|
|
Erster Kanzler beider Republiken "Er war der Baumeister der Ersten und stand an der Wiege der Zweiten Republik, er kam aus der Weite der Donaumonarchie und wurde zu einem großen Staatsmann im kleingewordenen Österreich." Mit diesen Worten charakterisiert das "Österreichische Biographische Lexikon 1815-1950" (ÖBL) Karl Renner, den in der Tat wohl bedeutendsten Demokraten, den Österreich hervorgebracht hat. Karl Renner wurde am 14. Dezember 1870 im mährischen Untertannowitz geboren. Seine Eltern waren arme Bauern und endeten schließlich im Armenhaus. Durch einen Kostplatz und das Erteilen von Privatunterricht war Karl trotzdem der Gymnasialbesuch und damit der Beginn des gesellschaftlichen Aufstieges durch Bildung möglich. Dem Schulbesuch folgte ein Jurastudium, das er mit der Promotion abschloss. 1895 fand er eine Beschäftigung in der Reichsratsbibliothek. Dort hatte er regen Kontakt mit Politikern und wurde schließlich selber einer. Angesichts seiner Herkunft verwundert es kaum, dass er sich den Sozialdemokraten anschloss. Wenn Renner sich auch als Marxist bezeichnete, so ist er doch eher als rechter Sozialdemokrat zu bezeichnen. Ferdinand Lassalle war sein Vorbild und wie dieser setzte er etatistisch darauf, mit Hilfe des Staates und nicht gegen den Staat wie Karl Marx und der linke Flügel der Sozialdemokratie den Sozialismus zu erringen. Der Versuch, sich mit dem jeweils existierenden Staat zu arrangieren, zieht sich wie ein roter Faden durch Renners Leben und Wirken und brachte ihn den Vorwurf des Opportunismus ein. So versuchte denn Renner auch die Donaumonarchie zu reformieren statt zu zerstören. Zu den von ihm geforderten Reformen gehörte die Einführung der Demokratie. Als 1907 tatsächlich das Abgeordnetenhaus des Reichsrates demokratisch gewählt wurde, errang auch Renner ein Mandat. Nachdem sich 1918 die Reichsratsabgeordneten der deutschsprachigen Gebiete zur provisorischen Nationalversammlung Deutschösterreichs konstituiert hatten, beschlossen sie eine von Renner ausgearbeitete Verfassung. Tatenlos sah er in dieser Zeit zu, wie seine südmährische Heimat von tschechischem Militär besetzt wurde - vermutlich hoffte er ganz auf die Gerechtigkeit der Siegermächte, was im Rückblick allerdings naiv erscheint. Nachdem die Sozialdemokraten bei den ersten Wahlen der Ersten Republik 1919 die relative Mehrheit gewonnen hatten, bildete Renner eine von ihm geführte Koalitionsregierung. In seine Regierungszeit fällt innenpolitisch die Verhinderung der Räterepublik und außenpolitisch die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Saint Germain. Als im Sommer 1920 seine Regierung durch ein christlichsozial geführtes Proporzkabinett abgelöst wurde, übernahm Renner das Außenressort. Es ist bezeichnend für Renners Etatismus, dass er auch nach der sozialdemokratischen Niederlage vom Herbst des Jahres für einen Verbleib in der Regierungsverantwortung votierte. Aber der linke Flügel seiner Partei setzte den Wechsel in die Opposition durch. Nach dieser Niederlage trat Renner innenpolitisch mehr in den Hintergrund. Ganz im Sinne von Lassalles Versuch eines legalen Weges zum Sozialismus konzentrierte er sich nun auf seine Arbeiten am Ausbau des Genossenschaftswesens. Mit über 60 Lebensjahren erhielt Renner noch einmal ein repräsentatives Parlamentsamt. Er wurde Erster Präsident des Nationalrates. Dieses ist insofern von Bedeutung, als Renner durch seinen Rücktritt von diesem Amt auf Geheiß seiner Parteiführung 1933 eine Geschäftsordnungskrise des Nationalrates auslöste, die der Kanzler Engelbert Dollfuß als sogenannte Selbstausschaltung des Parlaments zum Anlass nahm, um die Zweite Republik in einen austrofaschistischen Ständestaat umzuwandeln. Es ist bezeichnend für Renners Etatismus, dass er auf diesen Staatsstreich Dollfuss’ mit dem Versuch reagiert hat, den Putsch nachträglich zu legalisieren, um die Putschisten in das Verfassungsgefüge der Zweiten Republik einbinden zu können. Statt diese goldene Brücke zu betreten, verhafteten die Putschisten Renner vielmehr, nachdem seine Parteifreunde ohne sein Zutun versucht hatten, dem Austrofaschismus mit Gewalt ein Ende zu setzen. Nach 100 Tagen Haft zog sich Renner in sein niederösterreichisches Landhaus zurück. Auf die Befreiung seines Landes vom Austrofaschismus und die Realisierung der großdeutschen Lösung durch die Nationalsozialisten reagierte Renner positiv. Vor der Abstimmung in Österreich über den Anschluss an das Deutsche Reich gab er dem "Wiener Tageblatt" ein Interview, in dem er ankündigte, "mit Ja stimmen" zu werden. Auch die Angliederung des Sudetengebietes an das Reich begrüßte Renner, wie in der Schrift "Die Gründung der Republik Deutsch-österreich, der Anschluss und die sudetendeutsche Frage" nachzulesen ist. Anders als die Austrofaschisten verzichteten die Nationalsozialisten denn auch auf eine Inhaftierung Renners. Sie stellten ihn "nur" in seinem niederösterreichischen Landhaus unter Hausarrest. Dieser Arrest wird als durchaus großzügig bemessen beschrieben. Obwohl sich also Renner schwerlich als Widerstandskämpfer bezeichnen ließe, wollten die Sowjets nach ihrem Einmarsch in Österreich eine Neuordnung des Landes unter Einschluss dieses Sozialdemokraten. Ob es eher sein Renommee war, das den Sowjets seine Mitarbeit wünschenswert erscheinen ließ oder seine Neigung zu einvernehmlichen Lösungen im Rahmen bestehender Machtverhältnisse, sei dahingestellt. Renner war zur Mitarbeit bereit und wurde von den Russen mit der Bildung einer provisorischen Regierung mit gesamtösterreichischem Anspruch beauftragt. Dieser Auftrag wurde von den österreichischen Kommunisten wie den westalliierten Besatzern gleichermaßen abgelehnt. Die Kommunisten wollten, dass die Sowjets erst einmal Verhältnisse schufen, die sie bevorzugten. Und die Westalliierten wollten erst einmal selber regieren, bevor sie dieses Einheimischen überließen. Österreichs Kommunisten konnten jedoch gegen die Sowjets nichts ausrichten. Und die Westalliierten hatten das Problem, dass die (provisorischen) Landeshauptleute ihrer eigenen Zonen Renners (provisorische) bürgerlich-sozialistische Mehrparteienregierung und die von ihr geplanten gesamtösterreichischen Wahlen unterstützten. Währenddessen arbeiteten Renner und seine provisorische Regierung an der Gründung der Zweiten Republik. Am 27. April 1945 verlas der Regierungschef die Unabhängigkeitserklärung der Republik Österreich. Am 1. Mai wurde eine vorläufige Verfassung in Kraft gesetzt. Und am 25. November des Jahres fanden die ersten gesamtösterreichischen Nachkriegswahlen statt. Ihr Ergebnis bestätigte die Befürchtungen der österreichischen Kommunisten und versöhnte die Westalliierten mit der Zweiten Republik. Wahlsieger war nämlich die bürgerliche Österreichische Volkspartei (ÖVP). Das bedeutete das Ende der Kanzlerschaft des
Sozialdemokraten. Am 20. Dezember 1945 wurde die neue Regierung gebildet und der
bisherige Kanzler einstimmig von der Bundesversammlung zum ersten
Bundespräsidenten der Zweiten Republik gewählt. In diesem Amt verblieb Karl
Renner bis zu seinem Tod am letzten Tag des Jahres 1950. - M. Ruoff
Diese Netzseiten sind optimiert
für 1024x768 oder höher und 24 Bit Farbtiefe sowie MS-Internet Explorer 11.x oder höher. |
|