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Geschichte - Dresden 1945: Fast zeitgleich mit der öffentlichen Vorlage der Ergebnisse der über fünf Jahre währenden Untersuchungen der Dresdner Historikerkommission zur Feststellung der Opferzahlen bei den alliierten Bombenangriffen des 13. bis 15. Februar 1945 legt auch Wolfgang Schaarschmidt die zweite, völlig überarbeitete Auflage seines 2005 erstmals erschienenen Buches „Dresden 1945. Daten–Fakten–Opfer“ vor. So hilfreich und anerkennenswert die Sammlung, das Zitieren und Beschreiben vieler Dokumente und Humanquellen ist, ergibt auch die Aufzählung von Zahlen und Annahmen keine feste Grundlage zur Bestimmung der Opferzahlen. Im Frühjahr 1945 seien, so Schaarschmidt, durch anglo-amerikanische Terrorangriffe in Dresden mindestens 100.000 Menschen getötet worden. Schätzungen bis zu 150.000 Toten seien begründet. Dennoch gibt der Autor zu, daß trotz der Bemühungen aller herangezogenen Autoren „gegenwärtig ein abschließendes Urteil über die Zahl der Opfer (...) auf Schätzungen angewiesen“ ist. Um diese Opferzahl näher zu definieren, war eine Historikerkommission angetreten. Diese Kommission bestand aus 13 Mitgliedern, meist Historiker, die sich weitere Fachleute wie Brandsachverständige oder Archäologen zu Hilfe nehmen mußten. Wenn die Kommission auch die von Anfang an gegebenen Unwägbarkeiten nicht völlig beseitigen konnte, konnte sie diese doch soweit eingrenzen, daß daraus eine Grundlage für Berechnungen geschaffen wurde, die wilde Spekulationen ausschließt. Namenskartei der erfaßbaren Bombenopfer Das war nur möglich, weil die Kommission nicht nur Dokumente und Augenzeugenberichte (nach 65 Jahren) gesammelt und gesichtet, sondern in Zusammenarbeit mit vielen Behörden und Wissensträgern eine grundlegende Namenskartei der erfaßbaren Bombenopfer erstellt und abgeglichen hat, deren Zahl sich übrigens in der Nähe der schon in den ersten Jahren nach den Bombardements festgestellten Größen bewegt. Man fand dabei heraus, daß die Arbeit der damals zuständigen Stellen keinesfalls chaotisch war, sondern relativ geordnet und zuverlässig weiterlief. Es ist also nicht so – wie manchmal geäußert –, daß die Kommission lediglich eine mit ihrer Einsetzung im Herbst 2004 vom damaligen Oberbürgermeister Ingo Roßberg (FDP) erwähnte relativ kleine Opferzahl nur erhärten sollte, um vor allem den Spekulationen von politisch rechter Seite den Boden zu entziehen. Der vom Oberbürgermeister genannte Anlaß für die Berufung der Kommission ist nicht gleichzusetzen mit einer Anweisung, nur genehme Erkenntnisse zu erarbeiten. Die Gruppe von gestandenen Historikern hat ohne irgendwelche Vorgaben oder politische und zeitgeistige Rücksichtnahmen selbständig, in je eigener Verantwortung und nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten gearbeitet. Das mühsam erstellte, wenn noch nicht ganz vollständige Namensregister der Bombenopfer ist eine verläßliche Grundlage, hier und da noch bestehende kleinere Lücken sachlich und vernünftig und nicht durch – gar politisch motivierte – Phantasiezahlen zu schließen. Das Schicksal jedes Einzelnen gebietet Ehrfurcht. Es gibt im Dresdner Stadtarchiv eine Bergungsakte für 253 Tote mit Angabe des jeweiligen Fundorts der Leiche und deren Todesursache. Etwa neunzig Prozent der Menschen, so geht aus dem Dokument hervor, sind aus Sauerstoffmangel oder an Gasen erstickt, etwa fünf Prozent wurden durch Trümmer oder Abwurfwaffen erschlagen, und fünf Prozent sind verbrannt. Wenn dieses Verhältnis sicher nicht für alle Stadtbezirke gilt, zeigt es doch, daß die meisten Toten – auch die verbrannten – rein physisch noch vorhanden waren. Es ist daher abwegig zu behaupten, Hunderttausende seien ohne Rückstand verbrannt. Jeder Fachmann weiß, daß selbst im Krematorium bei Leichenverbrennungen immer noch Knochenreste übrigbleiben. Und keinesfalls herrschte im gesamten bombardierten Stadtgebiet trotz Feuersturm Bedingungen wie im Krematorium. Brandsachverständige haben an der Verfärbung der Steine in den Kellern festgestellt, daß manchmal im selben Haus sehr unterschiedliche Temperaturen in einzelnen Kellerräumen herrschten. Im übrigen sprechen auch die über tausend gesammelten Augenzeugenberichte nicht für überall große Massen von Toten in den Straßen. Was die Anzahl von Flüchtlingen im Stadtgebiet betrifft, war diese weit geringer als häufig behauptet, denn die meisten von ihnen wurden nachgewiesenermaßen durch die Stadt nach Westen geschleust und nicht auf Dauer in Stadtquartieren untergebracht. Die auch nur ungefähre Zahl von 25.000 Bombenopfern in Dresden ist ein verläßlicher Rahmen für weitere Forschungen. Eine ähnliche Größenordnung wird auch durch das Verhältnis von abgeworfenener Bombentonnage zur Zahl der Opfer im Städtevergleich nahegelegt. Keine massenhaften Tiefangriffe auf Zivilisten Angesichts des Auftrags, die ungefähre Gesamtopferzahl zu eruieren, haben die durch Augenzeugen beschworenen Tieffliegerangriffen sicher keine große Rolle gespielt, so bedauerlich sie gewesen wären. Dennoch können diese Wahrnehmungen, die in der Hitze des Infernos menschlich verständlich sind, wissenschaftlich nicht erhärtet werden. Es ist kaum zu bestreiten, daß es solche Angriffe auf Zivilisten im letzten Kriegsjahr in vielen Gegenden Deutschlands gegeben hat. In Dresden aber gab es – wenn überhaupt – an den fraglichen Tagen keine massenhaften Tiefangriffe auf Zivilisten, höchstens vereinzelte als solche wahrgenommene. Bis zu 60 Zentimeter tiefe Umgrabungen jener Stellen, wo es diese Angriffe gegeben haben soll, erbrachten keinerlei Spuren von Geschoßresten. Auch wenn immer noch Stimmen laut werden, die die Bombenangriffe als Folge deutscher Kriegsschuld in Kausalität setzen, rechtfertigt die völkerrechtlich nach dem ius ad bellum zu beurteilende Kriegsschuld keinesfalls die Verletzung des für alle Kriegsparteien gleichermaßen geltenden Rechts im Kriege (ius in bello), wie sie durch die luftkriegsvölkerrechtlich unzulässigen und unterschiedslosen Bombenangriffe auf Städte und damit auf Zivilpersonen – aus welchen Gründen auch immer – nach und nach von allen beteiligten Luftmächten, erst Großbritannien, dann Deutschland und dann die USA, vollzogen wurde. Dr. Horst
Boog war leitender wissenschaftlicher Direktor des
Militär-geschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg und gilt als herausragender
Experte der Luftkriegsführung im Zweiten Weltkrieg. Er war Mitglied der Dresdner
Historikerkommission.
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