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Was waren die Ursachen jener Gewalt-Orgie? Wie konnte es zu diesen fürchterlichen Ereignissen kommen? Was waren die Ursachen jener Orgie von Gewalt in der Zeit um 1944/45? Wie lassen sich die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen erklären? Vorab dazu: Jeder Krieg ist eine Gewaltveranstaltung, in der Menschen – Soldaten und Zivilisten – getötet oder verletzt werden. Vergewaltigungen waren nicht immer, aber häufig Teil des Kriegsgeschehens. Neuere Beispiele sind der Krieg auf dem Balkan und der Bürgerkrieg im Kongo; hier wurde – wie Amnesty international in einem Plakat formuliert – Vergewaltigung als „Kriegswaffe“ eingesetzt. Schließlich ist allgemein bekannt, dass auch in Friedenszeiten Vergewaltigungen nicht selten vorkommen, dies nicht nur in Indien. Alle diese Tatsachen reichen jedoch nicht aus, um das ungeheuerliche Ausmaß der Massenvergewaltigung deutscher Frauen und Mädchen 1944/45 zu erklären. Aber wie sind diese Kriegsverbrechen dann zu erklären? Am 22. Juni 1941 begann Hitler seinen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion. Es wird gelegentlich darüber diskutiert, ob Hitler damit einem bevorstehenden Angriff Stalins seinerseits nur zuvorgekommen ist. Jedoch können solche Überlegungen hier dahingestellt bleiben. Tatsache ist, dass Hitler an jenem Tag die Sowjetunion überfallen hat – ein Ereignis, das sich verständlicherweise tief in das russische Bewusstsein eingegraben hat. Im Verlauf dieses Angriffskrieges besetzte die deutsche Wehrmacht große Teile der Sowjetunion. Deutsche Soldaten standen dicht vor Moskau, Leningrad war eingeschlossen und in und um Stalingrad wurde erbittert gekämpft. Stalingrad wurde zur Wende des Krieges. Von nun an marschierten nicht mehr die deutschen Armeen ostwärts, sondern die russischen Armeen westwärts. Die „heilige russische Erde“, an vielen Stellen nur noch verbrannte Erde, wurde nun Stück um Stück zurückerobert. Hitlers Angriffskrieg hatte großes Leid über die russische Bevölkerung gebracht. Unendlich viele Menschen hatten ihr Leben oder Angehörige verloren, Juden waren ermordet worden, Städte und Dörfer zerstört. Eine unselige NS-Besatzungspolitik hatte die bei einzelnen Bevölkerungsteilen‚ etwa in der Ukraine, ursprünglich durchaus vorhandenen Sympathien für die deutschen Soldaten zunichte gemacht. Alle diese Gründe machen es verständlich, dass die russischen Soldaten beim Betreten deutschen Bodens in Erinnerung an Hitlers Angriffskrieg und dessen Folgen nicht gerade von freundlichen Gefühlen gegenüber der deutschen Bevölkerung erfüllt waren. Aber warum kam es zu jener Orgie der Gewalt gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung und speziell gegenüber Frauen und Mädchen? Alle Kriege sind, wie bereits erwähnt, Gewaltveranstaltungen. Aber nicht in allen Kriegen kommt es zu Massenvergewaltigungen von Frauen und Mädchen. In keinem Krieg sind so viele Frauen und Mädchen Opfer von Gewalt geworden wie 1944/45 deutsche Frauen und Mädchen. Auch gab es einen auffallenden, unübersehbaren Unterschied zwischen dem Verhalten der Soldaten der alliierten Siegermächte: In der britischen Besatzungszone gab es fast überhaupt keine Vergewaltigungen deutscher Frauen durch britische Soldaten, in der amerikanischen Besatzungszone einige, mehr dagegen durch französische Soldaten (vor allem in Freudenstadt im Schwarzwald und in Stuttgart). Die Zahl der vergleichsweise wenigen von amerikanischen, britischen und französischen Soldaten begangenen einschlägigen Gewalttaten steht mithin in keinem Verhältnis zu den durch die russischen Soldaten verübten massenhaften Vergewaltigungen, die noch dazu durch besondere Grausamkeit gekennzeichnet waren. Woraus resultiert der Unterschied im Verhalten der Soldaten der verschiedenen Nationen? Da nicht anzunehmen ist, dass die russischen Männer andere Gene haben als die amerikanischen, britischen, französischen und deutschen Männer (Vergewaltigungen sind immer das Werk von Männern), muss es spezielle äußere Ursachen für die innere Haltung der russischen Soldaten 1944/45 gegeben haben. Zu nennen ist hier zunächst das Wissen um das große Leid der eigenen Bevölkerung während der deutschen Besetzung. Rache nehmen war ein bestimmendes Motiv. Der russische Schriftsteller Anatoli Streljanyi zitiert aus einem Gespräch, das er nach Kriegsende mit einem anderen russischen Schriftsteller hatte, der als Soldat im Krieg in Deutschland war: „Ich erinnere mich jetzt auch oft daran. ,Frau, komm!‘ bedeutete, sich am Feind zu rächen. Abends erzählten wir uns: ‚Ich habe mich heute dreimal gerächt, und du?‘“ Ein anderer russischer Schriftsteller, Alexander Solschenizyn, erwähnt das Nichtvergessenkönnen bei der Beschreibung der Vergewaltigung einer Frau in Neidenburg in seinem Gedichtband „Ostpreußische Nächte“ so: „Zweiundzwanzig, Höringstraße / Noch kein Brand, doch wüst geplündert. / Durch die Wand gedämpft – ein Stöhnen: Lebend find ich noch die Mutter. Waren’s viel auf der Matratze? / Kompanie? Ein Zug? Was macht es! / Tochter – Kind noch, gleich getötet. / Alles schlicht nach der Parole: Nichts vergessen! Nichts verzeih’n! / Blut für Blut – und Zahn für Zahn. / Wer noch Jungfrau, wird zum Weibe, / und die Weiber – Leichen bald. / Schon vernebelt, Augen blutig, / bittet: ‚Töte mich, Soldat!‘“ Für das Verhalten der russischen einfachen Soldaten war auch das Verhalten ihrer Offiziere von Belang. Von den Offizieren als Vorgesetzten der Soldaten hätte man erwarten können und müssen, dass sie den Vergewaltigungen Einhalt geboten hätten. Dies war aber nur selten der Fall. Im Gegenteil: Viele sowjetische Offiziere, die man als solche an ihren breiten Achselklappen und an ihren langen Offiziersmänteln erkennen konnte, haben sich an den Vergewaltigungen selber beteiligt und damit für die einfachen Soldaten ein negatives Vorbild gegeben. Offiziere waren auch an Gruppenvergewaltigungen beteiligt; so berichtet ein für einen Flüchtlingstreck verantwortlicher ehemaliger Bürgermeister aus dem Kreis Friedeberg in Pommern, dessen Treck in einem Ort in der Neumark von russischen Truppen eingeholt worden war: „Meine Nichte wurde von 14 russischen Offizieren im Nebenzimmer vergewaltigt“ (Günter Böddeker). Es kam sogar vor, dass ein russischer Offizier eine verängstigte deutsche Frau zunächst unter Hinweis auf seinen Offiziersrang beruhigte und sie dann dennoch vergewaltigte. Oft standen die Vergewaltiger unter Alkoholeinfluss. Ein russischer Soldat schrieb im Februar 1945 in einem Feldpostbrief nach Hause: „Nicht zu trinken ist hier unmöglich. Alles, was wir hier erleben, ist schwer zu beschreiben; wenn man getrunken hat, ist es einem leichter“ (Manfred Zeidler). Für die Gewaltexzesse der Rotarmisten 1944/45 lassen sich also etliche Erklärungen finden: Der in den Worten von Marschall Schukow Hass auf die „faschistischen Räuber“, die negative Rolle der sowjetischen Offiziere, der Alkoholismus, auch der sexuelle Hunger der Soldaten, die – anders als die Soldaten der Wehrmacht – keinen Heimaturlaub bekamen und für die keine Bordelle eingerichtet waren, und anderes mehr. Jedoch darf eine der wichtigsten Erklärungen nicht – etwa aus Gründen der „political correctness“ – unterdrückt werden: Zu erinnern ist an die unheilvolle Rolle von Ilja Ehrenburg, dem damaligen Chefpropagandisten der Roten Armee. Die Fundstellen der Zitate in diesem Zeitungsartikel sind in dem von dessen Verfasser erschienenen Buch „,Frau, komm!‘ Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45“ veröffentlicht.
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