurückgezogen hätten, seien die Zivilisten schutzlos dem Terror der polnischen Heerscharen ausgesetzt gewesen und hätten deshalb vom Orden eine größere Verständigungsbereitschaft gegenüber Polen verlangt.
Adam Holub von der örtlichen Universität von Ermland und Masuren widmete sich dem sensiblen Thema „Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung – Was wir Polen davon wissen und darüber denken“. Er lieferte ein Feuerwerk an Zitaten aus polnischen Medien und dem Munde mehr oder weniger bekannter polnischer Persönlichkeiten zu dem Thema. Holub warf die Zitate per Projektor an die Wand, aber leider nur im polnischen Original und nicht in deutscher Übersetzung. Schön wäre es auch gewesen, wenn er die Zitate noch etwas stärker strukturiert und vielleicht sogar, noch einen Schritt weiter gehend, zu einzelnen Argumentationssträngen und -mustern zusammengefasst hätte. Die in der anschließenden Diskussionsrunde vom ebenfalls anwesenden LO-Sprecher Stephan Grigat gestellte Frage, warum sich Polen so schwer tue, Unrecht an den deutschen Vertriebenen einzuräumen, ließ der polnische Referent unbeantwortet.
Als eine indirekte Antwort auf diese Frage kann man Grzegorz Supadys literarischen Exkurs vom Vortag zum Thema „Pole, Deutscher sind zwei Brüder?“ interpretieren. Dort führte der Allensteiner Wissenschaftler und freie PAZ-Autor aus: „Seitdem man in der Bundesrepublik über eigene Leiden, sei es Bombenterror, Zwangsaussiedlung oder Feindseligkeit gegenüber den in Mitteldeutschland noch verbliebenen Deutschen, offen zu reden begann, neigte man in Polen, besonders in den rechten Kreisen, immer häufiger die Ansicht zu vertreten, dies relativiere die gewohnte ,deutsche Schuld‘. Daher erhoben sich hierzulande Stimmen, man solle sich diesen ,unverschämten‘ Verlautbarungen schnellstens widersetzen. Einigen Politikern gelang es dadurch, ein ziemliches Kapital zu schlagen. Außerdem eignete sich manch ein ausgezeichneter Schriftsteller, wie zum Beispiel Jarosław Marek Rymkiewicz, diese Rhetorik schnell an. In seinem viel gelesenen Essayband ,Kinderszenen‘ aus dem Jahre 2008 fokussierte er seine Aufmerksamkeit auf die traumatische Kindheit in Warschau und stellte mit ausdrucksstarken Stilmitteln die ganze Grausamkeit der Naziverbrechen während des Warschauer Aufstandes des Jahres 1944 vor. Dies war sein selbstverständliches Anrecht, wenn er doch mit seinen Behauptungen einen waghalsigen Schritt nicht zu weit gegangen wäre. Er erklärte nämlich, die Deutschen seien von Geburt an mit einer Erbsünde belastet – der eines Mörders. Er differenzierte dabei keine Kategorie ‚Nazi-Deutscher‘ und ‚Nicht-Nazi-Deutscher‘, sondern pauschalisierte auf Anhieb die ganze Nation. Das tat er im Geiste eines seit kurzem verbreiteten Sprachgebrauchs in Polen, wo stets nicht von Nazis, sondern verallgemeinernd vornehmlich von Deutschen die Rede ist. Übrigens, anders geschieht es in dieser Hinsicht etwa in Russland, wo im öffentlichen Diskurs von ‚Faschisten‘, und nicht unscharf von ‚Deutschen‘, gesprochen wird.“
Der ebenfalls von der Allensteiner Uni stammende Angehörige der deutschen Volksgruppe Aleksander Bauknecht präsentierte in seinem Vortrag zum „Einfluss des deutschen Rechts auf das polnische Selbstverwaltungswesen nach 1989“ selbigen als groß. Der deutsche Einfluss auf das polnische Recht habe eine lange Tradition. Dieses liege nicht zuletzt an den polnischen Teilungen, wobei der Wissenschaftler einräumte, dass Polen sich ebenso an der Teilung eines Nachbarn beteiligt hätte, wenn es denn die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Das Verwaltungsrecht sei eine Mischung aus preußischem und französischem. Die 1989 eingeführte Selbstverwaltung sei eine Mischung aus preußischer und süddeutscher. Bei der polnischen Verfassung habe man sich am deutschen Grundgesetz orientiert. Dass Polen genau so viele Woiwodschaften habe wie die Bundesrepublik Länder sei aber Zufall. Man habe vielmehr partout die Zahl 17 vermeiden wollen, weil das die Anzahl der Sowjetrepubliken gewesen sei.
Besonderen Raum in Vortrag wie anschließender Diskussion nahm eine polnische Besonderheit ein, die parallele Existenz des Woiwoden, der vom Präsidenten eingesetzt werde, und des Woiwodschaftsmarschalls, der aus den Woiwodschaftswahlen hervorgehe, sowie das Fehlen einer klaren Aufgabenteilung zwischen den beiden. Der Referent schlug die Abschaffung der Woiwoden vor, dieses umso mehr, als deren Kontrollfunktionen mittlerweile durch eine ausgebaute Verwaltungsgerichtsbarkeit wahrgenommen werde. Allerdings gehe man mit der Forderung nach der Abschaffung dieses Vertrauensmannes des Präsidenten das Risiko ein, sich dem Vorwurf des Separatismus auszusetzen. Zudem stelle eine ineffiziente Verwaltung ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für den öffentlichen Dienst dar, und so habe sie entsprechend viele Nutznießer und Interessenten an ihrem Fortbestand. Den Abschluss des Beitrags bildete ein kurioses Beispiel von Wahnsinn vom grünen Tisch in der Republik Polen. Das war zwar selbstkritisch und deshalb sympathisch, aber Vergleichbares und noch Schlimmeres findet man auch in der Bundesrepublik zuhauf.
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