Kind an der kurzen Leine. Tusche-Zeichnung von Martin Mißfeldt, 1992. |
An der kurzen Leine
Ein Kommentar von Gernot Facius
Dass es in Verbänden, Parteien und Organisationen mitunter mal heftig kracht, ist das Normalste der Welt; einen Streit auszufechten gehört zur politischen Hygiene. Dass dabei Führungspersonen ihr Amt verlieren können, ist auch nicht unbedingt eine Aufregung wert. So gesehen könnte man den aktuellen Konflikt in der Landsmannschaft Schlesien (LS) getrost vergessen, würfen nicht die Umstände der Abwahl des seit dreizehn Jahren amtierenden Vorsitzenden Rudi Pawelka ein Licht auf die innere Verfassung von Vertriebenenorganisationen: Sie lassen sich mehr und mehr von der Politik vorschreiben, wie sie zu ticken haben.
An Pawelkas Amtsführung mag einiges auszusetzen sein, das betrifft aber nicht den Kern des Skandals. Der LS-Vorsitzende wurde gestürzt, weil Vorstandskollegen einem Wink aus der Landesregierung in Hannover folgten. Was war geschehen? Der CDU-Mann Pawelka hatte auf dem traditionellen Deutschlandtreffen der Schlesier in der niedersächsischen Landeshauptstadt die Forderung nach einer Entschuldigung Polens und der Tschechischen Republik für die Vertreibung der Deutschen erneuert. So etwas gilt heute als politisch unkorrekt und wird geahndet. Durch Liebes- und Mittelentzug. Von 2015 an werde es keine finanzielle Förderung des großen Landsmannschaftstreffens mehr geben, sollte es nicht zu grundsätzlichen Umorientierungen des Verbandes und seiner Aktivitäten kommen, schrieb die rot-grüne Regierung an LS-Vorstandsmitglieder. Und weiter: Künftig müsse sichergestellt werden, dass die Landsmannschaft sich dem „Gedanken der Aussöhnung" verschreibe und von, “rückwärtsgewandten und revanchistischen Äußerungen" ablasse. Es folgte die Drohung: "Das Schlesiertreffen wird also nur Bestand haben, wenn es sich als Brücke ins heutige Schlesien, als Ort der Begegnung und des kulturellen Austausches sowie des generationenübergreifenden Dialogs versteht."
Jetzt weiß man es also. Hinter den schönen Worten Begegnung und Dialog verbirgt sich die Absicht, die Deutungshoheit über „Aussöhnung" zu beanspruchen. Der aus der moraltheologischen Sphäre stammende Begriff „Versöhnung" beziehungsweise „Aussöhnung" wird politisch umgemünzt - und gegen die Landsmannschaft gewendet. Es wird ignoriert, dass Vertriebenenorganisationen seit Jahrzehnten Kontakte mit Kommunen, Verbänden, Kirchen und Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft in den ehemaligen Vertreiberstaaten pflegen. Oberlehrerhafte Belehrungen haben sie nicht nötig. Man verlangt von ihnen politisches Wohlverhalten das ist der Skandal. Wer darauf beharrt, Warschau und Prag an die an Deutschen verübten Verbrechen zu erinnern und Gesten der Heilung von Unrecht einzufordern, wird als Unruhestifter und Revanchist stigmatisiert. Kulturorganisation ja, Opferverband, der Rechtsansprüche geltend macht, entschieden nein: Das ist die brutale Botschaft von der Leine. Die Politik sagt, wo es langzugehen hat. Wer nicht in dieser Spur bleibt, wird von den staatlichen Geldtöpfen weggedrängt. Dass in ihnen auch Steuern von Heimatvertriebenen stecken, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist: Man erzieht sich Organisationen, die sich vor der Peitsche der Politischen Korrektheit (und damit vor dem Verlust an Verbandsmitteln) fürchten. Das niedersächsische Beispiel ist kein Einzelfall, Pressionen und Pressionsversuche sind auch aus unionsgeführten Landesregierungen bekannt, von der Bundesregierung ganz zu schweigen.
Der missliebige Pawelka, das muß man ihm zugutehalten, gehört zum Verein für deutliche Aussprache. Er meldet sich auch dann zu Wort, wenn andere schweigen. Mit einer Stellungnahme im Pressedienst Schlesien geißelte er die Scheu deutscher Politiker, das Wort „Vertreibung" in den Mund zu nehmen. Pawelka nahm dabei auch die Konzeption der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung" unter die Lupe. Leider sei vielen nicht aufgefallen, auch den Vertretern der Vertriebenen im Stiftungsrat nicht, wie Tatbestände durch Worte verfälscht würden: Bis zur Verabschiedung des Potsdamer Protokolls am 2. August 1945 spricht die Konzeption von 'wilden Vertreibungen', danach gibt es nur noch Zwangsaussiedlungen, die auf der 'Grundlage der Potsdamer Konferenz' erfolgte“. So als sei durch die Großen Drei neues Recht geschaffen worden. Für die Vertriebenen bedeute dies eine tiefe Demütigung, weil man verschweige, daß sie unter Bruch des Völkerrechts durch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vertrieben worden seien. Man billige ihnen nur zu, zwangsausgewiesen zu sein. Ausweisung heiße nach einschlägigen Wörterbüchern, die polizeiliche Ausweisung eines Ausländers aus einem Staat: „Die Vertriebenen wurden demnach auf der Rechtsgrundlage von Potsdam wie Ausländer ausgewiesen, und zwar innerhalb Deutschlands."
Solch klare Worte wünschte man sich auch von der
deutschen Politik im Jahr 2013. Sie aber duckt sich hinter - dubiosen -
Rechtsauffassungen der Siegermächte. Die Vertreibung war eine gegen das
Völkerrecht - auch das damalige - verstoßende
ethnische Säuberung", schrieb 2003
der SPD-Politiker Peter Glotz („Die Vertreibung - Böhmen als Lehrstück").
Vertreibungen seien Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Schon das Internationale Militärtribunal von Nürnberg habe so entschieden, genau
zu der Zeit, als die Tschechen die Sudetendeutschen vertrieben. Im Statut des
Tribunals ist die „Deportation" als Straftatbestand schon enthalten. Ein Exkurs
in die unmittelbare Nachkriegszeit schafft Klarheit. Den deutschen Angeklagten,
die für Hitlers Massendeportationen mitverantwortlich waren, wurde am 20.
November 1945 vom französischen Ankläger vorgehalten: „Solche Deportationen
verletzen die internationalen Konventionen, insbesondere Artikel 46 der
Haager
Landkriegsordnung von 1907, die Kriegsgesetze und Gebräuche, die allgemeinen
Grundsätze des Strafrechtes, wie sie sich aus den Strafgesetzen aller
zivilisierten Nationen herleiten, die Strafgesetze jener Länder, in denen solche
Verbrechen verübt wurden, und Artikel 6 b des Statuts." Artikel 6 b betraf
Kriegsverbrechen. Der Sozialdemokrat Glotz, 1939 in Eger geboren, hatte noch den
Mut, auf die Verletzungen des Völkerrechts hinzuweisen, aus denen sich eine
Pflicht zur rechtlichen Heilung ergibt. Die nachfolgende Politikergeneration hat
sich von dieser Position weit entfernt - oder nimmt die völkerrechtlichen
Implikationen nicht zur Kenntnis. Sie negiert auch das Faktum, dass im
Potsdamer
Protokoll keine Aussage über den Entzug des Vermögens der vertriebenen
Bevölkerung getroffen wurde; sie stellt sich taub, wenn von Betroffenen
beziehungsweise deren Nachkommen die Eigentumsfrage thematisiert wird - oder
stellt Forderungen nach Wiedergutmachung pauschal unter Revanchismusverdacht.
Dabei müsste auch den Akteuren in - Berlin, München und andernorts klar sein:
Auf den Eigentumstitel generell zu verzichten würde bedeuten, die Entrechtung
und spätere Vertreibung anzuerkennen. Muss man an diesen Zusammenhang erinnern?
Offensichtlich ja.
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