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Streit um Stiftung Dem Direktor kann man nichts vorwerfen, dennoch muss er wohl gehen: Im Streit über die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung geht es um eine Weichenstellung. Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung stand noch nie unter einem guten Stern. Das muss wohl am Thema liegen. Schon bevor der Rat der Stiftung Ende Oktober 2010 zusammentrat, hielt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) das Projekt für beschädigt. Durch die Auseinandersetzung mit dem Bund der Vertriebenen und dessen damaliger Präsidentin Erika Steinbach sei schon Schaden entstanden. Thierse, der selbst dem Stiftungsrat angehört, mahnte, das Vorhaben müsse „von jedem Verdacht frei sein, dass da irgendetwas mit Revanchismus zu tun habe, dass da die Deutschen von ihrer Schuld am Zweiten Weltkrieg, an Naziverbrechen, an Vertreibungen befreit würden“. Doch offenbar lässt sich dieser Dauerverdacht nicht ausräumen, wie der aktuelle Streit um Ausstellungen wie um Stiftungsdirektor Manfred Kittel zeigt. Schon an dem Auftrag der Stiftung hat sich mancher von Anfang an gestört: Er lautet, die „Erinnerung an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihren Folgen wachzuhalten“. In einem Beschluss der Bundesregierung vom März 2008 heißt es: „Flucht und Vertreibung der Deutschen bilden einen Hauptakzent.“ Was das heißen soll, darüber streiten auch Wissenschaftler, die zum Beraterkreis der Stiftung zählen. Waren es wirklich 2 Millionen Tote?So wurden auf Empfehlung des Beraterkreises Bilder aus der aktuellen Ausstellung „Twice a stranger“, die von einer griechischen Produktionsfirma eingekauft wurde, herausgenommen. Das deutsch-polnische Kapitel ist dann aus dem griechischen Ausstellungsteil gestrichen worden. Gezeigt werden sollte die Vertreibung der Deutschen, doch waren gestellte Aufnahmen darunter – zudem stieß man sich an der Zahl deutscher Opfer: Von zwei Millionen Toten ist in einer englischen Aufnahme die Rede, aber früher ging auch das Statistische Bundesamt von dieser Zahl aus. Auch wird das in der Originalaufnahme selbst relativiert: Das sei eine umstrittene Zahl. Tatsächlich wurden auch die Vermissten eingerechnet. Doch gibt es auch Historiker, die an einer Opferzahl von bis zu zwei Millionen festhalten. Außerdem wurde im Beraterkreis moniert, der NS-Kontext habe gefehlt. Allerdings hatte die Ausstellung „Twice a stranger“, die im Übrigen aus dem Beraterkreis der Stiftung selbst mehrfach empfohlen worden war, einen eigenen internationalen Beraterstab. In Wechselausstellungen war der Wissenschaftliche Beraterkreis im Übrigen bisher nicht eingebunden; das war auch von ihm nie kritisiert worden. „Wir haben mehrheitlich das Vertrauen in den Direktor verloren.“Zudem hat sich offenbar recht plötzlich Kritik an den sogenannten Schlaglichtern, an der Werkschau zur künftigen Dauerausstellung der Stiftung, entzündet. Etwa die Hälfte der 22 Tafeln thematisiert die Vertreibung der Deutschen im weiteren Sinne. Das ist seit eineinhalb Jahren bekannt. Doch jetzt wird der Vorwurf erhoben, das sei tendenziös und unausgegoren. Dabei soll die Vertreibung der Deutschen laut Konzept „den Schwerpunkt der Dauerausstellung“ bilden. Sie soll freilich nur „ein Schwerpunkt“ der Stiftungsarbeit insgesamt sein. Daran sieht man: Es geht offenbar um mehr. Jedenfalls keinesfalls nur um Direktor Kittel, dem nun etwa der Titel eines seiner Bücher vorgehalten wird: „Vertreibung der Vertriebenen?“, fragte er mit Blick vor allem auf die öffentliche Wahrnehmung der Vertriebenen in den siebziger Jahren Der Vorsitzende des Beraterkreises, der Leipziger Osteuropahistoriker Stefan Troebst, sagte dieser Zeitung am Montag: „Wir haben mehrheitlich das Vertrauen in den Direktor verloren.“ Das begründet er vor allem damit, dass sich Kittel nicht so an das Konzept der Stiftung gehalten habe, „wie es wünschenswert wäre“. Kittel ist politisch vor dem Aus Nur „ein“ Hauptakzent solle eben die Vertreibung der Deutschen sein. Die Vorsitzende des Stiftungsrats, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), hat für den 15. Dezember zu einer Sitzung eingeladen, offenbar mit nur einem Tagesordnungspunkt. Es geht um den Direktor, dem man freilich wissenschaftlich, gar arbeitsrechtlich wohl kaum etwas vorwerfen kann. Aber womöglich ist er politisch untragbar geworden. Mancher im Beraterkreis gibt nicht mehr viel auf Kittel, aber eine geschlossene Haltung existiert nicht. Dem Gremium gehören etwa Krzysztof Ruchniewicz aus Breslau, Piotr Madajczyk aus Warschau, Kristián Ungváry aus Budapest, Peter Becher vom Adalbert-Stifter-Verein, der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Maier und der Würzburger Historiker Matthias Stickler an. „Es gibt kein Problem mit der Stiftung.“ Auch in der Stiftung wird die Lage als „sehr ernst“ eingestuft. Im Stiftungsrat gibt es aber auch andere Stimmen. Geht es um eine geschichtspolitische Weichenstellung? Der neue Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Bernd Fabritius, CSU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Stiftungsrates, sagt im Gespräch mit dieser Zeitung: „Es gibt kein Problem mit der Stiftung.“ Und es gebe „überhaupt keinen Anlass, etwas am Konzept zu ändern. Dieses wurde im Stiftungsrat vor Verabschiedung breit diskutiert und mit Zustimmung des Beraterkreises beschlossen.“ Personalien „wären im Stiftungsrat zu klären“. Fabritius hebt hervor: Aufgabe des Beraterkreises sei die wissenschaftliche Beratung des Stiftungsrates. „Personalfragen oder Öffentlichkeitsarbeit gehören nicht zu seinen Aufgabengebieten.“ Er fügt hinzu: „Es ist ein Unding, dass der Beraterkreis das Heft des Handelns in die Hand genommen hat, er soll intern beraten.“ Jeder richtige Berliner stamme aus Schlesien Womöglich wollten „einzelne Berater ausloten, wie sich der Wechsel an der Spitze des Bundes der Vertriebenen auswirkt“. Hier gehe es um einen fehlenden Baustein in dem Erinnerungskonzept zur deutschen Schicksalsbiographie. Dazu gehören unstreitig die beispiellosen Verbrechen Nazideutschlands, „aber eben auch die folgenden gegen die deutsche Zivilbevölkerung gerichteten ethnischen Säuberungen in den Heimatgebieten“. Missverständnisse müssten im Stiftungsrat ausgeräumt werden. In dem Konzept wird jedenfalls der historische Zusammenhang durchgehend berücksichtigt. Es heißt aber auch: „Berlin liegt bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs geographisch mitten in Deutschland. Vom Stettiner Bahnhof und vom Schlesischen Bahnhof ... fuhren die Züge nach Breslau, Stettin, Danzig und Königsberg. Jeder richtige Berliner stamme aus Schlesien, hieß es einst in der deutschen Hauptstadt. Versunkene Lebenswelten: Deutschlands einstiger Osten ... machte mehr als ein Viertel des deutschen Staatsgebiets aus.“ Vielleicht will sich daran niemand mehr erinnern.
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