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Der Krieg war fast pünktlich. Eine schwüle Sommernacht war gerade vergangen, als am 1. September 1939 um 4.45 Uhr, wie befohlen, das im Hafen von Danzig liegende Linienschiff „Schleswig-Holstein“ das Feuer auf die polnische Westerplatte eröffnete. Überall an der deutsch-polnischen Grenze preschten deutsche Panzer vor. Die Luftwaffe startete nach Osten. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen – ohne Kriegserklärung. Fünf Jahre, acht Monate und acht Tage dauerte die grauenvolle Gewalt an. Eine Stunde nach den ersten Schüssen verbreitete der Rundfunk eine Proklamation Adolf Hitlers: „Die Deutschen in Polen werden mit blutigem Terror verfolgt, von Haus und Hof vertrieben. Eine Reihe von für eine Großmacht unerträglichen Grenzverletzungen beweist, dass die Polen nicht mehr gewillt sind, die deutschen Reichsgrenzen zu achten. Um diesem wahnwitzigen Treiben ein Ende zu setzen, bleibt mir kein anderes Mittel, als von jetzt ab Gewalt gegen Gewalt zu setzen.“ In dieser Woche vor 80 Jahren hatten auch Gutgläubige die Hoffnung auf eine friedliche Lösung verloren. Noch eine Woche zuvor hatten sie gehofft, der Krieg lasse sich vermeiden. Und wenn es doch einen Krieg geben sollte, dann nur einen kurzen. Am 23. August hatten der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop und sein sowjetischer Kollege Wjatscheslaw Molotow einen Nichtangriffsvertrag im Beisein Josef Stalins unterzeichnet. Die Menschen atmeten auf, der Frieden schien gerettet. Was die Menschen nicht erfuhren: In einem geheimen Zusatzabkommen hatten Hitler und Stalin die Grenzen ihrer Expansion abgesteckt. Nur zwei Tage später, am 25. August 1939, setzte Hitler den Termin für den Angriff fest: Um 4.30 Uhr, in der Morgendämmerung des nächsten Tages, solle die deutsche Wehrmacht losschlagen. Aber die Frist des Friedens wurde noch einmal verlängert. Denn am 25. August erklärte Frankreich einmal mehr, an der Seite Polens zu stehen, ratifizierten England und Polen ein Militärabkommen, erhielt Hitler einen Brief von Benito Mussolini, in dem dieser warnte, die Zeit für einen Krieg sei noch nicht gekommen. Die Kriegsmaschinerie wurde in letzter Sekunde gestoppt. Die Soldaten, bereits auf dem Marsch, machten um 3 Uhr verwirrt kehrt Richtung Verfügungsraum. Am selben Tag lief die „Schleswig-Holstein“ in Danzig zu einem „Freundschaftsbesuch“ ein. Die Vorbereitungen des Krieges hatten sich nicht länger verbergen lassen. Es waren kleine Zeichen, die zur Bedrohung anwuchsen. Der Kaufmann an der Ecke bediente seine Kunden nicht mehr, er war eingezogen worden. Buslinien wurden eingestellt, weil die Busfahrer nun Lastwagen der Wehrmacht steuerten. In Polen seien die Bahnhöfe überfüllt von Juden, die versuchten, sich davon zu machen, hieß es in Presse- und Rundfunkmeldungen. Polen und Frankreich machten mobil. Der Alltag geriet aus den Fugen. Landkreise verlängerten die Ferien, damit Schüler bei der Ernte helfen konnten. Die Hitlerjugend appellierte an die Eltern, ihre Kinder auf dem Lande zu lassen, damit sie bei der Kartoffel- und Rübenernte helfen können. Und der Rundfunk ermahnte die Frauen, man erwarte nun, da die Männer zur Wehrmacht müssten, besondere Disziplin und Verständnis. Lebensmittel und kriegswichtige Rohstoffe wurden rationiert. Zwar hatte Hitler den für den 26. August vorgesehenen Angriff gestoppt, aber die Umstellung des zivilen Lebens auf den Kriegszustand hatte sich nicht mehr aufhalten lassen. So wurden am 27. August die längst gedruckten Lebensmittelkarten und Bezugsscheine für längerlebige Waren verteilt. Das System löste große Verwirrung aus. Niemand kam damit zurecht. Dabei hatte schlagartig in den Zeitungen eine Kampagne eingesetzt, die die verzwickten Regeln entwirren sollte: „Neben den für Zucker bekanntgegebenen Höchstmengen von 280 Gramm je Kopf und Woche ist mit Rücksicht auf die Einmachzeit die Möglichkeit gegeben, auf die Kartoffelabschnitte 1, 2, 3 je ein halbes Kilogramm Zucker zu beziehen. Fleischwaren können dreimal in der Woche bezogen werden, Für die mit ,Fleisch oder Fleischwaren‘ bezeichneten Abschnitte mit den Zahlen 3, 6, 9, 12 sind je 200 Gramm Fleisch abzugeben. Anstelle von einem halben Liter Vollmilch können auch 170 Gramm Kondensmilch bezogen werden. Ferner werden 80 Gramm Käse oder 160 Gramm Frischquark je Woche abgegeben, und zwar auf die mit ,Eier‘ bezeichneten Abschnitte.“ Solche Erklärungen waren das letzte Alarmsignal. Jeder wollte zu Hause sein, wenn das Unwetter losbricht. Fluchtartig verließen die Urlauber ihre Ferienquartiere. Die Rheinländer hatten noch Sommerferien, überall herrschte Hochbetrieb. Nun aber war der Weg heimwärts mit Schwierigkeiten gepflastert. Personenzüge fielen aus, sie transportierten jetzt Militär. An den wenigen Tankstellen bildeten sich lange Autoschlangen. Die Vorratstanks waren nahezu leer, die Wehrmacht hatte den Sprit beschlagnahmt. Ab 30. August wurde Benzin ohnehin nur noch gegen Berechtigungskarte aus begründetem Anlass abgeben. Selbstverständliches wurde plötzlich zur Mangelware. Seife zum Beispiel, auch wenn versprochen wurde „die Seifenbestimmungen haben teilweise einen Übergangscharakter. Jeder, der Rasierseife braucht, wird selbstverständlich seinen Schein dafür erhalten.“ Oder Schuhsohlen: „Nur solche Schuhsohlen dürfen erneuert werden, deren Lauffläche durchgelaufen ist.“ Der Krieg hatte begonnen, bevor auch nur ein Schuss
gefallen war. Am 31. August gab SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich das Schlüsselwort
zum Überfall auf den Sender Gleiwitz durch: „Konserven“. Im Reichstag rief Hitler
am 1. September: „Seit
5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen.“ Hitler hatte sich versprochen, die Schüsse
waren eine Stunde früher gefallen. Statt Braun trug er nun Feldgrau. Er erklärte,
er werde diesen Rock „nur ausziehen nach dem Sieg, oder ich werde dieses Ende nicht
mehr erleben.“ Hitler erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr. Acht
Tage vor der Kapitulation am 8. Mai 1945, stahl er sich durch Selbstmord aus seiner
Verantwortung.
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