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"Lange geplanter Gewaltstreich“ von Paul Leonhard Am 20. August 1920 brennt Anhalt. Ein kleines evangelisches Dorf im katholischen Oberschlesien mit rein deutscher Bevölkerung. Die Einwohner haben wenige Wochen zuvor erst den 150. Jahrestag ihres Ortes gefeiert. Jetzt aber haben polnische Freischärler gezeigt, wer im Kreis Pleß das Sagen hat. 14 Häuser werden niedergebrannt. Das Signal: Verschwindet, wenn euch euer Leben lieb ist! In Oberschlesien ist in dieser Nacht der zweite polnische Aufstand ausgebrochen, der bis zum 25. August dauern soll. Angst und Terror zu verbreiten ist die Aufgabe der Bewaffneten. Das Kalkül der Regierung in Warschau: Die Oberschlesier werden bei der für den 20. März 1921 angesetzten Volksabstimmung für jenen Staat plädieren, der ihnen ihr Leben und ihr Eigentum garantiert. Das bedeutet, bis dahin das Land zu destabilisieren, die Reichswehr zum Abzug zu zwingen, die deutschen Selbstverteidigungskräfte zu zerschlagen. Und letztlich den Alliierten klarzumachen, daß das Gebiet Polen zugeschlagen werden muß, soll es nicht zu einem Dauerbrandherd werden. Genau das gelingt den gewieften Taktikern in Warschau letztlich in drei bewaffneten Interventionen, die fälschlicherweise Aufstände genannt werden, zwischen August 1919 und Ende März 1921. Die erste Intervention, geführt vom ehemaligen Reichstagsabgeordneten Wojciech Korfanty und unterstützt von 10.000 Angehörigen der Polnischen Militärorganisation (POW), seit 1918 ins polnische Heer eingegliedert, und der Geheimpolizei Bojowka Polska (BP) schlagen erwartungsgemäß Reichswehr und Freikorps nieder. Aber die polnischen Opfer haben sich gelohnt, die deutschen Truppen müssen auf Weisung der Alliierten Oberschlesien verlassen, das Gebiet wird vom übrigen Reich abgeriegelt, französische und italienische Besatzungstruppen rücken ein, und die zivile Verwaltung wird von einer „Interalliierten Kommission für Regierung und Abstimmung“ übernommen. Franzosen der alliierten Kommission griffen nicht ein Noch aber ist die Stimmung günstig für den Verbleib des Gebietes bei Deutschland, auch wenn mehr als 70.000 Polen als Arbeitskräfte vor dem Ersten Weltkrieg in das Industriegebiet um Kattowitz eingewandert sind. Die Deutschen sind sich einig wie selten. Sie haben sich im „Verband Heimattreuer Oberschlesier“ organisiert und hoffen auf den Zusammenbruch des polnischen Staates. Denn die nach Westen drängenden Bolschewisten stehen kurz vor der Einnahme von Warschau (siehe Beitrag auf dieser Seite). Doch dann gelingt Józef Piłsudski am 16. August 1920 das Unvorstellbare. Er zwingt die Rote Armee zu einem überstürzten Rückzug über die Memel. Ein Ereignis, das als „Wunder an der Weichsel“ in die Geschichtsbücher eingeht. Für polnische Freischärler ist es das Signal, den neuen Schwung zu nutzen, um auch in Oberschlesien Tatsachen zu schaffen. In der Nacht zum 20. August schlagen sie erneut zu, fünf Tage lang toben die Banden. Auf deutscher Seite hält der Oberschlesische Selbstschutz dagegen. Die Kattowitzer Zeitung kommentiert die Ereignisse: „Tausende mußten vor dem polnischen Terror ihre Arbeitsstätten verlassen. Tag für Tag werden die nicht polnisch Gesinnten in den Gruben und Werken im Kreise Rybnik und Pleß terrorisiert, das Leben ihnen zur Hölle gemacht.“ Die französischen Sicherheitskräfte schauen dem Treiben Gewehr bei Fuß zu. Ihr Oberbefehlshaber, General Henri Le Rond, sympathisiert offen mit den Polen. Es handele sich um einen „seit langer Zeit geplanten und wohl vorbereiteten Gewaltstreich“ mit dem Ziel, „sich im Vertrauen auf die französische Untätigkeit oder sogar auf ihre Mithilfe in den Besitz von Oberschlesien zu setzen“, heißt es in einem vertraulichen Bericht des Preußischen Staatskommissars für die Überwachung der öffentlichen Ordnung an den Reichskanzler vom 4. September 1920. In Berlin macht man sich keine Illusionen über die Franzosen. Nach deren Vorstellungen sollte Polen „ganz Oberschlesien mit einigen Gebieten Mittelschlesiens, die Provinz Posen und Teile von Westpreußen mit Danzig sowie von der Provinz Ostpreußen den Kreis Soldau“ erhalten. So hatten sie es im Mai 1919 in ihren Bedingungen für einen Friedensschluß mit Deutschland verlangt. Korfanty gewinnt mit seinem Freikorps zwar noch nicht Oberschlesien, kann aber seine Macht ausbauen. Ausgerechnet der führende Kopf hinter den Freischärlern wird zum Plebiszitkommissar ernannt und führt die Verhandlungen, mit denen der zweite Aufstand am 28. August für beendet erklärt wird. Vergeblich verlangt Berlin, daß die Ostgrenze Oberschlesiens geschlossen wird und daß die als neutral geltenden Italiener den Grenzschutz übernehmen. „Bei dem Charakter des Oberschlesiers ist zu befürchten, daß er demjenigen Staat seine Stimme gibt, der Macht gezeigt hat und ihm für die Zukunft Schutz verheißt“, heißt es in einem Geheimbericht aus Oberschlesien. Würde eine Abstimmung jetzt oder in naher Zeit erfolgen, wäre das Ergebnis „im allgemeinen zweifelhaft, (würde) in den Kreisen Pleß und Rybnik sicherlich zugunsten Polens ausfallen“. Während am 11. Juli 1920 bei der Volksabstimmung in Westpreußen die überwältigende Mehrheit der Wähler für Deutschland votierte (JF 29/20), droht in Oberschlesien die Stimmung zu kippen. Letztlich obsiegt aber doch die Angst vor dem drohenden Chaos unter der Regie des Warschauer Sytems über die von Polen permanent beschworene slawische Vergangenheit. 700.605 Wähler, 59,6 Prozent, stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 98 Prozent für den Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland, 479.359 votieren für Polen. Warschau erkennt das Ergebnis nicht an, sondern läßt erneut seine Milizen los. In der Nacht zum 3. Mai 1921 beginnen Freiwilligenverbände jenes Gebiet zu besetzen, das sie für überlebenswichtig für den Agrarstaat Polen betrachten. Lediglich die 2.000 italienischen Völkerbund-Soldaten behindern den Vormarsch, nicht aber das 11.500 Mann umfassende französische Kontingent. Das Ergebnis des Plebiszits erkannte Polen nicht an Erneut wird das Land vom Selbstschutz Oberschlesien verteidigt. Auf Druck der Interalliierten Kommission wird am 5. Juli ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Seinen letzten Erfolg erzielt Korfanty, als auf der Botschaftskonferenz am 20. Oktober in Paris beschlossen wird, daß trotz des eindeutigen Ergebnisses des Plebiszits ein Drittel Oberschlesiens und damit 90 Prozent der oberschlesischen Kohlevorkommen sowie die Zink-, Blei- und Silberhütten an Polen fallen. Die „Schlesischen Aufstände“ bezeichnete im August
2019 der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki als eine „wunderschöne Tradition
des polnischen Kampfes um Freiheit und Unabhängigkeit“, und Wiktor Skworc, der Erzbischof
von Kattowitz, ergänzte: „Mögen alle, die in Oberschlesien leben, des Preises für
die Menschlichkeit und des Polentums gedenken.“
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