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Ostpreußen ragte wie ein Balkon aus dem Reichsgebiet in den russischen Herrschaftsbereich hinein, denn Zentralpolen hatte seit dem Wiener Kongreß den Zaren zum Herrscher. Die Verteidigung Ostpreußens gegen einen russischen Angriff war seit der Neugründung des Deutschen Reiches 1871 von zentraler Bedeutung für den Großen Generalstab. In wiederholten Planübungen und Generalstabsreisen hatte man das Thema untersucht. Das Ergebnis der Untersuchungen sowie der Aufklärung war, daß Rußland in einer ersten Phase mit zwei Armeen angreifen würde, einer Armee aus dem Raum Wilna und einer Armee aus dem Raum Warschau. Der Bereich der großen Seen Masurens stellte eine natürliche Barriere dar, die Rußland zwang, diese beiden Armeen voneinander getrennt anzusetzen. Dieser Umstand erleichterte die Verteidigungsplanungen insofern, als er einen geringeren Kräfteeinsatz zur Verteidigung zuließ. Es bestand allerdings durch einen weit nach Westen ausholenden Angriff der Warschauer Armee unausweichlich die Gefahr, daß Ostpreußen vom Reich abgeschnitten und damit die Verteidigungskräfte eingeschlossen werden konnten. Im wesentlichen war für die Verteidigung Ostpreußens die 8. Armee, die auch dort stationiert war, vorgesehen. Die russische Führung rechnete mit der Verlegung einer weiteren Armee nach Ostpreußen. Dieser Sorge war sie ab dem 5. August 1914, dem dritten Tag der Mobilmachung, enthoben, als durch die Verlegung der Armee aus Stettin an die Westfront klar war, daß die 8. Armee Ostpreußen allein würde verteidigen müssen. Die Oberste Heeresleitung hatte sich entschieden, mit diesem äußerst geringen Kräfteansatz zur Verteidigung notfalls Ostpreußen vorübergehend aufzugeben. Mit einer Konzentration aller Kräfte im Westen sollte dort schnell eine Entscheidung herbeigeführt werden. Erst danach sollten deutliche Verstärkungen nach Osten verlegt werden. Auf russischer Seite stand der 8. Armee mit der 1. Njemen-Armee und der 2. Narew-Armee unter Führung der Nordwestfront mit ihrem Oberbefehlshaber General der Kavallerie Jakow Shilinsky ein zahlenmäßig weit überlegener Gegner gegenüber. Der Aufmarsch der beiden russischen Armeen gegen Ostpreußen trug einen Keim des Scheiterns in sich. Während des Aufmarsches wurden vielfältig Armeekorps und Divisionen hin und her unterstellt unter Einschluß einer erst in Aufstellung befindlichen Armee um Warschau. Dies führte angesichts der damaligen Führungsmittel zu erheblichen Verzögerungen, zumal russische Kommandeure anders als die deutschen meist von weit hinten führten und nicht unmittelbar steuernd eingreifen konnten. Absicht des Generals Shilinsky war es, mit der 1. Njemen-Armee zwei Tage vor der 2. Narew-Armee die Grenze von Osten zu überschreiten und anzugreifen. Die durch die 1. Njemen-Armee dann gebundenen deutschen Kräfte sollten danach mit der 2. Narew-Armee im Westen umfassend von der Weichsel abgeschnitten und eingeschlossen werden. Demgegenüber war die Absicht der deutschen Obersten Heeresleitung, Zeit zu gewinnen und die russischen Kräfte gegebenenfalls nur zu binden, bis Verstärkungen von der Westfront freigemacht werden konnten. Ein Verlust der 8. Armee durch Einschließung sollte notfalls durch die vorübergehende Aufgabe Ostpreußens vermieden werden. Das Kräfteverhältnis war deulich zuungunsten Deutschlands. Daraus war schon während vieler Planübungen und Generalstabsreisen der Schluß gezogen worden, die beiden zu erwartenden russischen Armeen nur nacheinander angreifen zu können. Die räumliche Trennung der beiden russischen Armeen durch die Seenplatte kam dieser Absicht entgegen. Eine kompromißlose Schwerpunktbildung war der einzige Weg zum Erfolg. General der Infanterie Paul von Hindenburg und Beneckendorf entschließt sich nach der Übernahme des Kommandos über die 8. Armee am 22. August 1914 dazu, deren Kräfte, abgesehen von der 1. Kavalleriedivision und einigen Landwehrformationen, nach Süden gegen die 2. Narew-Armee zusammenzufassen, um zunächst diese zu schlagen. Dieser Entschluß wird ihm um so leichter, als die Funkaufklärung ergeben hat, daß General der Kavallerie von Rennenkampf seine 1. Njemen-Armee nur sehr langsam und vorsichtig nach Westen gegen Königsberg ansetzt. Die 2. Narew-Armee besteht aus fünf Infanteriekorps sowie fünf Kavalleriedivisionen und wird von dem General der Kavallerie Samsonow kommandiert. Allerdings unterstellt General Shilinsky ihm das Korps am rechten Flügel nicht uneingeschränkt, so daß er gerade hier seinen Willen, die Kräfte nach Westen statt nach Norden anzusetzen, nicht umsetzen kann. Sein Korps am rechten Flügel wird von Shilinsky in strikt nördlicher Richtung angesetzt, um die Verbindung zur 1. Njemen-Armee herzustellen. Dieses Durchgreifen in der Führung über zwei Ebenen hindert Samsonow an der entscheidenden Zusammenfassung seiner Kräfte zur Schwerpunktbildung. Von Hindenburg setzt gegen diese von Südosten angreifende 2. Narew-Armee nun das im Eisenbahntransport herangeführte I. Korps (v. François) im Süden neben dem bereits im Raum stehenden XX. Korps (v. Scholtz) zum Angriff nach Osten an. Die im Fußmarsch aus dem Raum Gumbinnen herangeführten Korps v. Below (I. Reserve) und v. Mackensen (XVII.) sollen von Norden angreifen und Anschluß an das Korps v. Scholtz (XX.) gewinnen. Dieser Aufmarsch zur Schlacht ist trotz aller Friktionen, besonders beim Eisenbahntransport des I. Korps, beeindruckend. Das Korps benötigt zur Verlegung aller seiner Kräfte rund 150 Züge à 50 Waggons. Es stehen trotz rigoroser Zusammenfassung nicht genügend Waggons zur Verfügung. Der Verkehr muß auf weitgehend eingleisigen Strecken gegenläufig organisiert werden. Die Transporte werden zur Entladung bis unmittelbar hinter die Front gefahren und treten von der Bahn ins Gefecht. Die beiden von Norden zu Fuß anmarschierenden Korps (v. Below und v. Mackensen) legen in der sommerlichen Hitze mit vollem Gepäck auf unbefestigten Wegen teilweise Tagesetappen von 60 Kilometern zurück. Zum Vergleich sei hier angemerkt, daß die 2. Narew-Armee in 14 Tagen lediglich 230 Kilometer zurückgelegt hat und trotz dieser deutlich geringeren Marschleistung wiederholt bei der Nordwestfront um Genehmigung eines Ruhetages gebeten hat. Während von Hindenburg über so präzise Informationen hinsichtlich des Feindes verfügt, daß er trotz aller krisenhaften Entwicklungen während der Schlacht an seinem Entschluß festhalten kann, fast alle seine Kräfte im Süden Ostpreußens gegen die 2. Narew-Armee zusammenzufassen, lebt die russische Führung in dem Glauben, die 8. Armee sei auf dem Weg hinter die Weichsel und in die Festung Königsberg. Sie hat die Verlegung der Kräfte, insbesondere den Eisenbahntransport des I. Korps (v. François), nach Süden gegen die 2. Narew-Armee nicht erkannt! Nachdem am 26. August abends die Kräfte des I. Korps annähernd vollzählig verfügbar sind, tritt General der Infanterie v. François am 27. August zum Angriff an. Das I. russische Korps wird am 27. August vollständig geschlagen und weicht nach Südosten über die Grenze aus beziehungsweise flieht. Eine sehr bewegliche Führung aus den vordersten Linien und eine straffe Zusammenfassung der Artillerie auf deutscher Seite triumphieren über eine entschlußlose und zögerliche Führung auf der russischen Seite. Samsonows linker Flügel existiert nicht mehr. Ebenfalls am 27. August greifen die von Norden anmarschierenden Korps v. Mackensen und v. Below (XVII. und I. Reserve) aus dem Marsch heraus das nach Norden marschierende VI. russische Korps, den rechten Flügel Samsonows, an. Das VI. Korps wird bei der Rast ohne entsprechende Sicherung überrascht und weicht unter schweren Verlusten schon nach kurzem Gefecht fluchtartig nach Süden aus. Es wird nur in der Endphase der Schlacht noch einen zaghaften Angriff wagen. Auch der rechte Flügel Samsonows ist damit geschlagen. Auch das zentrale XX. Korps (v. Scholtz) tritt aus seinen Verteidigungsstellungen zum Angriff an und kann Raum gegen die zentralen russischen Korps (XIII. und XXIII.) gewinnen. Die 2. Narew-Armee beginnt auf ihrer ganzen Breite zu wanken. Nun beginnt die Endphase der Schlacht mit dem von v. Hindenburg anvisierten Ziel, die Masse der 2. Narew-Armee einzuschließen. Das Ganze entwickelt sich jetzt zu einem Wettlauf mit der Zeit, um möglichst keine Truppen der zentralen russischen Korps mehr aus der beginnenden Einschließung entkommen zu lassen. Im Westen und Norden wird der Kessel vom XX. und I. Reserve-Korps (v. Scholtz und v. Below) gebildet. Im Süden soll das I. Korps (v. François) den Kessel schließen. Dazu treibt v. François seine Kräfte in Höchstgeschwindigkeit nach Osten über Neidenburg bis nach dem südlich von Ortelsburg gelegenen Willenberg voran. Zum Schutz seiner rechten Flanke gegen das ausgewichene I. russische Korps setzt er lediglich eine Landwehrbrigade ein. Das XVII. Korps (v. Mackensen) setzt seinen Eilmarsch nach Süden fort, um bei Willenberg die Verbindung zu v. François herzustellen und den Kessel im Osten zu schließen. Das VI. russische Korps setzt zwar noch einmal zu einem Angriff von Osten in die linke Flanke des Korps v. Mackensen an, flieht aber schon nach der ersten Berührung bei Ortelsburg wieder. Im Süden tritt noch einmal eine krisenhafte Entwicklung der Lage im Raum Neidenburg ein. Feldfliegerkräfte melden sowohl der 8. Armee als auch v. François, daß auf der Straße von Süden nach Neidenburg Kräfte in Stärke eines Korps anmarschieren. Es kann sich nur um das schon geschlagene I. russische Korps handeln. François rafft alle verfügbaren Kräfte gegen diesen Angriff zusammen, noch bevor v. Hindenburg ihm Kräfte zur Verstärkung schickt. Die Russen greifen nur sehr zögerlich auf Neidenburg an, nehmen die Stadt zwar, weichen aber sofort wieder aus, als sie die drohende Einschließung erkennen. Die Krise ist vorüber. Im Kessel ist jetzt die Masse von drei russischen Korps eingeschlossen. Diese Kräfte unterliegen keiner einheitlichen Führung mehr. Keiner der Generale ergreift die Initiative, einen Ausbruch zu organisieren. Die Truppenteile fließen in zunehmender Desorganisation durcheinander. Es herrscht Chaos. Die gesamte Südfront des Kessels besteht auf 40 Kilometer Länge im wesentlichen nur aus einzelnen Maschinengewehren, eingesetzt entlang von Straßen und Wegen. Ein Ausbruch entschlossener Kräfte wäre nicht zu verhindern. Trotzdem bleibt ein Ausbruchversuch aus. Staat dessen gehen im Kessel 92.000 russische Soldaten in Gefangenschaft, davon 13 Generale. Es werden von den Deutschen große Mengen Beutegut, Pferde, Geschütze und Waffen aller Art eingesammelt. Die 2. Narew-Armee existiert nicht mehr. General von Hindenburg wird sich unverzüglich der in seinem Rücken stehenden 1. Njemen-Armee zuwenden, um auch diese zu schlagen. Die am 1. September beginnende Schlacht an den Masurischen Seen wird ebenfalls ein großer Sieg werden. Allerdings entzieht sich v. Rennenkampf durch schnelles Ausweichen dem Schicksal, wie Samsonow eingeschlossen zu werden. Es soll ein Rennen ohne Kampf werden. „Nach Leipzig, Metz und Sedan steht Tannenberg als die größte Einkreisungsschlacht da, die die Weltgeschichte kennt. Sie wurde im Gegensatz zu diesen gegen einen an Zahl überlegenen Feind geschlagen, während gleichzeitig beide Flanken von weiterer Übermacht bedroht waren. Die Kriegsgeschichte hat kein Beispiel einer ähnlichen Leistung aufzuweisen – bei Cannae fehlte die Rückenbedrohung.“ Mit diesen Worten hat 1925 das Reichsarchivwerk, die deutsche amtliche Darstellung des Ersten Weltkrieges, die Schlacht gewürdigt.
Zahlenmäßig war die 8. Armee ihrem Gegner weit unterlegen. 173.000 deutschen Soldaten standen 485.000 Russen gegenüber. Die Deutschen verfügten über 782 Geschütze gegenüber 1.620 russischen. Einer Kavalleriedivision standen zehn russische gegenüber. 13 deutsche Infanteriedivisionen traten gegen 21 russische an. Diese Unterlegenheit konnte die 8. Armee durch Erfolge im sogenannten Kampf um die Informationsüberlegenheit zumindest teilweise kompensieren. Konsequent setzte sie alle Kräfte und Mittel zur Aufklärung ein. Die 1. Kavalleriedivision kam nicht zur Ruhe. Die Feldfliegerkräfte waren pausenlos im Einsatz, sowohl zur Aufklärung als auch zum Übermitteln von Meldungen. Die Funkstationen in den Festungen Königsberg, Lötzen, Thorn und Graudenz wurden fast ausschließlich zur Horchaufklärung eingesetzt, nachdem man erkannt hatte, daß die Russen unverschlüsselt funkten. Demgegenüber wurde die russische Kavallerie in erster Linie als Schlachtenkavallerie statt zur Aufklärung eingesetzt. Die russischen Feldfliegerkräfte wurden aus unbekannten Gründen fast nicht eingesetzt. Der Funkverkehr wurde unverschlüsselt abgewickelt, weil der Wechsel der Schlüsselcodes nicht klappte. Darüber hinaus war der die 1. Njemen-Armee befehligende General der Kavallerie von Rennenkampf der Ansicht, es sei durchaus vorteilhaft, wenn die Deutschen den Funkverkehr mithörten. Die Einzelheiten über den Vormarsch der russischen Kräfte sollten die Deutschen demoralisieren. Wie den Kampf um die Informationsüberlegenheit gewann die 8. Armee schließlich auch die Schlacht. Die 2. Narew-Armee wurde vernichtend geschlagen. Auf zwei deutsche Soldaten kam ein im Kessel in Gefangenschaft geratener Russe.
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