Heinz Schön, Überlebender der
Gustloff-Katastrophe, über den Fernsehfilm „Die Gustloff“
„Eine deutsche Tragödie“
Ein Interview für die "Junge
Freiheit" geführt von: Moritz Schwarz
Herr Schön, ohne Sie hätte es
den ZDF-Zweiteiler „Die Gustloff“ nicht gegeben, so der verantwortliche
Produzent Norbert Sauter.
Schön: Wenn
mich Überlebende der ebenfalls versenkten Flüchtlingsschiffe Steuben oder Goya
ansprechen, das Schicksal der Gustloff sei so bekannt und das ihrer Schiffe
nicht, antworte ich immer, das liege nicht daran, daß auf der Gustloff noch
einmal 2.000 Personen mehr umgekommen sind als auf der Goya, sondern daran, daß
sich nach dem Krieg keiner um die Aufarbeitung der Geschichte der Schiffe
gekümmert hat.
Im neuen Film kommt Ihre
Figur sogar vor.
Schön: Ja, etwa bei Minute vierzig führt die Hauptfigur des
Films ein kurzes Gespräch mit dem Schauspieler, der mich spielt. Die Szene wurde
zum Dank für meine Mithilfe gedreht und hat mich natürlich gefreut.
Sie sind mit dem Ergebnis
zufrieden?
Eindrucksvolle
Untergangsszenen
Schön: Ich sehe den Film natürlich aus der Perspektive eines
Überlebenden der Gustloff-Katastrophe, und als solcher bin ich den Machern des
Films unendlich dankbar.
Warum?
Schön: Weil sie sich des Themas überhaupt so angenommen haben.
Der Film ist mit großem Aufwand an Ausstattung, Statisten, erstklassigen
Schauspielern und Trickeffekten gedreht. Vor allem die Untergangsszenen sind
sehr eindrucksvoll und zeigen deutlich, daß hier Krieg gegen Frauen und Kinder
geführt wurde.
Der Film wirkt allerdings eher wie ein Liebe-und-Schmerz-Drama vor dem
Hintergrund des Gustloff-Untergangs, statt die Tragödie an sich in den
Vordergrund zu rücken.
Schön: Ein
solcher Film braucht natürlich dramatische Elemente, die die Zuschauer bei der
Stange halten.
Liebesgeschichte
inklusive
In einem früheren
JF-Interview äußerten Sie über die erste Gustloff-Verfilmung „Nacht fiel über
Gotenhafen“ aus dem Jahr 1959: „Die Rahmenhandlung – eine Liebesgeschichte –
habe ich immer abgelehnt.“
Schön: „Nacht fiel über Gotenhafen“ war ein neunzigminütiger
Kinofilm. „Die Gustloff“ ist ein dreistündiger Fernsehfilm. Der Film hat also
genug Zeit für eine Liebesgeschichte und das Thema des Gustloff-Untergangs.
Außerdem sehen einen TV-Film, anders als einen Kinofilm, nicht nur interessierte
Zuschauer.
Er muß es daher schaffen, auch
„auf Probe“ einschaltende Zuschauer zu binden – und gerade die, darunter viele
junge, nicht per se an Zeitgeschichte interessierte Leute, wollen wir ja für das
Thema gewinnen! Außerdem muß er als Zweiteiler mit einer vierundzwanzigstündigen
Unterbrechung kämpfen: Die Zuschauer müssen dazu gebracht werden, auch den
zweiten Teil – der ja erst die eigentliche Tragödie zeigt – einzuschalten.
Deshalb muß man Konzessionen machen.
Sie haben 1959 bereits die erste Verfilmung beraten. Wieso waren Sie nicht
zufrieden?
"Weniger
bedeutungsschwer"
Schön: Was das
Dokumentarische betrifft, war „Nacht fiel über Gotenhafen“ ganz hervorragend,
aber Regisseur Frank Wisbar hat eigentlich weniger die Gustloff-Tragödie an sich
als ein Thema für einen Anti-Kriegsfilm im Sinn gehabt. Der neue Film handhabt
das Thema weniger bedeutungsschwer, sondern versucht, das Geschehen im Rahmen
eines Unterhaltungsfilms zu vermitteln. Damit ist er wesentlich eingängiger für
ein großes Publikum.
Es fällt auf, daß die deutschen Soldaten – bis auf Korvettenkapitän Leonberg
– durchweg negativ, nämlich als Bedrohung für die deutschen Flüchtlinge
dargestellt werden.
Schön: Wenn Sie „deutsche Soldaten“ sagen, verallgemeinern Sie.
Gezeigt werden Angehörige der Feldgendarmerie. Deren Aufgabe war es, die
wehrtauglichen jungen Männer auszusortieren. Auch die verhängnisvolle Rolle, die
der Kommandeur der II. Abteilung der 2. U-Boot-Lehrdivision spielte, ist nicht
grundsätzlich falsch dargestellt. Korvettenkapitän Leonberg dagegen war in der
Tat ein außergewöhnlicher Mann: Er verkörperte einen deutschen Offizier im
besten Sinne und war wirklich bemüht, die Gustloff zu retten.
„Heldentat der deutschen
Marine“
Die Hauptfigur des Films,
der zivile Kapitän, liefert sich ein psychologisches Duell mit seinem zynischen
Bruder, einem Kapitän der Kriegsmarine. Eine volkspädagogische „Dr. Jekyll und
Mr. Hyde“-Konstruktion: gute, zivile Deutsche hie, böse, militärische Deutsche
da?
Schön: Das ist Ihre Auslegung. Der böse Bruder ist jedenfalls
eine reine Erfindung des Drehbuchs. Was mich aber in der Tat ärgert, bis heute
wird in der breiten öffentlichen Darstellung verschwiegen, daß die deutsche
Kriegs- und Handelsmarine 2,5 Millionen Deutsche über die Ostsee gerettet haben.
Eine enorme humanitäre Leistung!
Und ein im ganzen erstaunlich erfolgreiches Unternehmen. Denn die Zahl der
Umgekommen ist mit etwa 40.000 – so schrecklich sie immer noch ist – in
Anbetracht der Gesamtzahl der Geretteten und der damaligen Kriegslage eher
gering.
Wie erklären Sie sich dieses Tabu?
Schön: Offenbar widerspricht so etwas der politischen
Korrektheit. Die Wehrmacht und damit auch die Marine gilt heute ja gemeinhin
meist nur noch als „Hitlers Kriegsmaschine“, und da passen Heldentaten nicht ins
Bild. Am Ende würde das vielleicht noch positiv auf Großadmiral Dönitz abfärben!
Nicht zuletzt liegt es vielleicht auch daran, daß die Frage nach den deutschen
Opfer im Zweiten Weltkrieg heute auf die Formel reduziert wird: Selbst schuld,
auf uns fiel nur zurück, was wir angefangen haben.
In „Die Gustloff“ ist das allerdings nicht anders. Und damit es auch noch der
Letzte kapiert, wird dies gleich an drei Stellen explizit deutlich gemacht.
Schön: Das ist ärgerlich, aber im ganzen zeigt der Film doch
das Gegenteil: nämlich wie Deutsche zu Opfern werden.
Fehlentscheidungen der
Kapitäne
Der Film betont auch die Schuld der deutschen Verantwortlichen, während die
das Schiff torpedierenden Sowjets nur am Rande vorkommen.
Schön: Die gezeigten Auseinandersetzungen zwischen den
deutschen Offizieren haben grundsätzlich tatsächlich stattgefunden, und die
Fehlentscheidungen der deutschen Kapitäne, die die Tragödie erst möglich gemacht
haben, sind tatsächlich so gefallen. Aber Sie haben recht, nach der
Verantwortung der Russen wird kaum gefragt. Allerdings ist das auch nicht
Aufgabe dieses Filmes.
Zwar war die Versenkung der
Gustloff kein Kriegsverbrechen, weil sie kein reines Zivilschiff war, aber daß
die Russen ebenso auf eine Zivilschiff gefeuert hätten, weil sie damals einfach
auf alles schossen, das wird leider nicht thematisiert. Bis heute gilt der
verantwortliche U-Boot-Kapitän Marinescu, der vor allem Frauen und Kinder
getötet hat, in Rußland als großer Held und wird dort immer wieder aufs neue
geehrt. Titel des jüngsten Dokumentarfilms über ihn: „Marinescu, der Nächste
nach Gott“.
Der örtliche NSDAP-Ortsgruppenleiter wird im Film als oberschmieriger
Klischee-Nazi gezeigt.
Schön: Im Film läuft er ständig in Uniform herum, was den
Eindruck vermittelt, er sei ein wichtigtuerischer und von der Partei bezahlter
hauptberuflicher Tunichtgut gewesen. Tatsächlich war der Mann Leiter der
Bordwäscherei und Ortsgruppenleiter nur im Ehrenamt. Ich habe ihn in einem
ganzen Jahr vielleicht ein- oder zweimal in Uniform gesehen.
„Ein mysteriöser
Funkspruch – wurde die Gustloff verraten?“
Obendrein läßt ihn der Film mit Alkohol und Mädchen feiern, während vor der Tür
die Flüchtlinge aus Ostpreußen unter freiem Himmel erfrieren.
Schön: Ebenso wird im Film gezeigt, wie er den Festsaal der
Gustloff für Flüchtlinge sperren lassen will, um dort den Geburtstag des
Namespatrons des Schiffs, des 1936 erschossenen Parteigenossen Wilhelm Gustloff,
zu feiern. Davon ist mir nichts bekannt.
Tatsächlich war der Mann mit
seiner Wäscherei voll beschäftigt, wo auch die Wäsche der Flüchtlinge gewaschen
wurde. Ich habe den Drehbuchautor Rainer Berg auch gefragt, was das soll.
Antwort: Er wolle mit dieser Szene dem Zuschauer erklären, woher der Name
Wilhelm Gustloff kommt.
Glauben Sie das? Geht es nicht offensichtlich um Denunziation?
Schön: Das alles ist sehr unglücklich gelungen und provoziert
Fehldeutungen.
Ich bitte Sie – am Ende flieht der Mann mit nichts als einem „Führer in
Öl“-Gemälde unterm Arm ins Rettungsboot. Das ist doch grotesk.
"Denunziation war mit
Sicherheit nicht seine Absicht"
Schön: Ich finde das auch überspitzt, aber ich kenne den Drehbuchautor
ja nun persönlich, Denunziation war mit Sicherheit nicht seine Absicht.
Im Film liefert ein Verräter
an Bord die Gustloff „ans Messer“. Was hat es damit auf sich?
Schön: Tatsache ist, daß auf der Brücke der Gustloff ein Mann
mit einer Meldung erschien, die uns veranlaßte, bei Nacht Positionslichter zu
setzen, was dem sowjetischen U-Boot unsere Torpedierung erleichterte. Allerdings
wäre der Beschuß auch ohne diese Maßnahme früher oder später erfolgt. Ein
Geheimnis bleibt, woher der Mann mit der Meldung kam.
Denn der Funkspruch, der ihr
angeblich zugrunde liegen sollte, ging, wie wir später herausgefunden haben,
tatsächlich nie in der Funkstation der Gustloff ein, und der Leiter der
Funkstation hat auch nie jemanden mit einer solchen Meldung zur Brücke
geschickt. All das bleibt ein Mysterium.
Sie empfehlen also, auf jeden Fall den Film am Sonntag- und Montagabend
nicht zu verpassen?
Schön: Ja, unbedingt! Denn ich glaube, es ist trotz allem ein
großer und ein mutiger Film. Nicht zuletzt deshalb, weil er auch stellvertretend
steht für all das unerzählte Leid, das so viele Deutsche damals durchleben
mußten – es ist eine deutsche Tragödie.
Heinz Schön
entriß das Schicksal des deutschen Flüchtlingsschiffs Wilhelm Gustloff, das am
30. Januar 1945 mit über 10.000 Menschen an Bord von einem russischen U-Boot
versenkt und zur größten Schiffskatastrophe der christlichen Seefahrt wurde, dem
Vergessen. Schön war einer von 1.252 Überlebenden.
Geboren 1926 in Jauer in
Schlesien, trat er 1943 in die Handelsmarine ein und wurde im Dezember 1944
Zahlmeister-Assistent – was einem Fähnrichsrang entspricht – und 4. Offizier auf
der Gustloff. Nach dem Krieg recherchierte er den Fall unermüdlich, baute das „Gustloff-Archiv“
auf, wirkte an verschiedenen TV-Dokumentationen zum Thema mit, beriet die
Dreharbeiten zu zwei Gustloff-Spielfilmen und veröffentlichte zahlreiche Bücher,
darunter „SOS Wilhelm Gustloff. Die größte Schiffskatastrophe der Geschichte“
(Motorbuch Verlag, 1998) und „Die Gustloff-Katastrophe. Bericht eines
Überlebenden“ (Motorbuch Verlag, 2002).
Außerdem stützte sich Günter
Grass für seine 2002 erschienene Gustloff-Novelle „Im Krebsgang“ auf die Arbeit
Schöns. Jüngst erschien sein drittes Buch zum Thema: „Die letzte Fahrt der
Wilhelm Gustloff“ (Motorbuch Verlag, 2007).
Eindrucksvoll berichtete Heinz
Schön bereits in früheren JF-Interviews über den Fall Gustloff und seine
traumatischen Erlebnisse in der Nacht des Untergangs. Lesen Sie mehr in zwei
weiteren Gesprächen mit der Jungen Freiheit (49/01
und 08/02).
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