Rede 
des sächsischen Ministerpräsidenten, Prof. Dr. Georg Milbradt, 
beim Deutschlandtreffen der Ostpreußischen Landsmannschaft 
am 22. Mai 2005 in Berlin
 Sehr 
geehrter Herr von Gottberg, 
meine sehr geehrten Damen und Herren, 
ich freue mich, dass ich heute am Abschlusstag 
Ihres diesjährigen Deutschlandtreffens zu Ihnen sprechen darf. Ich grüße alle 
heimatvertriebenen Ostpreußen und deren Angehörigen, die den oft weiten Weg nach 
Berlin auf sich genommen haben, um sich gemeinsam ihrer Heimat zu erinnern.  
In den Jahren 2000 und 2002 sind Sie zu Ihren 
Deutschlandtreffen nach Sachsen gekommen, in die Neue Messe nach Leipzig.  
Vielen Dank! 
Die Neue Messe in Leipzig ist natürlich ein 
großartiger Ort, um sich zu treffen. Vor allem aber liegt Leipzig in Sachsen, 
wohin es nach dem Kriegsende vor 60 Jahren eine Million Vertriebene verschlug; 
im Gebiet der ehemaligen DDR waren es rund vier Millionen und damit fast ein 
Drittel der damaligen Bevölkerung. 
Die Vertreibung war in der DDR immer ein Tabu. 
Die Vertriebenen galten offiziell als Umsiedler und hatten über ihr Schicksal 
Stillschweigen zu bewahren. Sie durften sich nicht organisieren, um ihre Kultur 
und die Erinnerung an die verlorene Heimat zu pflegen. Es war ihnen lediglich 
gestattet, sich tatkräftig am Aufbau des zerstörten Landes zu beteiligen, und 
das haben sie mit beispielhaftem Einsatz auch getan. 
Nach der friedlichen Revolution in der DDR waren 
auch die dort lebenden Vertriebenen endlich frei, über ihr Schicksal zu sprechen 
und in den neugegründeten Vertriebenenverbänden ihre Kultur und Identität zu 
pflegen. Aber Deutschland war mit anderen Themen beschäftigt. Von Ostdeutschland 
ist seit 1990 ständig die Rede, aber gemeint ist natürlich nicht Ihre Heimat, 
sondern die fünf neuen Bundesländer, die für Sie Mitteldeutschland sind. 
Angesichts der ungeheuren Aufgabe, die der Aufbau Ost darstellt, ist es kein 
Wunder, dass im heutigen Ostdeutschland oft anderes auf der politischen 
Tagesordnung stand, als die legitimen Forderungen der Vertriebenen nach 
Anerkennung des ihnen angetanen Unrechts und die Erinnerung an das alte 
Ostdeutschland, die ehemaligen preußischen Provinzen jenseits von Oder und 
Neiße.  
Aber seit einigen Jahren bewegt das Thema der 
Vertreibungen wieder viele Menschen auch bei uns in Sachsen und in den anderen 
neuen Bundesländern. Bücher wurden geschrieben, Filme gedreht, Diskussionsrunden 
veranstaltet, die sich mit dem Vertreibungsunrecht auseinandersetzten.  
    
Mehr als fünf Jahrzehnte lang haben wir Deutschen 
die grauenvollen Abgründe unserer Geschichte zwischen 1933 und 1945 erforscht. 
Wir haben dokumentiert, welches Unrecht Deutsche an ihren Mitmenschen und 
Nachbarvölkern begingen, welches Leid sie über die Welt brachten und welche 
ungeheuerlichen Verbrechen sie am jüdischen Volk verübten. Wir haben der 
entsetzlichen Wahrheit ins Angesicht geblickt, versucht zu verstehen, wie so 
etwas geschehen konnte und beim Aufbau der Bundesrepublik die Konsequenzen 
gezogen. Die Ablehnung jeder Form von Rassismus und das Einstehen für Freiheit, 
Demokratie und Menschenrechte. 
Wir haben angesichts der so genannten ethnischen 
Säuberungen auf dem Balkan und angesichts des Genozids an den Tutsi in Ruanda 
begriffen, dass es sich um hochaktuelle Probleme handelt. Verbrechen, von denen 
viele in Deutschland hofften, dass sie nie mehr vorkommen würden. Weltweit sind 
mehr als 40 Millionen Menschen Flüchtlinge, und fast jeden Tag kommen neue 
hinzu, beispielsweise in Darfur, wo die Vertreibungen entgegen allen 
UN-Resolutionen weitergehen. Das machte und macht die von den Nazis begangenen 
Verbrechen nicht weniger schrecklich. Das konnte und kann keine Ausrede dafür 
sein, einen Schlussstrich unter diesen düsteren Teil unserer Vergangenheit 
ziehen zu wollen. Geschichte kann man nicht abrechnen, nicht entsorgen.  
Aber es lenkte den Blick darauf, dass auch 
Deutsche Opfer von schrecklichen Verbrechen geworden waren. Man kann nicht die 
Vertreibung der Afrikaner in Darfur durch arabische Milizen richtigerweise 
verurteilen und zugleich über die Vertreibung von mehr als 15 Millionen 
Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges schweigen. Man sollte Mitleid 
empfinden mit den traumatisierten Menschen in den Flüchtlingslagern dieser Welt. 
Aber man sollte auch Mitgefühl mit den Vertriebenen bei uns und ihren 
traumatischen Erfahrungen haben. Wir dürfen das Unrecht der Vertreibung nicht 
verschweigen oder gar leugnen, nur weil es für manchen politisch nicht opportun 
oder gar politisch inkorrekt ist.  
Insbesondere die Kommunisten, aber auch nicht 
unmaßgebliche Kräfte in Westdeutschland waren bestrebt, den Mantel des 
Schweigens über das Schicksal der Vertriebenen zu breiten. Wer an das Unrecht 
erinnerte, das ihnen angetan worden war, wurde als Revanchist diffamiert, wer 
von Deutschen als Opfern sprach, wurde als Feind des Friedens und der 
Völkerverständigung oder gar als Neofaschist in die rechte Ecke gestellt. 
Doch seit einigen Jahren ist das zum Glück besser 
geworden. Gerade der dem linken Spektrum zuzuordnende Schriftsteller Günter 
Grass hat mit seiner Novelle „Im Krebsgang“ dafür gesorgt, dass wieder über 
Flucht und Vertreibung gesprochen wurde und über die Millionen von Menschen, die 
damals die Hauptlast der deutschen Niederlage zu tragen hatten.  
Auch dank dieser Debatte sehen heute, 60 Jahre 
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, viele Menschen genauer hin und erkennen, 
dass die Befreiung vom Nationalsozialismus nur die eine Seite dieses Kriegsendes 
war. Die andere Seite waren Flucht und Vertreibung, Besatzung und neue 
Unterdrückung in den von der sowjetischen Armee besetzten Ländern.  
Gewiss, diese Vertreibung hatte eine 
Vorgeschichte. Es waren Deutsche, die zuerst die fundamentalen Menschenrechte 
verletzt hatten. Es waren Deutsche, die einen Krieg gegen die Menschlichkeit 
geführt hatten und auch vor dem Mittel der Vertreibung nicht zurückschreckten. 
Diese Schuld muss gesühnt werden. Aber Schuld kann immer nur individuell 
zugerechnet werden. Man kann nicht ein ganzes Volk vor Gericht stellen und 
bestrafen, sondern nur den einzelnen Täter. Es gibt keine Kollektivschuld, wohl 
aber eine Kollektivscham.  
Zugleich gilt der Satz: Unrecht kann nicht neues 
Unrecht legitimieren. Deutsche haben mit dem Vertreibungsunrecht begonnen, hier 
in Berlin, als sie 1933 beschlossen, ihre jüdischen Mitbürger ins Exil zu 
treiben, ihnen ihre Heimat und ihre Identität als Deutsche zu nehmen und sie 
später auch zu ermorden.  
Von meinen Eltern habe ich erfahren, dass nach 
1939 ihre polnischen Nachbarn aus der ehemaligen Provinz Posen diskriminiert und 
vertrieben wurden, um das Land zu germanisieren. 
Das gleiche Schicksal von Flucht und  Vertreibung 
aus ethnischen Gründen traf bei und nach Kriegsende auch die Deutschen, deren 
Familien seit Jahrhunderten in Ostpreußen, Pommern, Schlesien, im Sudetenland 
oder anderen Regionen Mittel- und Osteuropas lebten. Alle diese Vertreibungen 
waren ungerechtfertigt, denn nichts kann Menschenrechtsverletzungen 
rechtfertigen. Heimat aber ist ein Menschenrecht, weil sie mehr ist als der Ort, 
an dem wir zufällig leben.  
Heimat ist, wie es die Charta der deutschen 
Heimatvertriebenen ausdrückt, der Ort, in den Gott die Menschen hineingestellt 
hat. Der Ort, der mit seiner Geschichte, seiner Landschaft, seiner Sprache und 
seinen Menschen die Identität eines jeden von uns prägt. Heimatvertriebene 
verlieren daher mehr als nur ihre materiellen Bindungen, ihr Hab und Gut. Sie 
werden – und das finde ich das Schlimmste – auch ihrer Identität beraubt. „Den 
Menschen mit Zwang von seiner Heimat zu trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten“, 
formuliert die Charta der Heimatvertriebenen. 
Dieser Identitätsverlust ist schmerzlicher als 
der materielle Verlust. Das wird schon immer so empfunden. Das Wort Elend leitet 
sich ab von dem altsächsischen Adjektiv eli-lendi, was bedeutet: in fremdem 
Land, ausgewiesen. Wer des Landes verwiesen wurde, wen die Strafe der Verbannung 
traf, ging ins Ausland und damit ins Elend. Der Verlust der eigenen Identität 
galt früher als schreckliche Strafe. Und das ist bis heute so. 
Wir betrachten des Recht auf Heimat deshalb als 
ein Menschenrecht. Es ist genauso unveräußerlich wie jedes andere Menschenrecht. 
Die Vertreibung aus der Heimat ist eine Menschenrechtsverletzung, die durch 
nichts zu rechtfertigen ist. Und erst recht gibt es keine Rechtfertigung für 
Repressalien gegen Wehrlose, gegen Frauen und Kinder. Das weltweite Entsetzen 
angesichts der ermordeten Kinder in Beslan hat das deutlich gezeigt. 
Unrecht darf aber nicht mit Unrecht vergolten 
werden. Es ist den deutschen Heimatvertriebenen deshalb hoch anzurechnen, dass 
sie in ihrer Charta vom 5. August 1950 auf Rache, auf Vergeltung verzichtet 
haben. Das war in einer Zeit, als die Wunden der Vertreibung noch frisch waren. 
Mehr noch: Die deutschen Heimatvertriebenen haben damals den Völkern der Welt 
ein großartiges Versöhnungsangebot gemacht:  
  „Wir rufen Völker und Menschen auf, die guten 
  Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut 
  und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.“ 
 
Meine Damen und Herren, 
55 Jahre später ist diese bessere Zukunft 
angebrochen. Deutschland und Europa sind wieder vereint. Hinter uns liegen sechs 
Jahrzehnte des Friedens und wachsenden Wohlstands.  
Die Millionen deutscher Heimatvertriebenen haben 
dazu einen maßgeblichen Beitrag geleistet, beim wirtschaftlichen Aufbau des 
Landes wie bei der friedlichen Integration Europas. Damit ist auch insbesondere 
die Leistung der Vertriebenen in der DDR gemeint, die über ihr Schicksal nicht 
sprechen durften und darunter sehr gelitten haben. Doch auch sie haben ihre 
Heimat nicht vergessen, haben ihr Brauchtum weiterhin gepflegt und an die 
jüngere Generation weitergegeben. Diese Beharrlichkeit hat sich 1990 ausgezahlt, 
als das Recht auf Heimat in die sächsische Verfassung aufgenommen wurde. Darauf 
können die Vertriebenen und darauf können wir in Sachsen stolz sein.  
    
Vor allem aber haben die Heimatvertriebenen sich 
von Anfang darum bemüht, freundschaftliche Kontakte zu den Menschen in ihrer 
alten Heimat zu knüpfen. Ohne das Engagement der heimatvertriebenen Ostpreußen 
und ihrer Familien beispielsweise gäbe es heute wesentlich weniger Leben in den 
Alltagsbeziehungen von Deutschen, Polen, Russen und Litauern. Denn sie beließen 
es nicht dabei, ihre alte Heimat zu besuchen. Sie haben dort auch Menschen 
kennen gelernt, für die Ostpreußen genauso Heimat war oder geworden war, die 
genauso an der Landschaft hingen und die historische kulturelle Vielfalt zu 
schätzen wussten. 
Sie konnten die anfängliche Angst und Skepsis 
überwinden, die ihnen entgegengebracht wurde. Und nach dem Fall des Eisernen 
Vorhangs kamen sie nicht, um ihr Eigentum zurückzufordern. Sondern im Gegenteil 
um zu helfen, bei der Restaurierung von Kirchen, bei der Erhaltung von 
Friedhöfen, beim Ausbau von Bibliotheken.  
Die Heimatkreisverbände der Landsmannschaft Ostpreußen engagieren sich hier in 
besonderer Weise. Sie übernehmen in vorbildlicher Weise Patenschaften mit 
polnischen Gemeinden, die nicht nur der deutschstämmigen Bevölkerung zugute 
kommen, sondern genauso den Polen – nicht mit irgendwelchen Rückforderungen im 
Hinterkopf, sondern aus Liebe zur Heimat.  
Sie errichten Sozialstationen, schicken 
Hilfstransporte, helfen bei der Einrichtung von Alten- und Kinderheimen. Bei 
meinen Besuchen in Polen sehe ich immer wieder mit Freude, wie das Land 
aufblüht. 
Für dieses großherzige und völkerverbindende 
Engagement möchte ich Ihnen ganz herzlich danken! 
Deutsche und polnische Kommunalpolitiker treffen 
sich regelmäßig zu kommunalpolitischen Kongressen, die Bernhard Hinz so treffend 
als Teil der „eigenständigen kommunalen Außenpolitik“ der Heimatvertriebenen 
bezeichnet hat.  
Ich freue mich ganz besonders, dass der nächste 
Kommunalpolitische Kongress der Landsmannschaft Ostpreußen im Oktober dieses 
Jahres in Dresden stattfinden wird, und ich darf Sie alle herzlich einladen, 
unsere Landeshauptstadt zu besuchen, die wir in den vergangenen 15 Jahren wieder 
wunderschön hergerichtet haben. 
Mit ihrem vorbildlichen Engagement haben die 
Heimatvertriebenen, ihre Kinder und Enkel Brücken gebaut. Brücken in die 
gemeinsame Vergangenheit, die wir als europäische wieder erkennen. Brücken in 
der Gegenwart, zu unseren Nachbarn. Und Brücken in die Zukunft, in der die 
Regionen, die bisher von Grenzen zerschnitten worden sind, wieder europäisch 
sein werden.  
Dass diese Brücken auch begangen werden, zeigt 
nicht zuletzt die jüngste Reportage des langjährigen ZDF-Korrespondenten in 
Moskau, Dirk Sager. Er berichtet in seinem Film „Königsberg – ferne fremde 
Heimat“ auch von den neuen Bewohnern, die in der Stalinzeit unter erbärmlichen 
Bedingungen nach Ostpreußen verpflanzt worden waren. Für sie ist die Geschichte 
ihrer Dörfer und Städte kein Tabu mehr – im Gegenteil: sie wollen ergründen, was 
einst den Reichtum dieser Kulturlandschaft ausmachte, den Reichtum ihrer neuen 
Heimat. 
Umgekehrt akzeptieren die Heimatvertriebenen, 
dass die Menschen, die seit sechs Jahrzehnten dort leben, wo früher Deutsche 
lebten, auch ein Recht auf ihre neue Heimat haben. Heimat ist in diesem 
Verständnis nicht nur eine Erinnerung an eine Jahrzehnte zurückliegende 
Vergangenheit, sondern auch Gegenwart und Zukunft. Der damalige Bundespräsident 
Richard von Weizsäcker hat das zum 40. Jahrestag des Kriegsendes in die Worte 
gefasst:  
    
  „Die Völker Europas lieben ihre Heimat. Den 
  Deutschen geht es nicht anders. Wer könnte der Friedensliebe eines Volkes 
  trauen, das imstande wäre, seine Heimat zu vergessen? Nein, Friedensliebe 
  zeigt sich gerade darin, dass man seine Heimat nicht vergisst und eben deshalb 
  entschlossen ist, alles zu tun, um immer in Frieden miteinander zu leben. 
  Heimatliebe eines Vertriebenen ist kein Revanchismus.“ 
 
Nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten 
haben die Heimatvertriebenen das immer wieder demonstriert. Ganz im Sinne der 
großen Ostpreußin Marion Gräfin Dönhoff, die gesagt hat: 
  „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der 
  höchste Grad der Liebe zur Heimat dadurch dokumentiert wird, dass man sich im 
  Hass verrennt gegen diejenigen, die sie in Besitz genommen haben. Wenn ich an 
  die Wälder und Seen Ostpreußens denke, an die weiten Wiesen und alten Alleen, 
  dann bin ich sicher, dass sie noch genauso unvergleichlich und schön sind wie 
  damals, als sie meine Heimat waren. Vielleicht ist dies der größte Grad der 
  Liebe: zu lieben, ohne zu besitzen.“ 
 
In diesem Geist sind die Heimatvertriebenen zu 
Vorreitern der europäischen Einigung geworden. Im Geist des Friedens, der 
Versöhnung, der Toleranz und der Achtung der Menschenrechte haben die 
Vertriebenen die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen.  
Nach dem Krieg meinten viele, die Lehre laute: 
„Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.“  
Dieser Satz verlangte und verlangt von uns, 
kriegerischen Bestrebungen und der nationalsozialistischen Ideologie 
entschlossen entgegenzutreten, Kriegstreibern und Rassisten in den Arm zu 
fallen. Wie schwierig die Umstände und wie groß die Herausforderungen auch immer 
sind, Nationalismus, Rassismus und Gewalt sind keine Lösung. 
Aber schnell wurde deutlich, dass diese Antwort 
unzureichend ist.  
Denn dieser Satz diente der DDR als 
staatslegitimierende Legende. Der sogenannte Antifaschismus rechtfertigte 
erneute Unfreiheit, Unterdrückung und Verfolgung, diesmal im Namen der 
kommunistischen Ideologie. Auch die Heimatvertriebenen mussten das leidvoll 
erfahren.  
Antinationalsozialismus allein kann also nicht 
die Antwort sein. 
Vielmehr müssen wir uns gegen jede Art von 
Unfreiheit und Unterdrückung wehren, auch wenn sie sich einen noch so 
humanistischen und fortschrittlichen Anstrich gibt.  
Die wichtigste Lehre aber, die auch die 
Heimatvertriebenen gezogen haben, lautet: Wir müssen jeden Tag aufs neue für 
Freiheit und Demokratie eintreten, für Selbstbestimmung und die Menschenrechte 
jedes Einzelnen, für Toleranz und Weltoffenheit. 
 
Denn nur dort, wo die Würde jedes Menschen respektiert wird, wo Meinungsfreiheit 
herrscht, wo Vielfalt gelebt wird und sich die Interessengruppen um einen fairen 
Interessenausgleich, um tragbare Kompromisse bemühen – nur dort haben 
Unfreiheit, Unterdrückung und Menschenrechts-verletzungen keine Chance. 
    
Deshalb hat sich die Landsmannschaft Ostpreußen 
vor fünf Jahren von der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen getrennt, weil sie 
rechtsextremistisches Gedankengut vertritt, dessen Folge schon einmal Krieg, 
Gewalt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sind, und eben auch die 
Vertreibung der Deutschen.  
Deshalb auch haben sich die deutschen 
Heimatvertriebenen auf den Weg der Versöhnung begeben, und sie haben sich auch 
nicht von den Anfeindungen derjenigen beirren lassen, die ihnen Heimattümelei 
oder revanchistische Umtriebe nachsagten, die sie zu diffamieren und 
auszugrenzen versuchten. 
Das war nicht leicht und dafür verdienen Sie alle 
großen Respekt! 
Die Landsmannschaft hat den Dialog gesucht, von 
dem das Motto des Deutschlandtreffens spricht. Einen Dialog, der immer wieder an 
unsere Vergangenheit anknüpft. Denn nur, wer sich seiner Identität, seiner 
Herkunft sicher ist, kann sich einer anderen Kultur öffnen, ohne dass er sich 
von ihrer Andersartigkeit bedroht fühlt. Nur wer sein eigenes Volk liebt, kann 
andere Völker achten. 
Das ist letztlich der Sinn von Heimat: verwurzelt 
zu sein, geborgen zu sein, Halt und Orientierung zu haben. Doch ohne sich selbst 
und die eigene Kultur absolut zu setzen. Denn wohin es führt, wenn ein Volk sich 
absolut setzt, das wissen wir Deutschen und das haben unsere Nachbarn leidvoll 
erfahren.  
Wir sind es den Millionen von Opfern schuldig, 
weiterhin im Gespräch zu bleiben über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wir 
dürfen das Gespräch, das nach dem Ende des zweiten Weltkrieges so mühevoll 
begonnen worden ist, nie wieder abreißen lassen. 
Mehr noch: wir müssen uns gegen alle wehren, die 
diesen Dialog stören wollen. Wir müssen denen Einhalt gebieten, die wieder mit 
nationalistischen Ideen und Parolen auf Stimmenfang gehen, und zwar hier bei uns 
in Deutschland wie leider auch in unseren Nachbarländern.  
Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Radikalen 
die Zukunft Europas ruinieren, an der auch wir so lange und beharrlich 
gearbeitet haben. Das Menschenrecht auf Heimat ist bei solchen Leuten – das sage 
ich ganz ausdrücklich – denkbar schlecht aufgehoben.  
Aber auch, meine Damen und Herren, wer einfach 
unter die Vergangenheit einen Schlussstrich ziehen will, tut unserem Dialog 
keinen Gefallen.  
Denn wo Denk- und Sprechverbote herrschen, ist ein Gespräch nicht möglich – und 
damit auch eine Verständigung nicht. Schweigen schafft Misstrauen, und das kann 
auf Dauer nicht gut sein für Europa, auch wirtschaftlich nicht. Schließlich 
braucht auch ein einheitlicher europäischer Markt Vertrauen. 
Was für ein wichtiges Kapital Vertrauen ist, das 
zeigt die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung. Und sie zeigt auch, dass 
Europa mehr ist als eine große Freihandelszone mit 455 Millionen Konsumenten. 
Europa ist eine Gemeinschaft von Menschen mit gemeinsamer Geschichte, Kultur und 
Werten. 
Das sind die Ideen der Antike und die 
jüdisch-christliche Geistestradition. Dazu gehört auch die Renaissance, die den 
einzelnen Mensch in den Mittelpunkt rückt. Ebenso wie die Aufklärung, die den 
Gebrauch des Verstandes und Toleranz lehrt – wir alle denken dabei an den 
Königsberger Immanuel Kant.  
    
All diese Geisteskräfte haben Europa geprägt. 
Jahrhundertelang haben wir Europäer das Individuum in den Mittelpunkt unseres 
Denkens und Handelns gestellt. Die Würde des Menschen, die Achtung des freien 
Willens, die Kraft des menschlichen Verstandes ist Grundlage und Ausdruck 
unserer europäischen Kultur, unserer gemeinsamen europäischen Wurzeln jenseits 
unserer verschiedenen Sprachen.  
Auf dieser Grundlage entstand seit dem 
Mittelalter unsere gemeinsame europäische Identität. Mit dem Fall des Eisernen 
Vorhangs und der Wiedervereinigung Europas am 1. Mai vergangenen Jahres konnten 
wir uns auf diese Identität stützen, auch wenn sie oft verschüttet war. Sie ist, 
auch dank der Heimatvertriebenen, in den fast sechs Jahrzehnten von Diktatur und 
Spaltung in Europa nicht verloren gegangen. Das ist das Ergebnis des Dialoges, 
der auch in Zeiten der Teilung Europas nie abgebrochen ist, und der den 
deutschen Heimatvertriebenen, ganz besonders am Herzen lag – getreu dem Motto: 
„Im Dialog der Heimat dienen.“Diesen Dialog über Kultur- und Sprachgrenzen 
hinweg müssen wir immer wieder führen, so wie wir jeden Tag aufs neue um die 
Demokratie ringen müssen, die so leicht zu verlieren und so schwer zurück zu 
gewinnen ist. Beides setzt nicht nur eine gewisse Bereitschaft voraus, sondern 
auch das Wissen darum, was geschieht, wenn wir den Dialog abbrechen und uns von 
der Demokratie abwenden.  
Wir erinnern deshalb zu Recht immer wieder an das 
Leid der Opfer des Nationalsozialismus. Und wir werden das auch tun, wenn keiner 
der Überlebenden von Krieg und Holocaust mehr lebt.  
Genauso werden wir die Erinnerung an die 
heimatvertriebenen Deutschen und an den großartigen Beitrag wach halten, den 
Deutsche in den vergangenen Jahrhunderten zur Entwicklung von Regionen 
beigetragen haben, aus denen sie vertrieben wurden. Das Erinnern sind wir den 
Opfern und unseren Vorfahren schuldig.  
Die Heimatvertriebenen haben sich dieser Aufgabe 
in vorbildlicher Weise gewidmet. Sich zu erinnern ist aber unser aller Pflicht. 
Niemand darf sich dem Erinnern entziehen, denn Geschichtsvergessenheit und 
bewusstes Verdrängen sind der Nährboden für neues Unglück. Das Erinnern an das, 
was tatsächlich geschah, ist kein Revanchismus und keine Verfälschung oder 
Relativierung der Geschichte. Im Gegenteil: Niemand hat das Recht, das Erinnern 
zu verbieten oder zu diskreditieren.  
Die Geschichte der ehemals deutsch besiedelten 
Gebiete wach zu halten, an das Schicksal der Vertreibung zu erinnern und einen 
Dialog mit allen Völkern zu führen ist die Aufgabe jeder neuen Generation. Der 
Bundespräsident hat in seiner Rede zum 60. Jahrestag des Kriegsendes gesagt, 
dass er  großes Zutrauen zu den Jungen hat.  
  „Sie lassen sich nichts vormachen und fallen 
  nicht auf falsche Versprechungen herein. Sie ringen um eigene Antworten und 
  misstrauen jedem, der ihnen erzählt, er hätte schon alle Antworten. Sie sind 
  weltoffen und stehen zu ihrem Land. Sie wissen, was ihre Eltern – die 
  Generation der Kriegskinder – aufgebaut haben, und sie wollen etwas Eigenes 
  leisten.“ 
 
Genau so sehe ich das auch, und deshalb bin ich 
zuversichtlich, dass die Jugend den Dialog fortführen wird, den Sie, die 
Heimatvertriebenen, mit Ihrer Charta vor 55 Jahren begonnen haben.  
Sie wird dieses Gespräch auch weiterhin in Gang 
halten und im Interesse künftiger Generationen Europas Zukunft mitgestalten. Wir 
alle, die Jungen und die Alten wollen ein Europa, das das Recht auf Heimat von 
ganzem Herzen bejaht.  
Allen Ostpreußen ein herzliches Glück auf! 
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