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Wie ist es zu bewerten, wenn in einer neuen Bibelfassung das christliche Kerngebet „Vater unser“ mit den Worten „Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel ...“ beginnt? Eine Frage mit der man sich beschäftigen darf, denn sie ist Realität geworden. Die Bibel, deren Inhalt die Lebensführung von Menschen weltweit beeinflußt, ist neu übersetzt und inhaltlich verändert worden. Über fünf Jahre haben 52 Theologen an der politisch korrekt veränderten, alternativen Bibelfassung gearbeitet. Im Oktober dieses Jahres ist das 2400 Seiten umfassende Werk nun erschienen. Die neuen Übersetzungen weichen von dem überlieferten Urtext ab. Die Unterschiede etwa zur deutschen Luther-Bibel sind dabei erheblich. „Brüder“ werden zu „Geschwister“, der „Herr“ wird zu „die Lebendige“. Und dort, wo Jesus von Nazareth in der Bergpredigt mit „Ich aber sage Euch …“ anhebt, heißt es in der jüngsten Fassung „Ich lege Euch das heute so aus ...“. Die Verweiblichung Gottes und der unterstellt vermittelnde Tonfall der Worte Jesu sind durchaus gewollt, denn eine vermeintliche Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und die Überwindung der christlich-jüdischen Klüfte waren die Vorgaben der Autoren. Der evangelische Theologe Frank Crüsemann von der Universität Bonn hat an der Übersetzung mitgewirkt. „Gott ist weiblicher, als man glaubt“, rechtfertigt er das Projekt. Sein Kollege Klaus Kirchhoff erklärt zwar, die Übersetzer schlössen „damit eine Lücke in der Reihe der Bibelübersetzungen“. Dennoch räumt er ein, daß die politische Korrektheit zu deutlichen Eingriffen in den Text nötige. Die mehrheitlich von Protestanten zusammengeschriebene und federführend von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vorgelegte Bibelfassung stößt in der katholischen Kirche auf nahezu einhellige Ablehnung. Die Ablehnung des Eingreifens in das „Wort Gottes“ ist so eindeutig, daß eine öffentliche Debatte über die Bibel in gerechter Sprache schlicht nicht stattfindet. Eine Haltung, für die man durchaus Verständnis aufbringen kann. Es ist in der Tat fraglich, ob die Evangelische Kirche sich mit der Alternativ-Bibel einen Gefallen getan hat. „Die Neuübersetzung liefert sich dem Zeitgeist aus. Es ist ein Dokument des sich aushöhlenden Protestantismus“, erklärte der Tübinger Alttestamentler Bernd Jankowski gegenüber „Radio Vatikan“. Hier wird die Auslegung in die Bibel gepackt, Quelle durch Deutung ersetzt. Ein für das Christentum gefährliches Unterfangen, denn es geht davon aus, daß der „Heilige Geist“ die Feder der Chronisten geführt hat. Die Texte der Bibel sind damit nicht die Worte der Autoren, sondern das Wort Gottes. Eine Glaubensgemeinschaft, die ihren Gott dem Zeitgeist unterwirft, kann für sich nicht mehr den Anspruch der Glaubwürdigkeit erheben. Sie führt sich ad absurdum. Man darf gespannt sein, wann die theologische Revolution fortgesetzt wird und eine emanzipierte Kinderbibel erscheint.
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