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Konzert in der Kirche von Heiligenwalde Die „Heiligenwalder Herbstkonzerte“ könnten zu einer Tradition werden. Mit einem Chorkonzert war im Oktober 2006 der Abschluß der Renovierung der Ordenskirche aus dem 14. Jahrhundert gefeiert worden. Das Gymnasium Nr. 2 aus Neuhausen, das die Kirche als Nutzer und Hausherr übernommen hat, hatte das Konzert im Oktober 2006 mit schuleigenen Chören und einem Gastchor aus Powunden gestaltet. Der Direktor des Gymnasiums, Anton Iwanowitsch, sprach seinerzeit von der „zweiten Geburt einer Kirche“, eine Formulierung, die von den Medien einstimmig aufgenommen wurde. In einem Schuppen für Traktoren, der hier über fünfzig Jahre gestanden habe, finde nun kulturelles Leben statt, nachdem die Kirche wieder erstanden sei, lauteten seinerzeit seine Worte. Nun lud das Gymnasium Nr. 2 erneut zu einem Konzert nach Heiligenwalde in die Kirche. Der Schuldirektor hatte angekündigt, daß es diesmal ein Streichkonzert sein werde. Die Einladungskarten, die verschickt worden waren, berührten die Mitglieder des Vereins zutiefst: „Wir, das Gymnasium Nr. 2 von Neuhausen, laden Sie ein zu einem Konzert in Erinnerung an den Restaurator Georg Gawrilowitsch Artemjew …“ Groß war die Freude der Heiligenwalder. Bereits das Konzert im Oktober 2006 war eine Gedenkveranstaltung an den im Januar 2006 verstorbenen Vorsitzenden des russischen Partnervereins gewesen. Georg Artemjew, Schulleiter von Heiligenwalde und Germanist, war die entscheidende Persönlichkeit für die Restaurierung der Kirche und für den Kontakt zwischen Russen und Deutschen gewesen. Daß auch das Konzert 2007 zu seinem Gedenken stattfinden sollte, erfüllte die deutschen Besucher mit großer Zuversicht, daß die „Heiligenwalder Herbstkonzerte“ vielleicht eine Traditionsveranstaltung für diesen Brückenbauer werden könnten. Bereits um elf Uhr und damit eine Stunde vor dem geplanten Konzertbeginn kam die deutsche Gruppe in Heiligenwalde an. Das Königsberger Fernsehen war bereits da, interviewte Anton Iwanowitsch und den Baumeister Viktor Michailowitsch Staruschkin und stürzte sich dann auf die erwarteten deutschen Gäste. Zum Glück waren zwei Dolmetscherinnen da: Tamara Michailowa, die Reiseleiterin der deutschen Gruppe, und Lidia Natjagan, eine Deutschlehrerin und Übersetzerin aus Königsberg. Sie beide waren voll ausgelastet bei den Interviews der Gäste: über die Kirche, über das Dorf früher, über die Gefühle heute. Inzwischen stellte sich heraus, daß ein Streichorchester von der Königsberger Philharmonie spielen würde. Erschrocken wurde von deutscher Seite nach den Kosten gefragt, aber Anton Iwanowitsch winkte ab. „Das ist unsere Pflicht!“ Mit einer halbstündigen Verspätung wurden die Gäste begrüßt. Anton Iwanowitsch hob in der voll besetzten Kirche hervor, daß dieses Konzert zu Ehren von Georg Artemjew stattfinden werde, dem das Restaurierungswerk der Kirche wesentlich zu verdanken sei. Er dankte dem deutschen Verein für seinen Einsatz und sprach die Hoffnung aus, daß die deutschen Besucher noch häufig nach Heiligenwalde kommen und die Musik in der wunderschönen Kirche erleben werden. Die Vorsitzende des deutschen Vereins, Dr. Bärbel Beutner, dankte den russischen Freunden. Das gemeinsame Werk, die Restaurierung der Kirche, sei nur möglich gewesen durch die vielfältige Unterstützung von seiten der Administration, durch den Arbeitseinsatz der Dorfbewohner und durch das Interesse an einem deutschen Baudenkmal. Sie sprach ein dankbares Lob für Georg Artemjew aus, der die Übernahme der Kirche durch das Gymnasium veranlaßt hat, und sie dankte Anton Iwanowitsch für die Übernahme der Kirche, wodurch eine zukunftsorientierte Arbeit ermöglicht worden sei. Und dann ertönte Mozarts „Kleine Nachtmusik“. Die Zuhörer waren zutiefst angerührt. Jeder kannte die Melodie. Musik schafft Heimat. Schwieriger zu erkennen war das nächste Mozart-Stück: Ein Divertiment vermutlich aus einer frühen Schaffensperiode. Der nächste Komponist, Pachelbel, veranlaßte die Zuhörer zu Nachfragen an die Übersetzerin Tamara. Das Nachschlagen im „Brockhaus“ offenbarte, daß die Aufführung dieses Komponisten aus Gründen der Symbolik erfolgt sein wird. Johann Pachelbel (1653–1706) war Organist und bedeutender Orgelkomponist, gebürtig aus Nürnberg. Der „Kanon“, den das Streichorchester vortrug, war vielleicht aus einer seiner Kantaten. Wie lange wird schon die Anschaffung einer Orgel für Heiligenwalde diskutiert, und zwar von der russischen Seite. Eine Orgel ist noch nicht da, aber die Komposition eines Organisten erklang schon in der Kirche. Es folgte eine „Arie aus der Suite Nr. 3“ von Johann Sebastian Bach, und dann beschwingte die Musik Peter Tschaikowskis die Zuhörer. Die „Serenada für Streichorchester und Walzer“ und besonders der Walzer aus dem Ballett „Nußknacker“ zauberten ein Leuchten auf die Gesichter. Weniger bekannt war den deutschen Zuhörern Alexander Glasunow (1865–1936). Geboren in St. Petersburg, lebte er seit 1928 in Paris. Er gilt als bedeutendster russischer Komponist von konservativer und klassizistischer Prägung. Sein „Streichquartett in zwei Teilen: Interludia und Walzer“ konnte es für den geübten Hörer bestätigen. Musik zu Puschkins Erzählung „Schneesturm“ rief bei den Heiligenwaldern Bilder vom ostpreußischen Winter hervor, der sich früher durchaus mit dem russischen Winter messen konnte. „Walzer und Romanze“ von Swiridow aber zeigten den Winter eher von seiner schönen, versöhnlichen Seite. Begeisterter Applaus spiegelte die Dankbarkeit des Publikums für die Darbietungen des Streichorchesters der Königsberger Philharmonie wider. Die stehenden Ovationen hatten noch eine weitere Ursache: Der Leiter des Ensembles, Alexander Andrejew, war an Fieber erkrankt und hatte seine Musikerinnen und Musiker „verwaist“ nach Heiligenwalde schicken müssen. Sie meisterten die Schwierigkeiten mit Bravour. Aber auch die Künstler waren begeistert, und zwar von der Akkustik der Kirche. Sie hatte tatsächlich eine Verbesserung seit dem ersten Konzert im Jahre 2006 erfahren. Damals hatte ein Mitglied der Administration darauf hingewiesen, daß die Akustik nicht ideal sei. Die russischen Heiligenwalder reagierten seinerzeit empfindlich, wie immer, wenn jemand etwas gegen „ihre Kirche“ zu sagen scheint. Im Winter 2006 wurde das historische hölzerne Tonnengewölbe überarbeitet. Die hölzernen Bohlen aus deutscher Zeit arbeiteten so stark, daß kein Anstrich hielt. So verkleidete der Baumeister Viktor Staruschkin das Tonnengewölbe mit modernen Paneelen und brachte zudem noch eine Isolierschicht im Dach an, um jede Feuchtigkeit zu vermeiden. Der vorher gar nicht bedachte Nebeneffekt trat ein: Die Akustik gewann durch diese Dämmung. Die Besucher bestätigten, daß alle Reden bis in die entfernteste Ecke zu hören waren; ein Mikrophon ist nicht nötig. „Ende gut, alles gut!“, würde Georg Artemjew mit
hintergründigem Lächeln sagen. „Wir haben eine bessere Akkustik – seid
zufrieden!“ Möge allen, die sich um die Kirche bemühen, weiterhin Gottes Segen
zuteil werden! B. B.
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