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Preußen und der deutsche Kulturstaat Preußen ist der große Untote der deutschen Geschichte. Obwohl 1947 von den alliierten Siegern des Zweiten Weltkriegs per Kontrollratsbeschluss für aufgelöst erklärt, war und ist sein Erbe zu groß und zu lebendig, als dass es von den deutschen Nachkriegsstaaten – der alten westlichen Bundesrepublik, der DDR und der vereinigten Bundesrepublik seit 1990 – sowie in seinen alten östlichen Provinzen jenseits von Oder und Neiße verdrängt werden konnte, beziehungsweise kann. Gleichwohl stellte sich mit dem staatlichen Ende Preußens die Frage, was mit seinen verschiedenen Hinterlassenschaften geschehen sollte. Für den Bereich Kultur wurde dies mit der Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) beantwortet. Sie sollte ein Dach sein für die Pflege und Erhaltung der Kulturgüter des ehemaligen Landes Preußen. Als solche ist sie – neben der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, der die Verwaltung des Immobilienbesitzes des Hohenzollernstaates obliegt – eine der letzten Institutionen, die das Wort „Preußen“ in ihrem Namen trägt. Wenn nun die bisherige Struktur der SPK und damit auch ihr Name infrage gestellt wird (siehe Seite 1), wirft dies verschiedene Fragen auf. Neben dem wissenschaftsorganisatorischen Problem, in welche Zuständigkeiten und Trägerschaften die geplanten Nachfolgeinstitutionen übertragen werden sollen, stellt sich auch die Frage, welchen geistigen Raum Preußen im Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland haben soll – und wo der angemessene physische Ort dafür ist. Der Kern des deutschen Kulturstaats Wer in der vergangenen Woche die ersten Kommentare dazu gelesen hat, muss bezweifeln, ob den Wortführern in Politik, Kulturleben und Medien die Bedeutung Preußens für unsere Kulturnation überhaupt bewusst ist. So warfen Leitartikel die Frage auf, was denn bedeutende Sammlungsgegenstände der SPK wie die Büste der Nofretete, der Pergamonaltar oder das Ischtar-Tor eigentlich mit Preußen zu tun haben. Und SPK-Generaldirektor Hermann Parzinger erklärte am Montag, dass der Name „Preußen“ bei der internationalen Vermarktung der Museen schwierig sei, da man in Asien und Amerika etc. oft gar nicht wisse, worum es sich dabei handele. Ganz so, als ob es bei der Verwahrung eines kulturellen Erbes in erster Linie um dessen Vermarktung ginge. Natürlich haben die genannten Relikte aus dem Altertum rein gar nichts mit Preußen zu tun – zumindest nicht direkt. Andererseits liegen jedoch all diese Sammlungen, die seit Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, nicht zufällig in Berlin – ebenso wenig wie Berlin zufällig Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist. Vielmehr sind der Preußische Kulturbesitz und das Deutschland von heute Ergebnisse eines langen historischen Prozesses, der einst mit dem dynastischen Streben einer schwäbischen Fürstenfamilie begann. Im Verlaufe von Jahrhunderten wurde aus der unbedeutenden „Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches“, wohin es einen Spross dieser Fürstenfamilie verschlagen hatte, ein absolutistisches Königreich, das im 18. Jahrhundert zu den großen europäischen Mächten aufschloss und 1871 zur treibenden Kraft der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs als modernem Nationalstaat wurde. In dessen staatlicher Tradition steht die Bundesrepublik Deutschland trotz aller Brüche des 20. Jahrhunderts. Sichtbarstes Zeichen dafür sind die Hauptstadt Berlin und der Sitz des Parlaments im Reichstagsgebäude. Parallel zu der politischen und staatlichen Entwicklung entstanden – mit der Berliner Museumsinsel als Mittelpunkt – die vielfältigen Sammlungen, die wir heute als Preußischen Kulturbesitz kennen. Allein die Tatsache, dass eine Institution wie die SPK, die lediglich Teile des alten Preußen verwaltet, zur größten Kulturinstitution der Bundesrepublik werden konnte, sagt viel über die Bedeutung dieses alten Preußen für die deutsche Kulturnation aus. Ein vielschichtiges Erbe Preußen war eben weit mehr als Pickelhaube, Stechschritt und Schlachtengetöse, für das es seine Kritiker gern hinstellen. Preußen – das waren auch und gerade die Aufklärer Immanuel Kant und Friedrich der Große, Dichter wie Heinrich v. Kleist, Joseph v. Eichendorff, Theodor Fontane und Ernst Wiechert, Bildhauer wie Andreas Schlüter und Reinhold Begas, Architekten wie Georg Wenzeslaus v. Knobelsdorff und Karl Friedrich Schinkel, Liberale wie Eduard von Simson und Walther Rathenau, Unternehmer wie August Borsig und Werner von Siemens, Sozialdemokraten wie Ferdinand Lassalle, Otto Braun und Paul Löbe, Sammler wie James Simon und Max von Oppenheim, denen die Staatlichen Museen so viele Exponate verdanken, sowie nicht zuletzt Staatsmänner wie Otto v. Bismarck und – ja – Konrad Adenauer, der nicht nur erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war, sondern zuvor auch Präsident des Preußischen Staatsrats (wenngleich er freilich Preußen skeptisch gegenüberstand). Allein der Name Adenauer zeigt, wie vielschichtig die preußische Geschichte ist. Gerade die Bundesrepublik, die nach dem Kriege gern ihren rheinischen Charakter und ihre vielfache Bindung an den Westen betont hat, steht in vielerlei Hinsicht in der Tradition des alten Preußen. So war auch Adenauers Gegenspieler Kurt Schumacher, 1895 in Kulm geboren, ein Preuße; ebenso wie der 1929 in Königsberg geborene Karl-Hermann Flach, der als einer der wichtigsten Wegbereiter der sozialliberalen Koalition der 70er Jahre gilt. Auch bedeutende Kirchenfürsten wie der vormalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner waren Preußen. Die Arbeiterwohlfahrt, bis heute eine der Säulen des deutschen Sozialstaats, wurde 1919 von der in Landsberg an der Warthe geborenen Marie Juchacz gegründet. Auch die GSG 9, seit der Befreiung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ 1977 eine legendäre Institution der Bundesrepublik, wurde von einem Preußen gegründet und geprägt, und zwar von dem 1929 im brandenburgischen Jüterbog geborenen Ulrich Wegener. Besonders bizarr wird es, wenn man an die Brüder Humboldt denkt, mit deren Namen sich die Berliner Republik unserer Tage bei jeder sich bietenden Gelegenheit gern schmückt: Der eine, Wilhelm, legte als Kultusminister die Grundlagen für den rasanten Aufstieg der preußischen Wissenschaftslandschaft im 19. Jahrhundert (auf der heute noch wesentliche wissenschaftliche Institutionen der Bundesrepublik basieren). Der andere, Alexander, zog in die Welt hinaus und wird dort bis heute als aufgeklärter Forscher verehrt, der – anders als Christoph Kolumbus oder Hernán Cortés – nicht als Eroberer kam, sondern als neugieriger Entdecker. Es wäre absurd, wenn sich die Berliner Republik künftig weiterhin mit dem Namen „Humboldt“ schmücken und zugleich mit der Tilgung der Erinnerung an das alte Preußen den Kontext verdrängen würde, in dem die „Marke Humboldt“ überhaupt entstanden ist. Aufgabe bei der Politik Der Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde beschrieb 1964 mit den Worten „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ ein Grundproblem des modernen Verfassungsstaats. Gemeint war mit diesem Böckenförde-Diktum, dass der moderne Staat von Grundlagen lebt, die außerhalb seiner Verfügungsgewalt liegen, ohne die er jedoch nicht bestehen kann. Dieser Gedanke ließe sich, leicht abgewandelt, ebenso für den modernen Kulturstaat anwenden: Auch die Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht geschaffen hat. Dies gilt auch und gerade für das alte Preußen
und seine kulturellen Hinterlassenschaften. Der Preußische Kulturbesitz und
die ihn verwaltende Stiftung ist nicht nur die Schatzkammer eines großen
historischen Erbes, das beliebig aufbewahrt, gepflegt und zur Schau gestellt
werden kann. Die SPK ist vielmehr die institutionelle Erinnerung daran, dass
die Berliner Republik nicht aus dem Nichts entstanden ist, sondern in
Entwicklungslinien steht, ohne die es diese Republik schlichtweg nicht gäbe.
Wer die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zerschlagen will, legt somit
buchstäblich die Axt an eine grundlegende Wurzel der deutschen Kulturnation. |