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Der Weg in den Krieg

 


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Die deutschen Linienschiffe „Schleswig-Holstein“ und „Schlesien“ im Hafen von Danzig (September 1939) Foto: Wikimedia/Bundesarchiv

Die deutschen Linienschiffe „Schleswig-Holstein“ und „Schlesien“ im Hafen von Danzig
(September 1939) Foto: Wikimedia/Bundesarchiv
 


 

1. September 1939:
Der Weg in den Krieg

BERLIN. Vor 80 Jahren begann mit der Beschießung der Westerplatte bei Danzig der Zweite Weltkrieg. Die Ursachen für den Konflikt, der sich schließlich zum Weltbrand ausweitete, liegen jedoch weiter zurück.

Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof erläutert die Vorgeschichte des 1. September 1939:

 

Die Hypotheken von Versailles

Der Vertrag von Versailles schuf neben vielen anderen Schwierigkeiten drei Fakten für Polen und für Deutschland, die das nachbarliche Verhältnis beider Länder stark belasten sollten. Zum ersten wurde Danzig von Deutschland abgetrennt und zur teilsouveränen Republik „Freie Stadt Danzig“ erklärt, obwohl knapp 97 Prozent der Bewohner deutschsprachig waren. Damit wurde sie zu einem eigenen Staat gemacht.

Die Hypothek, die die Sieger den Danzigern dabei ins „Grundbuch“ schrieben, bestand darin, daß sie der Republik Polen besondere Zoll-, Post-, Bahn- und Handelsrechte in Danzig eingeräumt, sowie die außenpolitische Vertretung Danzigs zugesprochen hatten. Ansonsten stand die Freie Stadt unter dem Protektorat des Völkerbunds, also der Siegermächte selbst. Diese Konstruktion eines kleinen Staates mit dreigeteilter Souveränität war schon ein Pulverfaß an sich.

Konfliktstoff für Deutschland und für Polen aufgetürmt


 Das zweite Faktum war, daß Westpreußen mit immerhin 70 Prozent deutscher Bevölkerung, die Provinz Posen mit noch 30 Prozent Deutschen und ein Teil Oberschlesiens von Deutschland abgetrennt und Polen zugesprochen worden waren. Damit waren etwa zwei  Millionen deutsche Bürger gegen ihren Willen polnische Staatsbürger geworden. Die große Mehrzahl dieser Deutschen hat ihre „Umwidmung“ nicht einfach hingenommen.

Sie fühlte sich ihren neuen „Herren“ gegenüber zu keiner Loyalität verpflichtet, und die polnische Regierung hat ihre Deutschen umgekehrt benachteiligt und kujoniert. Dieser Akt der Sieger, Menschen gegen ihr nationales Bekenntnis fremden Staaten zuzuschlagen, widersprach schon damals dem allgemein postulierten Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Die dritte deutsch-polnische Belastung ergab sich ebenfalls aus der erzwungenen Abtretung Westpreußens an Polen. Damit entstand ein polnischer Landstreifen zwischen dem Kern des Deutschen Reichs und der von nun an von Deutschland abgetrennten Provinz Ostpreußen. Es entstand der „polnische Korridor“. Auf diese Weise hingen Ostpreußens Wirtschaft und besonders seine Energieversorgung auf einmal von den Verkehrswegen durch nun polnisches Gebiet ab.

1920 wurde dazu vertraglich festgelegt, daß die Verkehrsverbindungen nach Ostpreußen für Personen, Waren und vor allem Steinkohle aus Oberschlesien über acht Eisenbahnstrecken durch Polen laufen sollten und daß die Transitgebühren dafür in Zloty zu entrichten wären. Das alles war bis zu Beginn der Weltwirtschaftskrise kein Problem, wurde dann aber zunehmend zu einer schweren Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis. Mit diesen, im wesentlichen drei Problemen hatten die Siegermächte in Versailles soviel Konfliktstoff für Deutschland und für Polen aufgetürmt, daß ein gedeihliches Nebeneinander zwischen den zwei Nachbarstaaten ohne spätere Korrekturen fast ausgeschlossen war.

Keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden


Auch Politiker auf der Siegerseite haben das schon früh erkannt. Der englische Premierminister Lloyd George prophezeite bereits auf der Konferenz von Versailles: „Der Vorschlag der polnischen Kommission, daß wir 2.100.000 Deutsche der Autorität eines Volkes (...) unterstellen sollen, das im Laufe der Geschichte niemals gezeigt hat, daß es sich zu regieren versteht, würde uns früher oder später in einen neuen Krieg in Osteuropa führen.“

Auch William Bullitt, Mitglied der US-Delegation in Versailles, schrieb 1919 aus Paris nach Washington an seinen Präsidenten Woodrow Wilson: „Die ungerechten Beschlüsse der Versailler Konferenz über Shantung, Tirol, (...), Ostpreußen, Danzig, das Saargebiet (...) machen neue internationale Konflikte sicher.“ Pierre Laval, der französische Ministerpräsident, bezeichnete den polnischen Korridor bei seinen zwei Amerikabesuchen 1931 mehrmals als Ungeheuerlichkeit und als Mißbildung.

Noch deutlicher bezog sich Winston Churchill am 24. November 1932 mit seiner Warnung vor dem Unterhaus in London auf die deutsch-polnischen Probleme: „Wenn die englische Regierung wirklich wünscht, etwas für die Förderung des Friedens zu tun, dann sollte sie die Führung übernehmen und die Frage Danzigs und des Korridors ihrerseits wieder aufrollen, solange die Siegermächte noch überlegen sind. Wenn diese Fragen nicht gelöst werden, kann keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bestehen.“

Als der Krieg dann näherkam, führte Lord Lothian, der spätere englische Botschafter in Washington, in einer Rede am 29. Juni 1937 in London aus: „Wenn wir das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker zugunsten Deutschlands anwenden würden, so wie es zu seinen Ungunsten in Versailles angewandt worden ist, würde das Ergebnis folgendes sein:

1. Die Wiedervereinigung Österreichs mit Deutschland, 2. die Rückkehr der Sudetendeutschen, Danzigs und wahrscheinlich des Memellands ins Reich und 3. gewisse Regelungen mit Polen in Schlesien und im Korridor.“ Diese Ursachen für einen neuen Krieg hatten die Sieger in Versailles selbst geschaffen und sie nicht beseitigt, als die Zeit dafür längst reif war und als sie noch die Macht dazu hatten. Ab 1933 rührte sich mit den Nationalsozialisten eine neue Kraft, die sich verpflichtet fühlte, mit den parteiübergreifend in Deutschland so bewerteten „Ungeheuerlichkeiten“ von Versailles aufzuräumen.
 

 

Danzig, der ewige Streitpunkt

Dem Vertrag von Versailles folgten zwanzig Jahre zwischen beiden Kriegen, in denen das deutsch-polnische Verhältnis nicht immer unerfreulich war. Der Anfang war unglücklich und das Ende tragisch. Von 1934 bis 1938 gab es eine Zwischenzeit der Annäherung und zunehmender Verständigung. Beide Regierungen hatten im Prinzip zwei unterschiedliche Staatsaufassungen, was ihre Souveränitätsansprüche anging. Polen sah sich dabei als Nachfolger des historischen Groß-Litauen-Polen.

So herrschte Polen 1921 über ein Reich, das weit über die polnischen Sprachgrenzen hinausging, in dem auch elf Millionen Ukrainer, Deutsche, Weißrussen, Litauer und andere Minderheiten lebten. Im Deutschen Reich sah man sich als eine in einem Staate organisierte Volksgemeinschaft, als Gesamtheit aller Deutschen. Beide Auffassungen mußten kollidieren, wo sich die Ansprüche überlappten: in der Freien Stadt Danzig, in der Nordhälfte des polnischen Korridors und in einem Teil Oberschlesiens.

Alle Regierungen der Weimarer Republik vor Hitlers Regierungsantritt hatten den deutschen Anspruch auf die zwangsweise abgetretenen Gebiete mit deutscher Bevölkerung deshalb nie aufgegeben, auch wenn sie gewaltsame Wiedervereinigungen abgelehnt hatten. Erst Hitler bot 1938 die Anerkennung der polnischen Gebietserwerbungen seit 1920 als Preis für eine Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich an.

Endloses Kompetenzgerangel

Ein Dauerbrenner zwischen beiden Kriegen war der Streit der Republik Polen mit der Regierung der Freien Stadt Danzig und mit dem Rat sowie dem Hohen Kommissar des Völkerbunds um die Souveränität. Bei diesen Streitigkeiten stand Deutschland meist unbeteiligt außen vor. Kaum war die Verfassung der Freien Stadt Danzig vom 19. August 1920 drei Monate alt, begann Polen mit Versuchen, diese Verfassung und die ihr entsprechende Verfassungspraxis mit zahllosen Interventionen, Anträgen, Klagen und Aktionen zu seinem Vorteil zu verändern. Es ging dabei immer um die souveränen Hoheitsrechte der Freien Stadt, die Polen nicht anerkennen, sondern auf sich selber übertragen haben wollte.

Der Staat Polen hatte von den Siegermächten eine Reihe von Rechten eingeräumt bekommen und begann alsbald, die entsprechenden Behörden im Freistaat einzurichten. Die Mischung polnischer und Danziger Behörden in den Bereichen Post, Bahn, Zoll und Wasserstraßen im Freistaat programmierte ein endloses Kompetenzgerangel vor. Als der Staat Polen in den Folgejahren versuchte, sich die Freie Stadt Danzig in einer Serie vieler kleiner Schritte einzuverleiben und den Hohen Kommissar des Völkerbunds mit immer neuen Forderungen bombardierte, um den in Versailles erhobenen Anspruch auf Danzig doch noch durchzusetzen, erwies sich, daß dieses Konstrukt eines selbständigen Kleinstaats mit vielen ihm entzogenen Hoheitsrechten auf Dauer so nicht lebensfähig war.

Polen mußte sich zwischen 1921 und 1924 wiederholte Male vom Völkerbund belehren lassen, daß es keine Oberherrschaft über Danzig auszuüben habe. 1920 beantragte Polen zum Beispiel, als Protektoratsmacht über den Freistaat eingesetzt zu werden und polnische Truppen in Danzig stationieren zu dürfen. Der Völkerbund lehnte dieses Ansinnen 1920 ab. 1921 legte Polen 24 eigene Behörden in den Freistaat und verlangte für sie einen exterritorialen Status, genauso wie für die polnischen Liegenschaften, Schiffe und Beamten in der Stadt. Der Rat des Völkerbunds entschied aber, daß polnische Einrichtungen, Schiffe und Beamte auf Danziger Gebiet der Danziger Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt unterworfen seien und dort keine Exterritorialität besäßen.

Zugriff des polnischen Staates

Außerdem verlangte der Völkerbund, daß eine Eisenbahndirektion für die Verwaltung der polnischen Eisenbahn in Polen wieder aus dem Freistaat nach Polen zurückzuverlegen sei. 1921 versuchte die polnische Regierung den Danzigern ihre nationalen Visa-Bestimmungen aufzuzwingen. Polnische Behörden begannen, die Danziger Pässe von Danziger Bürgern einzuziehen und durch polnische Papiere zu ersetzen. In beiden Fällen schob der Völkerbund den Anmaßungen der polnischen Behörden sofort den Riegel vor.

Polen dehnte das eigene Postnetz auf fast die ganze Stadt aus, obwohl der polnische Postdienst nach Versailler Vertrag ausschließlich für den Hafen vorgesehen war. Polnische Behörden weigerten sich, die Völkerbundwährung, den Danziger Gulden, auf Danziger Gebiet als Zahlungsmittel anzunehmen, obwohl der an das englische Pfund gekoppelt und damit nicht wertlos war. Das polnische Militär legte gegen den ausdrücklichen Protest des Danziger Senats ein Munitionsdepot im Hafen an. 1923 bekam Polen nach Völkerbundsentscheid statt dessen eine Halbinsel vor der Stadt, die Westerplatte, für die Lagerung von Munition zugewiesen und ein Kontingent von 88 Soldaten zur dortigen Bewachung zugestanden.

Als nächstes versuchte Polen, die Truppe auf der Westerplatte zu verstärken. Auch hier schritt der Völkerbund mit einem Veto ein. 1932 nutzte Polen einen britischen Flottenbesuch in Danzig, um eigene Kriegsschiffe dorthin zu verlegen. Als der Senat der Freien Stadt dagegen protestierte, wurde ihm von Polen mitgeteilt, daß „polnische Kriegsschiffe das nächste öffentliche Gebäude beschießen würden, falls die Danziger Bevölkerung die polnische Flagge auf den polnischen Schiffen beleidige“. Ab August 1932 beanspruchte Polen generell das Recht zum Aufenthalt seiner Flotte im Danziger Hafen. So weitete sich der Zugriff des polnischen Staates auf den Freistaat langsam, aber unaufhörlich aus. Polen hielt den Druck im Danziger Kessel aufrecht, bis der Zweite Weltkrieg ausbrach. Ab 1933 erstarkte in Danzig – wie im Deutschen Reich – die NSDAP und erzeugte Gegendruck.
 


Siehe dazu auch:
Danzig und Ostpreußen - zwei Kriegsanlässe 1939
Vortrag von Gerd Schultze-Rhonhof


Die wirtschaftliche Existenz war ständig gefährdet

Die Streitigkeiten zwischen der Freien Stadt Danzig und der Republik Polen nahmen bis zum Kriegsbeginn 1939 kein Ende. Allein bis 1933 mußte sich der Rat des Völkerbunds in Genf 106mal mit Streitfällen zwischen Polen und dem Freistaat befassen. Sie gipfelten im Sommer 1939 im sogenannten Zollinspektorenstreit, der schon im August fast zur Kriegseröffnung durch die Polen führte.

Als Begründung für die Abtrennung der Hafenstadt Danzig vom Deutschen Reich hatte den Siegern das Versprechen des US-Präsidenten Woodrow Wilson gedient, Polen solle nach dem Kriege einen ungehinderten Zugang zum Meer und daher einen Ostseehafen bekommen. So waren Polens Hafenrechte in Danzig mit Artikel 104 des Versailler Vertrags und in der Folge mit dem Pariser Vertrag vom 9. November 1929 dementsprechend festgeschrieben worden.

Der erste Hohe Kommissar des Völkerbunds in Danzig, Sir Richard Haking, hatte Polen 1921, als er die Ausdehnung des Hafens in der Stadt festzulegen hatte, mit seiner Entscheidung im Namen des Völkerbunds schriftlich mitgeteilt, daß mit den zugestandenen Rechten auch Pflichten einhergingen. Er schrieb:  „Dem Polen zugestandenen Recht, jederzeit und unter allen Umständen Waren über Danzig ein- und auszuführen, steht die Verpflichtung gegenüber, den Hafen jederzeit voll auszunutzen, unabhängig davon, ob Polen sich in Zukunft auch andere Häfen an der Ostsee bauen sollte.“ Damit sollte die wirtschaftliche Zukunft des Danziger Hafens sichergestellt werden.

Rückkehr Danzigs für Polen ein Kriegsgrund

Tatsächlich legte Polen sich bis 1928 einen neuen, künstlichen Hafen beim Fischerdorf Gdingen 20 Kilometer nördlich von Danzig an und zog Staatsbetriebe und zivile Handelsfirmen durch außergewöhnlich umfangreiche Steuervergünstigungen mit bis zu 25 Jahren Laufzeit nach Kräften aus dem Danziger Hafen ab. Danzigs alter Hafen erlebte von 1926 bis 1932 zwar noch einen Boom. Ab 1932 aber brachen die Im- und Exporte dort auf fast die Hälfte des Vorjahrs ein, und Danzig war dann bis Kriegsbeginn nie mehr voll ausgelastet. Polen hatte nun offensichtlich keinen Bedarf mehr an einem Umschlagplatz in Danzig.

Damit war der von den Siegermächten vorgegebene Grund für die Abtrennung Danzigs vom Reich entfallen. Die Sieger gaben den Freistaat Danzig trotzdem nicht aus eigener Entscheidung zurück an Deutschland. Auch Polen wollte, nachdem es den Hafen nicht mehr brauchte und entgegen seinen Pflichten nicht mehr auslastete, nicht auf seine Rechte in der Freien Stadt verzichtet. Vielmehr erklärte die polnische Regierung, die Rückkehr Danzigs in den Staatsverband des Deutschen Reichs sei für sie ein Kriegsgrund.

Ein weiteres Problem, das sich 1939 als Grund zum Krieg erwies, war der deutsche Wunsch nach exterritorialen Verkehrswegen vom Reichsgebiet in das seit 1921 abgetrennte Ostpreußen, die sogenannte Korridorfrage. Dieser deutsche Wunsch kam nicht von ungefähr. Ostpreußen war nach zwei Verträgen durch acht Eisenbahnverbindungen über nun polnisches Gebiet mit Pommern und mit Schlesien verbunden.

Abgeschnittene Provinz

Nach den Verträgen waren die Transitgebühren in Zloty zu bezahlen, was zunächst keine Schwierigkeit bereitete. Während und nach der Weltwirtschaftskrise nahm Deutschland im Außenhandel jedoch nicht mehr genug Zloty ein. Um die Gebühren zu entrichten, überwiesen die deutschen Behörden die an Zloty fehlenden Beträge monatlich in Reichsmark.

Doch Polen sah darin einen Vertragsbruch, was es streng nach dem Vertragstext auch war, und schloß zur Strafe ab 1936 eine Eisenbahnverbindung nach der anderen. 67 Prozent der Eisenbahntransporte jedoch dienten der Energieversorgung Ostpreußens. Sie fuhren Kohle aus Oberschlesien für Industrie, Gewerbe, den Hausbrand und die Stromerzeugung in die abgeschnittene Provinz. Die Kohle war zu jener Zeit der Energieträger, den heute Erdöl und Erdgas darstellen.

Unüberwindlicher Widerstand der Polen

Schließlich drohte die polnische Seite damit, bei weiterhin unvollständigen Zloty-Zahlungen auch die letzten Strecken zwischen Ostpreußen und dem Reichsgebiet zu schließen. Damit wäre Ostpreußen von seiner Energieversorgung abgeschnitten und dem wirtschaftlichen Ruin preisgegeben worden wie zwei Jahrzehnte später beinahe die Stadt Berlin während der sowjetischen Blockade.

So kam im Reichswirtschaftsministerium die Idee auf, mit der polnischen Regierung statt über Zloty-Zahlungen über exterritoriale Verkehrsverbindungen von Pommern nach Ostpreußen in deutscher Hoheit und Regie zu sprechen. Bei den Verhandlungen, die die deutsche Seite im Oktober 1938 zur Lösung des Problems eröffnete, traf dieser deutsche Wunsch nach anfänglicher polnischer Bereitschaft bald auf den unüberwindlichen Widerstand der Polen.
 

 

Krieg gegen die nationalen Minderheiten

Das neugeschaffene Polen war nach 1919 mit der Angliederung ehemals deutscher, ukrainischer, weißrussischer, litauischer und weiterer Landesteile ein Vielvölkerstaat mit 19 Millionen Polen und 11 Millionen Menschen anderer Muttersprachen geworden, darunter auch zwei Millionen Deutschen.

Polen hatte die Rechte seiner Minoritäten zunächst in dem zum Versailler Vertrag gehörenden Minderheitenschutzvertrag garantieren müssen. Doch die Polen kündigten den Schutzvertrag alsbald und begannen, sich für die früher erduldete Russifizierung und Eindeutschung aus der Zeit der polnischen Teilungen zu rächen. Doch sie gingen mit der Polonisierung derer, die nun Minderheit in ihrem Staate waren, weit über das hinaus, was ihnen selbst zuvor – zumindest unter deutscher und habsburgischer Herrschaft – zugemutet worden war.

Die deutsche Minderheit in Polen nahm bis 1923 auf 1,2 Millionen ab. Als erstes inhaftierte man 16.000 Deutsche als „Staatsfeinde“ in zwei Konzentrationslagern im Posener Gebiet. Ab 1922 wurden alle Deutschen ausgewiesen, die nach 1908 ins Land gekommen waren. Man stellte die Deutschen vor die Wahl, sich für Polen zu entscheiden oder für Deutschland zu „optieren“ und dorthin auszuwandern. Die „Optanten“, die sich zu Deutschland oder Österreich bekannten, mußten ab 1925 das Land verlassen.

Terrorakte gegen Deutsche

Zudem entließ man die deutschsprachigen Beamten. Etwa die Hälfte der deutschen Schulen und Universitäten mußten schließen. Der doppelsprachige Unterricht, soweit nach Kriegsende noch erteilt, wurde per Gesetz verboten. Einem großen Teil der Deutschen genauso wie der Ukrainer, Weißrussen, Juden und Österreicher wurden ihre Arzt- und Apothekerapprobationen und die Geschäfts- und Verlagslizenzen entzogen. Und ansonsten wurde seitens der polnischen Administration geschäftlich alles boykottiert, was nicht polnisch war.

Erst im November 1937 schlossen Polen und das Deutsche Reich einen neuen, bilateralen Minderheitenschutzvertrag, der die Last der Diskriminierung der Volksdeutschen in Polen für kurze Zeit erleichterte.

Als 1938 erst Österreich und dann die Sudentengebiete mit dem Deutschen Reich vereinigt wurden, stieg die Angst der Polen, Deutschland könnte auch Land und dessen Einwohner aus dem Bestand des früheren Deutschen Reichs zurückverlangen. Das feindliche Klima gegen die deutschsprachige Minderheit nahm wieder scharfe Formen an. Terrorakte gegen Deutsche, die Zerstörung deutscher Geschäfte und die Brandstiftungen an deutschen Bauernhöfen nahmen im Frühjahr 1939 ständig zu. Nach der Rückgliederung des Memellandes an das Reich im März wurde die Lage der Deutschen in Polen gänzlich unerträglich.

Identität der Minderheiten gefährdet

Im Sommer 1939 schwoll die Zahl der Volksdeutschen, die dem entkommen und Polen „illegal“ verlassen wollten, ständig an. Bis Mitte August waren über 76.000 Menschen ins Reich geflohen und 18.000 zusätzlich ins Danziger Gebiet. Die Berichte über den Umgang der Polen mit ihrer deutschen Minderheit und die Schilderungen der Geflohenen waren Öl aufs Feuer des deutsch-polnischen Verhältnisses in den letzten Wochen und Tagen vor dem Kriegsausbruch.

Der damalige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Unsere diplomatischen und Konsularberichte zeigten, wie 1939 die Welle immer höher auflief und das ursprüngliche Problem, Danzig und die Passage durch den Korridor überdeckte.“

Polen hat von Anfang an die Chance, seine nationalen Minderheiten in ein neues Vaterland zu integrieren, nicht gesucht und, wo sie gegeben war, verspielt. Man machte im neuen Polen nicht einmal den Ansatz des Versuchs, die großen Minderheiten der Deutschen, Juden, Weißrussen und Ukrainer für das eigene Land zu gewinnen. Statt dessen drehte das Bemühen, die Identität der Minderheiten zu zerstören, Haß und Terror in einer Spirale fast zwei Jahrzehnte lang nach oben.

So war 1939 in Deutschland und in Rußland niemand mehr bereit, die Polen als die Opfer der drei früheren Teilungen zu betrachten, denen man historisch etwas schuldete. Man sah in ihnen mittlerweile die Täter gegen Deutsche, Ukrainer und Weißrussen, denen ein schlimmes Schicksal das Los der Minderheit in Polen aufgebürdet hatte.
 

 

Eingezwängt zwischen zwei Militärmächten

Das deutsch-polnische Verhältnis zwischen beiden Kriegen war meist risikobeladen. Der Start war schlecht, das Ende ebenso. Am Anfang standen Polens Forderungen nach den Provinzen Posen und Westpreußen, nach Teilen Pommerns, nach Oberschlesien, Danzig, ganz Ostpreußen und dem Memelland. Am Ende stand der Kriegsausbruch.

Die Sieger gestanden Polen bis 1921 zwar nur die Provinzen Posen und Westpreußen, Ostoberschlesien und die begrenzten Hoheitsrechte im Freistaat Danzig (JF 25/09) zu, aber die darüber hinausgehenden Forderungen nach Landesteilen mit rein deutscher Bevölkerung hinterließen in Deutschland dauerhafte Ängste vor dem neuen Nachbarn Polen.

Das mag auf den Leser des Jahres 2009 etwas unwahrscheinlich wirken, aber Polen unterhielt in den zwanziger Jahren mit seinen rund 300.000 Mann im Heer im Frieden immerhin dreimal so viele Soldaten wie das Deutsche Reich mit seinem 100.000-Mann-Heer. Zudem verfügte Polen über drei Millionen Reservisten mit dazugehöriger Bewaffnung, während Deutschland keine Reservisten ausbilden, unterhalten und bewaffnen durfte.

Gleichzeitig auf Berlin

In Deutschland hatte man in den zwanziger und dreißiger Jahren auch nicht vergessen, daß Polen 1919 bis 1921 in fünf sogenannten Volksaufständen versucht hatte, ganz Oberschlesien an sich zu reißen. Polnische Bewohner aus dem ostoberschlesischen Industriegebiet waren mit Unterstützung der polnischen Armee in das deutsch besiedelte Oberschlesien eingedrungen, um es zu erobern. Frankreich hatte Polen dabei unterstützt und der deutschen Reichsregierung einen französischen Militärschlag gegen Deutschland angedroht, falls sie die Reichswehr zum Schutze Oberschlesien einsetzen sollte.

Diese französisch-polnische Zange war und blieb eine dauerhafte Bedrohung für das Deutsche Reich bis 1936. In diesem Jahr stationierte die Reichsregierung in dem nach dem Versailler Vertrag entmilitarisierten und damit gegenüber Frankreich schutzlos offenen Rheinland wieder Wehrmachtstruppen und schlug so das bis dahin offene Einfallstor für eventuelle französische Militäraktionen zu. Zudem trug 1936 die Wiederaufrüstung der deutschen Wehrmacht ihre ersten Früchte.

In den Jahren davor war Deutschland gegenüber Polen und Frankreich weitgehend wehrlos und jederzeit bedroht. So hatten beispielsweise die Oberbefehlshaber der Streitkräfte von Frankreich, Marschall Ferdinand Foch, und von Polen, Marschall Józef Piłsudski, einen gemeinsamen Feldzugsplan für einen Krieg gegen Deutschland verabschiedet. Die polnische und die französische Armee sollten im Falle eines Kriegs gleichzeitig auf Berlin vorstoßen und Deutschland so erneut besiegen. Es war dabei vereinbart, daß Polen zugleich seinen Korridor zwischen Pommern und Ostpreußen erweitern, also auch Danzig okkupieren sollte.

Zwei weitere Pläne sahen die Eroberung von Teilen Ostpreußens und von Oberschlesien vor. Das 1925 zwischen Polen und Frankreich abgeschlossene Militärabkommen bedeutete eine weitere Bedrohungsstufe. Darin hatte Frankreich Polen zugesagt, ihm im Falle eines Konflikts mit Deutschland ein Flottengeschwader zur Unterstützung in die Ostsee zu entsenden. Der Fall, auf den der Pakt maßgeschneidert war, konnte nur ein deutsch-polnischer Streit um Danzig, Ostpreußen oder Memel sein, in dem die Seeverbindungen dorthin für Deutschland eine Rolle spielten.

Bemühen, die deutsch-polnischen Spannungen zu entschärfen

Im November 1932 nahm die Bedrohung noch einmal konkrete Formen an. Polen bot Frankreich in Geheimverhandlungen an, gemeinsam Deutschland anzugreifen („Die Lage für einen Krieg ist so günstig wie nie“). Frankreich lehnte ab, doch der Vorgang blieb der Reichsregierung und der Wehrmachtsführung nicht verborgen. So wurde Polen wegen seiner Gebietsansprüche, wegen seiner militärischen Überlegenheit und wegen seiner deutschfeindlichen Politik bis 1933 von allen Regierungen und Parteien der Weimarer Republik und von der Reichswehr als Bedrohung angesehen.

Diese Einschätzung baute sich erst langsam ab, als Hitler und Piłsudski 1934 einen Freundschaftsvertrag geschlossen hatten. Es folgten vier Jahre mit dem beiderseitigen Bemühen, die deutsch-polnischen Spannungen zu entschärfen, einzudämmen und zu überspielen. Dieses Bemühen um Entspannung und die Lösung der Probleme fand im März 1939 ein abruptes Ende, als Hitler die Tschechei besetzen ließ. Ein halbes Jahr danach, als die Wehrmacht in Polen einmarschierte, waren die antideutsche Politik der Polen aus der Zeit bis 1934 und die militärische Bedrohung in der Zange zwischen den Armeen der Polen und Franzosen nicht vergessen.

Für viele deutsche Kriegsteilnehmer war der Krieg gegen Polen deshalb nicht nur ein Feldzug zur Befreiung der deutschen Minderheit in Polen, um die Wiedervereinigung Danzigs und um die freien Verkehrswege zum abgetrennten Ostpreußen. Es war auch eine militärische Abrechnung mit der Militärmacht Polen, die wiederholt versucht hatte, ihre Überlegenheit in der Zeit der deutschen Schwäche ohne Skrupel auszunutzen.
 

 

Danzigs Zukunft wurde zuvor in Prag verspielt

Das Jahr 1939 war nicht nur das Jahr des Kriegsausbruchs. Der Herbst 1938 und der Winter, das Frühjahr und der Sommer 1939 waren auch eine Zeit bemerkenswerter Veränderungen und Verhandlungsbemühungen. Alles begann nach der Konferenz von München im Oktober 1938 mit den deutsch-polnischen Gesprächen über die Zukunft Danzigs und um exterritoriale Verkehrsverbindungen nach Ostpreußen.

Mit dem Zerfall der Tschechoslowakei in drei neue Staaten ein halbes Jahr danach fanden die Verhandlungen zwischen Berlin und Warschau ein abruptes Ende. Hitler vergriff sich an der Rest-Tschechei und ließ sie völkerrechtswidrig als Protektorat besetzen.

Großbritannien ging infolgedessen auf Konfrontationskurs zu Deutschland. Polen ergriff die Gelegenheit und wechselte von der deutschen auf die britische Seite über. Großbritannien stellte Polen einen Persilschein für seinen weiteren Umgang mit dem Deutschen Reich aus. Großbritannien und Frankreich versprachen Polen ihre Unterstützung für den Fall einer deutsch-polnischen Auseinandersetzung um Danzig und die Passage durch den Korridor.

Hitler ging aufs Ganze

Zu allem Überfluß entwickelte sich im Mai 1939 noch der sogenannte Zollinspektorenstreit zwischen der Freien Stadt Danzig und Polen, der beinahe schon im August 1939 den Krieg ausgelöst hätte. In den letzten neun Tagen vor Kriegsausbruch ging Hitler dann aufs Ganze, er verlangte von Polen ein Entgegenkommen bis zum Monatsende. Als das ausblieb, ließ er die Wehrmacht in Polen einmarschieren und löste so den Zweiten Weltkrieg aus.

Nach diesem Parforce-Ritt durch das letzte Jahr vor Kriegsausbruch das Ganze noch einmal im Detail: Der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag von 1934 hatte eine stabile Phase des Verhältnisses beider Staaten eingeleitet. Das führte dazu, daß Polen sich im Oktober 1938 seine Landerwerbung in der zerfallenden Tschechoslowakei von Hitler billigen ließ. Polen wollte den tschechischen Teil des Industriegebiets von Teschen annektieren und dabei auch die tschechisch, deutsch und polnisch bewohnte Grenzstadt Oderberg.

Das Auswärtige Amt in Berlin hatte Einspruch gegen die Annexion von Oderberg in Warschau eingelegt, doch Hitler war hier eingeschritten. Er hatte die Grenzstadt Polen zugestanden. Sein Argument: „Wir können nicht um jede deutsche Stadt mit Polen streiten.“ Seine Hoffnung war, daß Polen dafür der Wiedervereinigung der deutschen Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich zustimmen würde.

Anerkennung polnischer Gebietserwerbungen angeboten

Bald nach der Annexion des Teschener Gebiets und Oderbergs durch Polen im September 1938 begann Hitler im Oktober Verhandlungen um Danzig, die Transitwege und die Einhaltung der Menschenrechte für die Volksdeutschen in Polen. Sein erstes Angebot: die Anerkennung der polnischen Gebietserwerbungen der altdeutschen Gebiete seit 1918 und die Verlängerung des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrags von 10 auf 25 Jahre.

Das erste der beiden Angebote Hitlers war ein großer Schritt Richtung Polen. Alle polnischen Regierungen seit 1924 hatten die Reichsregierungen vor Hitler stets gebeten, ihre Gebietsgewinne in Posen, Westpreußen und Oberschlesien als endgültig anzuerkennen. Alle Regierungen der Weimarer Republik hatten dieses abgelehnt. Hitler bot die Anerkennung als erster deutscher Kanzler an.

Im Januar 1939 legte Hitler noch einmal nach. Er schlug vor: „Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen“, was den bisherigen Status quo Polens unwesentlich verändert hätte. Außerdem lud Außenminister Joachim von Ribbentrop Polen zum Beitritt in den „Antikomintern“-Pakt ein. Bis in den März 1939 hinein gab es sechs Anläufe, die drei deutsch-polnischen Probleme auf dem Verhandlungsweg zu lösen.

Beistandspakt gegen Deutschland

Polen war zwar bereit, das Recht anzuerkennen, den Freistaat von Deutschland diplomatisch im Ausland zu vertreten zu lassen, aber in den territorialen Fragen kam man sich nicht näher. Zu dieser Zeit, im Winter 1938/39, war Polen wegen seiner außenpolitischen Spannungen mit fast allen Nachbarstaaten nach 1920 und wegen der erfolgten Teschen-Annexion in London noch geächtet.

Ende März 1939 aber wendete sich das Blatt. Hitler beging seinen großen Fehler. Er erklärte die Tschechei, entgegen früher gegebenen Versprechen, zum deutschen Protektorat und ließ sie besetzen. Nun brauchten die Briten Verbündete gegen Deutschland. Sie boten Polen einen Beistandspakt gegen Deutschland an. Polen wechselte den Partner und ging auf Großbritanniens Seite über.

Zu diesem Seitenwechsel hatte beigetragen, daß Deutschland im März die von den Slowaken erbetene Schutzherrschaft für ihren neuen Staat übernommen hatte, obwohl die polnische Regierung der Ansicht war, das Privileg der Schutzherrschaft hätte Polen zugestanden. Weitere Faktoren waren die Rückgabe des seit 1923 illegal besetzten Memellands von Litauen an Deutschland und der vom Reich mit Rumänien abgeschlossene Handelsvertrag. Deutschland hatte in kurzer Frist vier Erfolge an Polens Grenzen eingefahren, und Polen war leer ausgegangen.

Eiszeit zwischen Deutschland und Polen

Obwohl die Versuche der deutschen Seite, mit den Polen weiter zu verhandeln, zunächst noch weiterliefen, schloß Warschau Ende März 1939 eine Beistandsabmachung mit den Briten, machte seine Streitkräfte teilmobil, das heißt, es verdoppelte seine Truppen, stellte sieben Armeestäbe auf und ließ Truppen in Richtung Ostpreußen aufmarschieren. Hitler reagierte und gab am 3. April der Wehrmacht erstmals konkret den Befehl, einen Angriff gegen Polen (Fall Weiß) für den Fall vorzubereiten, daß Polen seine Haltung gegenüber dem Deutschen Reich weiter verschärfen sollte.

Nun herrschte Eiszeit zwischen Deutschland und Polen. Dennoch machte die deutsche Reichsregierung noch ein paar Anläufe, weiter zu verhandeln. Doch die polnische Regierung erklärte nun, der Status der Freien Stadt Danzig beruhe nicht auf dem Vertrag von Versailles, sondern auf der jahrhundertelangen Zugehörigkeit Danzigs zum Königreich Polen. Und Posen und Westpreußen gehörten de jure und de facto längst zu Polen. Die von Hitler angebotene Anerkennung der polnischen Gebietsgewinne sei keine Gegenleistung.

Bemerkenswert bei dieser Entwicklung ist, daß Polen die ersten Aufmarschschritte für die Kriegseröffnung eingeleitet hatte. Die neuen Armeehauptquartiere waren bereits an ihren späteren Kriegsstandorten aufgeschlagen und wurden bis zum Kriegsbeginn auch nicht mehr abgerüstet. Zudem hatte Polen den größten Teil der einberufenen 330.000 Reservisten bis zum Kriegsanfang nicht mehr entlassen.

Die Mobilmachung setzte sich im Mai und später in kleinen Schritten fort, wie auch die Verlegung von Truppenteilen an ihre späteren Einsatzorte. Der polnische Aufmarsch war damit drei Monate vor dem deutschen eingeleitet. Die deutschen Mobilmachungs- und Aufmarschvorbereitungen begannen erst am 26. Juni 1939 mit der Verlegung von neun Infanteriedivisionen an die polnisch-deutsche Grenze.
 

 

Krieg war nur noch eine Frage der Zeit

Seit Großbritannien eine Garantie angeboten und Frankreich seine militärische Unterstützung versprochen hatte, wuchs in Polen ein Gefühl von Siegessicherheit, das sich zwischen Traum und Rausch bewegt hat. Ab Mai 1939 nahmen die Ausschreitungen gegen die volksdeutsche Minderheit in Polen wieder schlimme Formen an.

Auf dem Lande wurden Höfe deutscher Besitzer in großer Zahl angezündet, die Bauern vertrieben, Deutsche in den Städten verprügelt, in Einzelfällen sogar totgeschlagen. Deutschsprachige Gottesdienste wurden so häufig gestürmt und aufgelöst, daß sich der Vatikan genötigt sah, dies bei der polnischen Regierung zu beklagen.

Die Deutsche Reichsregierung mußte im Sommer 1939 Auffanglager einrichten, um des Stromes deutscher Flüchtlinge aus Polen Herr zu werden. Ab Juni 1939 mehrten sich in Danzig die gegenseitigen Beschuldigungen und Verdächtigungen zwischen der deutsch-Danziger Bevölkerung und den polnisch-Danziger Behörden.

„Zollinspektorenstreit“

Polnische Militärtransporte fuhren durch das Danziger Gebiet, ohne daß sie, wie es vereinbart war, vorher beim Danziger Senat gemeldet wurden. Die polnischen Wachmannschaften im Munitionsdepot auf der Westerplatte wurden auf 240 Mann verstärkt, obwohl der Völkerbund nur 88 Soldaten zugelassen hatte.

Besonders kritisch wurde ein Zwist im Sommer 1939, der sogenannte „Zollinspektorenstreit“. Ab Mai verschärften sich Kontrollen und Verhalten der polnischen Zollbeamten gegenüber den Danzigern im kleinen Grenzverkehr, der für die Menschen dort in ihrer Insellage von besonderer Bedeutung war. Des weiteren maßten sich die polnischen Zollbeamten gegenüber ihren deutschen Kollegen Befehlsbefugnisse an. Zur Verärgerung der deutschen Seite wurde auch die Zahl der polnischen Beamten wesentlich erhöht.

Die deutschen Beamten arbeiteten daraufhin mit den polnischen nicht mehr zusammen. Die wiederum verzögerten die Ausfuhr Danziger Agrar- und Fischereiprodukte, die im heißen Sommer 1939 schnell verdarben. In dieser angespannten Lage beschwerte sich der Präsident des Danziger Senats, Arthur Greiser (NSdAP), beim polnischen Generalkommissar Marjan Chodacki über die beschriebenen Vorfälle und kündigte an, daß deutsche Zollbeamte von den polnischen in Zukunft keine Weisungen mehr entgegennehmen würden.

Einmischung als „Angriffshandlung“ betrachtet

Chodacki schickte dem Senatspräsidenten postwendend ein Ultimatum, diese Weisung bis 18 Uhr des selben Tags zurückzunehmen, andernfalls „werde die polnische Regierung unverzüglich Vergeltung gegen die freie Stadt anwenden“. Außerdem teilte Chodacki mit, daß der polnische Zoll ab sofort bewaffnet werde. Hitler, vom Senatspräsidenten um Rat gefragt, drängte diesen, für Entspannung zu sorgen und „die Angelegenheit nicht noch mehr zu vergiften“. Es gelang schließlich, Chodacki zur Aufhebung des Ultimatums zu bewegen.

Das Auswärtige Amt übermittelte dem polnischen Geschäftsträger in Berlin die Mißbilligung der Reichsregierung zum Zollinspektorenstreit, zum Ultimatum und zur Drohung gegenüber der Danziger Bevölkerung. Der teilte nach Rücksprache mit seinem Ministerium in Warschau tags darauf mit, daß Polen jede Einmischung der deutschen Reichsregierung in die polnischen Beziehungen zum Freistaat zu Lasten Polens als „Angriffshandlung“ betrachten werde.

Angesichts des unbedeutenden Zollstreits in Danzig war das eine ganz massive Drohung, zumal Großbritannien und Frankreich zugesichert hatten, Polen in jedem von Deutschland ausgelösten Krieg zu unterstützen. Hitler zeigte sich über das polnische Ultimatum empört. Verschärfend wirkten Deutungen der polnischen Presse, Hitler habe im Zollstreit „klein beigegeben“ und eine einzige, ein wenig schroffe Note habe genügt, „ihn in die Knie zu zwingen“.

Fingierte Brand- und Sprengstoffanschläge

In der letzten Woche vor dem Kriegsausbruch versuchten polnische Flak-Batterien mehrmals, Passagiermaschinen der Deutschen Lufthansa auf ihrem Flug von Berlin nach Königsberg über der Ostsee abzuschießen. Es kam zu zahlreichen Schießereien an den Grenzübergängen zwischen polnischen und deutschen Zollbeamten und Soldaten, wobei es Tote gab.

Das „Abfackeln“ deutscher Bauernhöfe im polnischen Grenzland ging unvermindert weiter. Im August griffen die Überfälle und Brandstiftungen der Polen auch auf die deutsche Seite der Grenze über. Um diese Geschehnisse dann für die Propaganda gezielter ausschlachten zu können, inszenierte der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) in den letzten Tagen vor Beginn des Krieges beiderseits der Grenze fingierte Brand- und Sprengstoffanschläge.

Diese illegalen Aktivitäten des SD wären angesichts der Vielzahl der polnischen Übergriffe wohl nicht erforderlich gewesen, zu offen sprachen gegenüber der entsetzten deutschen Öffentlichkeit die Bilder der Flüchtlingsströme, der Schießereien und Angriffe auf deutsche Bauern jenseits der Grenze. Als am 31. August, dem Tag vor Kriegsbeginn, auch noch der deutsche Konsul in Krakau umgebracht wurde, überraschte der Krieg gegen Polen im Deutschen Reich wohl niemanden mehr.
 

 

Stalin verhandelte zweigleisig

Der August 1939 war ein in jeder Hinsicht turbulenter Monat. Der Zollinspektorenstreit in Danzig war kurz davor, zum Krieg umzuschlagen. Die Verfolgung der Deutschen in Polen und die Fluchtwelle von Volksdeutschen aus Polen in das Reichsgebiet erreichten ihren Gipfel. So konnte es kaum wundern, daß viele Regierungen die Katastrophe eines neuen Krieges kommen sahen und parteiergreifend oder auch neutral versuchten, in den polnisch-deutschen Streit einzugreifen.

Der Heilige Vater, der belgische König, der US-Präsident und der italienische Staatschef versuchten vergeblich zu vermitteln. Bemerkenswert ist die Initiative eines schwedischen Vermittlers, des Industriellen Birger Dahlerus. Er schlug ein geheimes deutsch-britisch-französisch-italienisches Gespräch über eine friedliche Beilegung der Streitigkeiten vor.

Die deutsche Seite sagte sofort zu. England ließ wissen, daß mit einer englischen Antwort erst nach Ablauf einiger Zeit zu rechnen wäre. Die Engländer und Franzosen verhandelten nämlich zu der Zeit mit den Sowjets in Moskau, um ein Kriegsbündnis gegen Deutschland abzuschließen. So waren sie zu diesem Zeitpunkt nicht an einer Verhandlungslösung interessiert. So war auch Dahlerus’ erster Ansatz gescheitert, doch er sollte in der letzten Woche vor dem Kriegsausbruch noch einmal als Vermittler eine Rolle spielen.

Stalin stellte 102 Divisionen für den Angriff auf Deutschland bereit

Nach dem deutschen Einmarsch in der Tschechei hatte Frankreich Verbindung zur Sowjetunion aufgenommen, um mit ihrer Hilfe weitere Staaten in Osteuropa vor einem deutschen Zugriff zu beschützen. England klinkte sich ein und schlug einen französisch-englisch-polnisch-sowjetischen Viererbund gegen Deutschland vor. Was man in Paris und London dabei unterschätzte, war die große offene Rechnung der Sowjets mit Polen. Moskau hatte 1921 nach einem von Polen begonnenen Krieg weite Teile Weißrußlands und der Ukraine an Polen abtreten müssen, Gebiete, in denen bis auf eine kleine polnische Minderheit Russen und Ukrainer lebten.

Moskau wollte unbedingt diese an Polen verlorenen Gebiete zurückbekommen, bestenfalls mit Hilfe Englands und Frankreichs. Am 17. April 1939 schlug die sowjetische Regierung den Briten und Franzosen deshalb einen Dreibund gegen Deutschland vor. Und am gleichen Tage ließ sie ihren Botschafter in Berlin vorstellig werden und versichern: „Die Sowjetunion hat die jetzigen Reibereien zwischen Deutschland und den westlichen Demokratien nicht gegen Deutschland ausgenutzt und wünscht auch nicht, das zu tun.“

Die Verhandlungen der Sowjets mit England und Frankreich in Moskau führten bis zum August 1939 nicht zum von Stalin gewünschten Ergebnis. Die Sowjets hatten 102 Heeresdivisionen und 5.500 Bomber und Jagdflugzeuge für einen Angriff gegen Deutschland angeboten, aber die Franzosen wollten im Kriege gegen Deutschland nur ihre eigenen Grenzen schützen, und die Engländer legten sich nicht auf die Menge ihrer Truppen fest, die sie gegen Deutschland zur Verfügung stellen wollten. Obendrein verweigerte die polnische Regierung den Russen die Berechtigung, auf dem Weg nach Deutschland durch Polen zu marschieren; aus gutem Grund.

Deutsch-russische Verständigung

So wechselte Moskau blitzschnell die Seite und schloß den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt mit Deutschland. Etwas Besonderes an diesem Seitenwechsel ist, daß er schon eingeleitet wurde, als Briten, Sowjets und Franzosen noch in Moskau über ihren Angriff gegen Deutschland in Verhandlung standen. Die englisch-französisch-sowjetischen Gespräche zogen sich erfolglos bis zum 21. August hin. Am 3. August schon war der deutsche Botschafter in Moskau Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg beim sowjetischen Außenminister Molotow vorstellig geworden und hatte um ein Stillhalteabkommen gebeten. Deutschland hatte damit den ersten Schritt getan und der Sowjetunion die Tür für eine deutsch-russische Verständigung geöffnet.

Am 12. August, dem Tage als die französisch-britische Verhandlungsdelegation in Moskau eintraf, nahm die sowjetische Botschaft in Berlin Kontakt zum Auswärtigen Amt auf und zeigte das Interesse ihrer Regierung, über Wirtschaftsfragen und „das polnische Problem“ zu verhandeln. Die deutsche Reichsregierung wurde dann für ein paar Tage mit den Vorbereitungen eines Wirtschaftsabkommens beschäftigt und hingehalten.

Am 15. August, während Briten, Franzosen und Sowjets noch über den Durchmarsch der russischen Armee durch Polen sprachen, fragte der sowjetische Außenminister den deutschen Botschafter, ob das Gerücht stimme, daß Deutschland an einem Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion und an einer deutsch-russischen Garantie für die drei baltischen Staaten interessiert sei. Am 16. August antwortete Außenminister Joachim von Ribbentrop seinem sowjetischen Kollegen Wjatscheslaw Molotow offiziell, daß Deutschland einen Nichtangriffspakt für 25 Jahre Dauer anbiete und auch bereit wäre, die Baltenstaaten gemeinsam mit der Sowjetunion zu garantieren.

„Geheimes Zusatzabkommen“ blieb Deutschen bis zuletzt verborgen

Am 17. August, während Engländer, Franzosen und Russen noch immer in Moskau beieinandersaßen, teilte Molotow der deutschen Seite mit, daß die Sowjetunion an einer Verbesserung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses interessiert wäre. Er schlug als ersten Schritt den Abschluß eines Handels- und Kreditabkommens vor und als zweiten einen Nichtangriffspakt, „bei gleichzeitiger Vereinbarung eines speziellen Protokolls“. Von der Schulenburg fragte nach den Wünschen der Sowjets für das Protokoll, doch erhielt keine Antwort. Die deutsche Seite blieb nun in dem Glauben, es handelte sich bei dem speziellen Protokoll um die gemeinsame Garantie für die baltischen Staaten.

Inzwischen setzten die Sowjets ihre Gespräche mit den Franzosen und den Engländern für vier Tage aus. Die Franzosen versuchten währenddessen weiterhin, den Polen ein Durchmarschrecht für die Russen abzuringen. Als das endgültig gescheitert war, am 20. August, überreichte Molotow von der Schulenburg den sowjetischen Textentwurf für den Nichtangriffspakt. Der Text für das spezielle Protokoll, das spätere „Geheime Zusatzabkommen“ jedoch fehlte. Am 21. August unterbrachen die Sowjets die Verhandlungen mit der englisch-französischen Delegation „auf unbestimmte Zeit“ und luden von Ribbentrop zur Unterzeichnung des Nichtangriffspakts und des Protokolls nach Moskau ein.

Am 22. August, neun Tage vor dem Kriegsausbruch, flog von Ribbentrop zur Unterzeichnung des Nichtangriffspakts und des „speziellen Protokolls“ nach Moskau. Er glaubte noch immer, daß es sich beim Protokoll um die gemeinsame deutsch-sowjetische Garantie für die drei Baltenländer handeln würde. Doch Molotow eröffnete ihm vor der Unterzeichnung den wahren Inhalt des Protokolls, das dann als das „Geheime Zusatzabkommen“ in die Geschichte eingehen sollte, die Aufteilung Osteuropas in zwei Interessensphären. Dabei kamen Finnland, zwei Baltenrepubliken und das ehemals russische Ostpolen zur sowjetischen Interessensphäre.

Von Ribbentrop hatte zwar mit einer Aufteilung des Ostseeraums in eine sowjetische und eine deutsche Sphäre gerechnet, nicht aber damit, daß zwei der drei baltischen Staaten allein der sowjetischen Sphäre zugeschlagen würden. Von einer gemeinsamen Garantie für Estland, Lettland und Litauen war nun keine Rede mehr. Von Ribbentrop bat Stalin um eine Konferenzunterbrechung, telefonierte mit Hitler und ließ sich erst dessen Zustimmung geben, bevor er unterschrieb. So ist das geheime Zusatzabkommen vom 23. August 1939 ein Coup der Sowjetunion gewesen.
 

 

Die finale Verhandlungsrunde

Hitler war entschlossen, die offene Danzig-Frage, das Problem der Verkehrsanbindung Ostpreußens und den Minderheitenschutz für die Volksdeutschen in Polen noch vor dem Winter auf dem Verhandlungswege oder – wenn das nicht möglich war – mit Gewalt zu lösen. Die Generalität hatte ihn zwar mehrmals gewarnt, daß ein Krieg mit Polen auch Krieg mit Großbritannien, mit Frankreich und bei längerer Dauer auch mit den USA nach sich ziehen werde.

Sie hatten aber auch beraten, daß militärische Operationen, falls es zum Kriege kommen sollte, aufgrund der Klima- und Wetterverhältnisse in Polen nicht nach dem 2. September begonnen werden dürften. Die Straßen- und Wegeverhältnisse würden für das Heer und das Flugwetter für die Luftwaffe danach in Osteuropa bald zu schwierig werden. So waren Hitlers Entscheidungen und sein Drängen nicht frei vom Einfluß dieses Datums.

Am 23. August 1939 war die Sensation der Morgenpresse die Nachricht von der Einladung des deutschen Außenministers nach Moskau. Damit war in Paris und London klar, daß die eigenen Verhandlungen in Moskau endgültig gescheitert waren. Der britische Premierminister Neville Chamberlain schrieb Hitler daraufhin unverzüglich einen Brief, in dem er vorschlug, die deutsch-polnischen Verhandlungen so lange auszusetzen, bis sich das Verhältnis beider Staaten abgekühlt und beruhigt hätte.

Schwedische Vermittlung

Als zweites sprach er die Warnung aus, daß sein Land im Falle eines Krieges auf Polens Seite stehen würde. Da Deutschland bereits seit Oktober 1938 erfolglos mit Polen verhandelt hatte, schien Hitler ein weiteres Warten ohne Sinn. Am gleichen Tag noch antwortete er auf Chamberlains Brief, verwies dabei auf seine konzilianten Kompromißvorschläge gegenüber Polen vom Oktober 1938 und vom Januar 1939 und appellierte an Großbritannien und Frankreich, die in Versailles geschaffenen deutsch-polnischen Probleme selber aus der Welt zu schaffen. Damit war der Weg für eine Verständigungslösung unter der Regie der Siegermächte wieder offen.

Am 24. August meldete die Presse die nächste Überraschung: die Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland. Die englische Regierung reagierte prompt. Sie unterzeichnete den polnisch-britischen Beistandsvertrag, der schon im März ausgehandelt worden war. Damit zerschlug sich fürs erste Hitlers Hoffnung, sein Vertrag mit der Sowjetunion könnte Großbritannien doch noch dazu bewegen, den Polen anzuraten, in der Danzig-Frage einzulenken.

Nun schaltete die deutsche Seite den schwedischen Vermittler Dahlerus wieder ein. In den folgenden neun Tagen flog Dahlerus ein oder zweimal täglich zwischen Berlin und London hin und her, überbrachte die Noten Hitlers und Chamberlains und erläuterte den Empfängern, wo nach seiner Auffassung die Verhandlungsspielräume lägen und wo unverhandelbare Eckpunkte. Polen hatte sich derweil auf Englands Beistandspakt verlassen und war nicht mehr bereit, über Danzig zu verhandeln.

Handstreichaktionen beider Seiten

Am 25. August bat Hitler Chamberlain, zwischen Deutschland und Polen zu vermitteln. Er versuchte dabei zur gleichen Zeit, mit England zu einem Freundschaftsvertrag und einem dauerhaften Interessenausgleich zu gelangen. Nun ging es sieben Tage zwischen Berlin und London hin und her, zwischen Hoffnung und Verhärtung, und letzten Endes zwischen der Aussicht auf Frieden oder Krieg. Inzwischen waren die polnischen und die deutschen Streitkräfte fast vollständig aufmarschiert, und die polnisch-deutsche Grenze stand auch ohne Kriegseröffnung längst in Flammen.

Es gab Zusammenstöße und Handstreichaktionen beider Seiten. Noch immer wurden deutsche Bauernhöfe auf der polnischen Seite der Grenze abgebrannt. Deutsche Stoßtrupps vergalten die Brandstiftungen in gleicher Nacht noch auf der Gegenseite. Auch der Flüchtlingsstrom hielt weiter an. Polnische Grenztruppen trieben deutsche Flüchtlingsgruppen mit Gewehr- und MG-Feuer von der Grenze weg. Deutsche Infanterie drang auf polnisches Gebiet vor und bemühte sich, die Flüchtenden dort freizukämpfen. Und polnische Flak versuchte ein paarmal, deutsche Passagierflugzeuge über der Ostsee abzuschießen.

In den folgenden vier Tagen sah es so aus, als wäre die britische Regierung bereit, zwischen Polen und Deutschland zu vermitteln, und Hitler gab im Gegenzug zu verstehen, daß er nach einer Verhandlungslösung zu Danzig, zur Passage durch den polnischen Korridor und für die deutsche Minderheit in Polen eine Garantie der fünf europäischen Großmächte für die Grenzen Polens mittragen würde.

Am 29. August kündigte Hitler der britischen Seite ein großzügiges Verhandlungsangebot an Polen für den nächsten Tag an, mit der Bitte, die Ankündigung unverzüglich nach Warschau weiterzuleiten. Er verband diese Botschaft allerdings mit dem Ultimatum, daß Polen bis zum 30. August um 24 Uhr eine zur Entgegennahme und zu Verhandlungen bevollmächtigte Person nach Berlin entsenden müßte.
 

 

Hektische Betriebsamkeit

Am Mittwoch, dem 30. August, erarbeitete eine Gruppe von Diplomaten und Juristen nach Hitlers Weisungen und Görings Vorschlägen dieses neue Verhandlungsangebot an Polen. Hitler hatte in diesem letzten Angebot vor Kriegsbeginn alle früheren Wünsche aus der Zeit der Weimarer Republik weit zurückgefahren. Er hatte Ost-Oberschlesien und die Provinz Posen endgültig abgeschrieben.

Hitler wollte die Briten offensichtlich mit einem moderaten Vorschlag dazu bringen, daß sie die Polen guten Gewissens zu einem Entgegenkommen drängen würden. Dennoch, der neue Vorschlag verlangte mehr als der von Polen ausgeschlagene deutsche März-Vorschlag. Die Auflistung der deutschen Wünsche und Angebote umfaßte 16 Punkte. Dazu gehörten unter anderem:

  • Danzig kehrt heim ins Reich.

  • Im nördlichen „Korridor“ soll eine Volksabstimmung entscheiden, ob das Gebiet polnisch oder deutsch wird.

  • Die Hafenstadt Gdingen bleibt unabhängig vom Abstimmungsergebnis polnisch.

  • Je nach Abstimmungsergebnis im Korridor erhält entweder Deutschland exterritoriale Verkehrswege nach Ostpreußen oder Polen exterritoriale Verkehrswege nach Gdingen.

  • Die in Danzig für Polen gewünschten Sonderrechte werden ausgehandelt und Deutschland gleiche Rechte in Gdingen zugestanden.

  • Die Beschwerden der deutschen Minderheit in Polen und die der polnischen Minderheit in Deutschland werden von einer internationalen Kommission untersucht. Beide Nationen zahlen Entschädigungen an betroffene Geschädigte nach Maßgabe der Kommission.

  • Im Falle einer Vereinbarung nach diesen Vorschlägen demobilisieren Polen und Deutschland sofort ihre Streitkräfte.

Nach allen Zugeständnissen wollte Chamberlain Hitler nun „zähmen“

Der neue Vorschlag war so ausgelegt, daß er sowohl die unglückliche, in Versailles verfügte Abtrennung Ostpreußens vom Deutschen Reich beenden würde als auch den freien Zugang Polens zur Ostsee sicherstellte. Außerdem wahrte er das Selbstbestimmungsrecht der polnischen, kaschubischen und deutschen Bevölkerungsanteile.

Um die Mittagszeit des 30. August, während in Berlin noch am Vorschlagstext gefeilt wurde, informierte die deutsche Reichsregierung die britische in groben Zügen über den Inhalt des neuen deutschen Kompromißangebots. Man bemühte sich von Berlin aus, die Briten als Vermittler anzustoßen, die Polen mit Hilfe dieser Vorschläge zum Verhandeln zu bewegen. Doch der 30. August verging, ohne daß ein polnischer Unterhändler in Berlin erschien.

Anstelle eines polnischen Beauftragten traf um 17:30 Uhr die Nachricht ein, daß seit morgens in ganz Polen die Generalmobilmachung öffentlich bekanntgegeben wurde. Als bis zum Abend immer noch kein Unterhändler eingetroffen, geschweige denn angekündigt war, verschob Hitler den auf den 31. August festgelegten Angriffsbeginn ein drittes Mal um 24 Stunden. Hitler räumte sich damit selbst noch einmal eine Chance ein, ohne Blutvergießen zum Erfolg zu kommen.

In Warschau war indessen nur Hitlers Ultimatum mit der Forderung nach Entsendung eines Unterhändlers angekommen. Die britische Regierung hatte die Ankündigungen zum Inhalt des deutschen Vorschlags nicht nach Warschau übermittelt. Die polnische Regierung war derweilen nach wie vor der Überzeugung, daß Hitler bluffte. Man hielt seine letzte Drohung, am 26. August in Polen einzumarschieren, nachträglich für ein mißglücktes Einschüchterungsmanöver, dem nun ein zweites folgen würde.

Verhängnisvolle Dramatik

Gerüchte über einen bevorstehenden Aufstand der Wehrmachtsgenerale und die Gewißheit der britischen und französischen Waffenhilfe bestärkten die polnische Regierung in ihrem Glauben. Die Polen schickten niemanden nach Berlin. Auch aus Paris und Washington kam an diesem Tage kein Impuls an Polen, das Risiko des Kriegsausbruchs zu mindern. Man beschwor sich gegenseitig, hart zu bleiben.

Chamberlain in London hatte Polen nicht den geringsten Wink gegeben, in bezug auf Danzig und den Korridor die eigene Position zu überdenken. Nachdem Hitler seit drei Jahren mit Drohungen dem Ausland gegenüber durchsetzte, was er für richtig hielt, wollte Chamberlain ihn nun „zähmen“. Am 31. August, dem letzten Tag vor Kriegsausbruch, nahm die verhängnisvolle Dramatik noch einmal zu. Der britische Botschafter in Berlin, Nevile Henderson, erschien bei Außenminister von Ribbentrop und erklärte, seine Regierung sei nicht in der Lage, der polnischen zu empfehlen, auf das deutsche Verhandlungsverfahren einzugehen.

Er riet, Deutschland sollte den normalen diplomatischen Weg einschlagen und die Vorschläge dem polnischen Botschafter direkt übergeben. Das war nach den fast sechs Monate währenden erfolglosen Verhandlungen zwischen Warschau und Berlin seit Oktober 1938 und der gerade eine Woche alten britischen Rückversicherung für Polen kaum ein seriöser Vorschlag mehr. Von Ribbentrop begann dem Botschafter den deutschen 16-Punkte-Vorschlag vorzulesen, weigerte sich aber, ihn auszuhändigen, mit der Begründung, der Vorschlag sei nun hinfällig, da kein polnischer Verhandlungspartner erschienen sei.

Der polnische Botschafter Lipski ging auf keine Verhandlung ein

Henderson ließ jedoch nichts unversucht. Er eilte in die polnische Vertretung und forderte den polnischen Botschafter Józef Lipski auf, sich unverzüglich bei von Ribbentrop zu melden, um den deutschen Vorschlag entgegenzunehmen. Lipski sträubte sich und versprach zunächst nur, mit seiner Regierung zu telefonieren. Inzwischen war Hitler die verpatzte Notenübergabe zwischen Henderson und Ribbentrop bekanntgeworden. Hitler, der schwedische Vermittler Dahlerus und Göring versuchten nun noch einmal, zu retten, was zu retten war.

Der Text des 16-Punkte-Vorschlags wurde Henderson schnellstens übermittelt. Ein britischer Botschaftsangehöriger eilte, diesmal mit dem 16-Punkte-Vorschlag in der Hand, in die polnische Botschaft, um ihn an Lipski zu übergeben. Doch der erklärte nur: „Ich habe keinerlei Anlaß, mich für Noten oder Angebote von deutscher Seite zu interessieren. Ich kenne die Lage in Deutschland. (...) Ich bin überzeugt, daß hier im Falle eines Krieges Unruhen ausbrechen werden und daß die polnischen Truppen gegen Berlin marschieren werden.“

Nun, es war inzwischen 12 Uhr mittags, erschien auch Dahlerus bei Lipski und übergab ihm den deutschen 16-Punkte-Vorschlag. Dahlerus rief anschließend postwendend von der britischen Botschaft in Berlin das Außenministerium in London an, und beschwerte sich darüber, daß Polen offensichtlich ganz bewußt jede Verhandlungsmöglichkeit zerstörte. Lipski habe ihm gesagt, die deutschen Vorschläge seien nicht einmal erwägenswert. Am Ende des Gesprächs betonte der Schwede, daß er selbst den deutschen 16-Punkte-Vorschlag für außerordentlich großzügig halte.

Versuch, Deutschland hinzuhalten

Wenige Minuten nach dem Dahlerus-Anruf mit der Beschwerde über Lipskis Verhalten folgten zwei Weisungen aus London. Henderson in Berlin erhielt um etwa 13 Uhr per Telefon den Auftrag, die Reichsregierung davon zu informieren, daß die polnische Regierung nun ihren Botschafter ins Außenministerium schicken werde. Und Howard Kennard, der britische Botschafter in Warschau, wurde angewiesen, er möge der polnischen Regierung unverzüglich den Rat erteilen, ihren Botschafter in Berlin zur Reichsregierung zu entsenden.

Lipski sollte sich dort bereit erklären, neue deutsche Vorschläge entgegen zu nehmen und nach Warschau zu übermitteln. Warschau könnte dann ebenfalls Vorschläge vorlegen. Auch dieses Telegramm enthielt noch keinen Hinweis auf Hitlers Forderung, einen zur Aufnahme von Gesprächen bevollmächtigten polnischen Gesandten zu schicken. Es wirkte so, als versuchten Chamberlain und Halifax Hitler in diesem Punkt so lange hinzuhalten, bis er schwach würde oder von sich aus mit dem Krieg begänne.
 

 

Die letzten Stunden vor dem Kriegsausbruch

Am Mittag des 31. August 1939 kam noch einmal Bewegung in das verhängnisvolle Spiel. Um 12.40 Uhr ging eine Depesche per Funk vom polnischen Außenminister Józef Beck an Botschafter Józef Lipski in Berlin, wo sie von der deutschen Funkaufklärung mitgeschnitten und entschlüsselt wurde. Danach hatte diese Weisung einen Anhang, der lautete: „Lassen Sie sich unter keinen Umständen auf sachliche Diskussionen ein. Wenn die Reichsregierung mündliche oder schriftliche Vorschläge macht, müssen Sie erklären, daß Sie keinerlei Vollmacht haben, solche Vorschläge entgegenzunehmen oder zu diskutieren, und daß Sie ausschließlich obige Mitteilung Ihrer Regierung zu übermitteln und erst weitere Instruktionen einzuholen haben.“

Mit der Vorlage dieser mitgehörten Weisung bei Hitler, Göring und von Ribbentrop platzte die beinahe letzte Chance für den Frieden. Es war inzwischen 13 Uhr, noch 16 Stunden bis zum festgesetzten Beginn des Wehrmachtangriffs gegen Polen. Nach etwa zwei Stunden weiteren Überlegens schlug Birger Dahlerus Göring vor, er sollte nun selbst Verhandlungen mit der britischen Regierung aufnehmen. Beide Männer wußten, daß mit den Polen in dieser festgefahrenen Lage keine so schnelle Verständigung mehr möglich war, daß sie die Wehrmacht hätte stoppen können.

Henderson überzeugte die polnische Verweigerungspraxis

Göring fuhr zu Hitler, um sich neue Gespräche mit der britischen Regierung genehmigen zu lassen. Der war zwar mehr als skeptisch, doch er billigte sofortige Gespräche Görings mit Henderson und den Vorschlag, London für Polen mitverhandeln zu lassen. Hitler wußte, daß ihn das nun sichere Ausbleiben eines polnischen Verhandlungsführers sonst vor die Wahl stellen würde, Danzig und die deutsche Minderheit in Polen aufzugeben oder Polen in 14 Stunden anzugreifen. Der direkte Weg über London war damit auch seine letzte Chance für eine Verständigung mit Großbritannien. Hitler war offensichtlich auch jetzt noch – am Nachmittag vor Kriegsausbruch – bereit, den Polen-Feldzug abzublasen. Sonst hätte er Göring in dieser Stunde festgehalten.

Dahlerus eilte derweil in die britische Botschaft, um dort den Boden zu bereiten. Dahlerus zeigte Henderson den entschlüsselten Text der Weisung Becks an Lipski und machte damit deutlich, daß es in dieser hochbrisanten Lage nur noch die Möglichkeit gäbe, den Frieden zu erhalten, wenn Göring und Henderson zu einer Verständigung über ein Programm für deutsch-britische Verhandlungen kämen. Um 16.30 Uhr kam die Konferenz mit Henderson, Göring und Dahlerus zustande. Göring empfing Henderson besonders herzlich. Beide bemühten sich offensichtlich, eine günstige Atmosphäre für das anstehende Gespräch zu schaffen. Göring schlug dem britischen Botschafter vor, Verhandlungen zwischen Deutschland und Großbritannien einzuleiten, bei denen London auch für Warschau mitverhandeln sollte

Das Chiffretelegramm von Beck an Lipski als Beleg wies auf die Unmöglichkeit hin, eine gedeihliche Regelung mit Polen zu erwirken. Henderson erklärte sich daraufhin bereit, seiner Regierung den neuen deutschen Vorschlag zu übermitteln. Auch Henderson versuchte, ein Anliegen in der Besprechung anzubringen. Er bat Göring, die für den gleichen Abend angekündigte Veröffentlichung der 16 Punkte Hitlers über Rundfunk zu verhindern. Henderson befürchtete, daß damit die letzte schwache Hoffnung auf ein Zustandekommen deutsch-polnischer Gespräche zerstört würde. Das Gespräch endete kurz vor 19 Uhr, ohne daß Göring etwas Definitives erreicht hätte.

Beide wußten, daß das den Krieg bedeutete

Der Wunsch Botschafter Hendersons, die 16 Punkte Hitlers so lange wie möglich vor der Welt geheimzuhalten, zielte wohl mehr auf die Kriegsbereitschaft der Bürger Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Die Beschränkung der deutschen Forderungen und der Vorschlag, die betroffenen Bewohner des Korridors selbst über ihre Zugehörigkeit zu Polen oder Deutschland abstimmen zu lassen, könnte – so war wohl die Befürchtung der Londoner Regierung – vielen Franzosen, Briten und Amerikanern nicht mehr genügen, um deshalb für die Polen in den Krieg zu ziehen.

So schrieb dann auch ein französischer Historiker nach dem Krieg über den 16-Punkte-Vorschlag: „Hätten des französische und das britische Volk am 30. August von diesen Vorschlägen Kenntnis gehabt, so hätten Paris und London kaum den Krieg an Deutschland erklären können, ohne einen Sturm der Entrüstung hervorzurufen, der den Frieden durchgesetzt hätte.“

Inzwischen, gegen 16 Uhr, suchte Botschafter Lipski um ein Gespräch bei Außenminister Joachim von Ribbentrop nach. Dieser wußte seit ein paar Stunden, daß Lipski weder verhandeln noch die deutschen Verschläge entgegennehmen durfte. Lipski verlas um 18.30 Uhr die polnische Erklärung, die von Ribbentrop bereits aus dem entschlüsselten Telegramm aus Warschau kannte. Der Minister fragte daraufhin, ob der Botschafter verhandeln dürfe. Der verneinte. Das Gespräch berührte noch den deutsch-britischen Meinungsaustausch der letzten Tage und Hitlers Erwartung, bis zum Abend des 30. August einen polnischen Verhandlungsbevollmächtigten in Berlin zu sehen. Dann fragte von Ribbentrop Botschafter Lipski ein zweites Mal, ob er verhandeln dürfe. Als der erneut verneinte, war das Gespräch beendet. Beide wußten, daß das den Krieg bedeutete.

Generalmobilmachung in Polen

So waren um 19 Uhr die beiden letzten Versuche gescheitert bzw. im Sand verlaufen, die deutsch-polnischen Probleme ohne Krieg zu lösen: Gescheitert war das Bemühen, mit Polen Gespräche über Hitlers 16-Punkte-Vorschlag zu beginnen, und im Sand verlaufen der Versuch, mit Großbritannien statt mit Polen zu verhandeln. Um 21 Uhr gab der deutsche Rundfunk Hitlers 16-Punkte-Vorschlag öffentlich bekannt.

Zwischen 21 und 22 Uhr überreichte Staatssekretär von Weizsäcker die schriftlichen Ausfertigungen des Hitler-Vorschlags nacheinander an die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs, Japans und an die Geschäftsträger der USA und der Sowjetunion. Der Daily Telegraph in London berichtete noch in seiner Abendausgabe über die Vermittlungstätigkeit der Londoner Regierung zwischen Warschau und Berlin und dabei unter anderem, daß die polnische Regierung nach Eingang des Verhandlungsangebots aus Deutschland die Generalmobilmachung für ihre Streitkräfte angeordnet hatte, statt das Angebot zu honorieren.

Diese Abendausgabe wurde schnell beschlagnahmt. Der Nachdruck, der kurz darauf als Spätausgabe erschien, ließ die Generalmobilmachung in Polen unerwähnt. Nichts sollte in dieser schweren Krise bei britischen Lesern Zweifel entstehen lassen.
 

 

Die Würfel sind gefallen 

Es ist anzunehmen, daß die deutsch-polnische Allianz ab 1934 ohne die britische und französische Einflußnahme irgendwann im Jahre 1939 doch noch zu einer deutsch-polnischen Verständigung zu Danzig und der Korridorpassage geführt hätte. Hitlers Offerte vom Oktober 1938, die polnischen Gebietserwerbungen seit 1920 als Preis für eine exterritoriale Verkehrstrasse durch den Korridor und die Wiedervereinigung Danzigs mit dem Reich anzuerkennen, verbunden mit dem Vorschlag eines Friedens- und Freundschaftsvertrags für 25 Jahre, war ein adäquates Angebot.

Auch Hitlers Zusatz vom Januar 1939: „Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen“, war eine Brücke, über die Polen ohne Ansehens- und Substanzverlust hätte gehen können. Doch die Mächtigen der Welt entschieden anders.

London hat Polen für eigene Ziele gegen Deutschland mißbraucht

Am 1. September 1939 trat die deutsche Wehrmacht zu ihrem Angriff gegen Polen an. Am 3. September erklärten Großbritannien und Frankreich daraufhin den Krieg an Deutschland. Dann kam für Polen das Erwachen. Weder Paris noch London hielten ihre erst im Frühjahr 1939 gegebenen Hilfsversprechen. Der französische Oberbefehlshaber General Maurice-Gustave Gamelin hatte dem polnischen Kriegsminister General Tadeusz Kasprzycki noch im Mai schriftlich zugesagt, daß Frankreich an seinem 15. Mobilmachungstag mit 40 Divisionen zu einem Großangriff gegen das Deutsche Reich antreten werde.

Doch an diesem Tage traten nicht die Franzosen von Westen her zum Angriff gegen Deutschland an, sondern die Sowjets von Osten her zu ihrem Angriff gegen Polen. Großbritannien und Frankreich hatten Polen trotz aller Versprechungen im Stich gelassen. Sie hatten Polen für ihre eigenen Ziele gegen Deutschland positioniert und dann mißbraucht.

Garantie galt nicht bei sowjetischem Angriff

Heute muß verwundern, daß Großbritannien und Frankreich nicht auch der Sowjetunion den Krieg erklärt haben, nachdem die Rote Armee am 17. September 1939 Polen angegriffen hatte. Dazu muß man wissen, daß sich der britische Schutzvertrag mit Polen von 1939 ausdrücklich nur auf eine Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Polen bezogen hatte, also auf den Fall, daß Deutschland seine 1920/1921 unter Zwang an Polen abgetretenen und deutsch besiedelten Gebiete zurückerobern wollte. Die Londoner Regierung hatte wohlweislich keine Garantie für den Fall ausgesprochen, daß die Sowjetunion ihre 1921 ebenfalls unter Zwang abgetretenen, russisch und ukrainisch besiedelten Gebiete zurückerobern würde.

Diese britische Haltung fand später ihre folgerichtige Fortsetzung, als Premierminister Winston Churchill am 16. Dezember 1944 erklärte: „Wenn Polen nicht freiwillig auf alle Gebiete östlich der Curzon-Linie verzichtet, wird Großbritannien sich hinter die russischen Forderungen stellen.“ Daß der Präsident der USA genauso dachte, hatte er schon ein Jahr zuvor geäußert, als er dieses Gebiet Stalin auf der Konferenz von Teheran im Dezember 1943 zugesprochen hatte. Gegenüber den polnischstämmigen Amerikanern hat Roosevelt dieses Zugeständnis bis Ende 1944 abgestritten.

Hitlers Angebot an die Alliierten blieb unbeantwortet

Zu Ende des Polen-Feldzugs reiste der deutsche Außenminister von Ribbentrop erneut nach Moskau, um über Polens Zukunft zu verhandeln. Hitlers Vorstellung und Ziel zu diesem Zeitpunkt war, das rein polnisch besiedelte Territorium zwischen Deutschlands Osten und Rußlands Westen als selbständiges Rumpfpolen etwa in der Größe des Kongreßpolen von 1815 wieder auferstehen zu lassen. Von Ribbentrop bot der Sowjetunion dazu das der deutschen Interessensphäre zugehörende Litauen im Tausch gegen die sowjetisch besetzten, polnisch besiedelten Gebiete östlich von Warschau an. So konnte Hitler den Westmächten die Gründung eines selbständigen Restpolen und den Rückzug der Wehrmacht von dort als Preis für einen Friedensschluß anbieten.

Deutschland sollte bei dieser Neugestaltung Polens die Freie Stadt Danzig und den deutsch besiedelten Teil Westpreußens, die Sowjetunion ihre ehemaligen Gebiete in Weißrußland und in der Ukraine zurückbekommen. Hitler machte dieses Angebot am 6. Oktober 1939. Der Preis, den Hitler dafür nannte, war der Abschluß eines Friedensvertrags zwischen Frankreich, Großbritannien und dem Deutschen Reich. Es gab damals keine Antworten aus London und Paris. Nach 1945 überließen Frankreich, Großbritannien und die USA das von Deutschland befreite Polen der Fremdherrschaft der Sowjetunion.
 


Quelle:
Bericht: JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co., Geschichte, 01.09.2009,
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display.154+M5d6eb49d759.0.html;

Teil 1: Die Hypotheken von Versailles;
Teil 2: Danzig, der ewige Streitpunkt;
Teil 3: Die wirtschaftliche Existenz war ständig gefährdet;

Teil 4: Krieg gegen die nationalen Minderheiten;
Teil 5: Eingezwängt zwischen zwei Militärmächten;
Teil 6: Danzigs Zukunft wurde zuvor in Prag verspielt

Teil 7: Krieg war nur noch eine Frage der Zeit;
Teil 8: Stalin verhandelte zweigleisig;
Teil 9: Die finale Verhandlungsrunde;

Teil 10: Hektische Betriebsamkeit
Teil 11: Die letzten Stunden vor dem Kriegsausbruch;
Teil 12: Die Würfel sind gefallen;
 

  Audio-Datei aus dem Polarfilm Geschichtshörbuch zu:
 Gerhard Schultze-Rhonhof, Der Krieg der viele Väter hatte

 

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