Marienburg (polnisch: Malbork, Kreis Marienburg). Am rechten Ufer der
Nogat wurde durch den Ordenslandmeister Konrad v. Thierberg der Ältere (1274-1276
erw.) zu Ehren der Patronin des Deutschen
Ordens, der heiligen Jungfrau, eine
Burg gegründet, die Sitz eines Komturs werden und den älteren Verwaltungsmittelpunkt
zu Zantir, einst Burg der pommerellischen Herzöge, an der Montauer Spitze (Montau),
ersetzen sollte. Zantir war 1233 eingerichtet, aber während des Prußenaufstandes
zerstört worden. Das altpreußische Gebiet, zu dem auch die jüngere Burg Stuhm
gehörte, hieß Aliem, Algent oder Algemin. Der Name wird gelegentlich noch
irrtümlich als der einer älteren Siedlung an der Stelle von Marienburg angesehen. Am
27. April 1276 wurde südwestlich der Burg die Stadt angelegt und ebenfalls Marienburg
genannt. Die erste Handfeste, deren Ausfertigung nicht mehr vorliegt, ist am 6. Juli
erneuert worden. Die breite Hauptstraße, gleichzeitig Markt, an deren Ende die
St. Johanniskirche, deren Pfarrer Gerhard schon in der Gründungsurkunde genannt
wird, und das Rathaus in der Mitte sind durch die Jahrhunderte an gleicher Stelle
verblieben und bis heute erhalten. Die Geschicke der Stadt lassen sich nicht von
denen des Schlosses trennen. Dessen erster massiver Ausbau war 1279/1280
abgeschlossen. Die Lage im Scheitelpunkt der nach nordwesten leicht eingezogenen
Aufmarschlinie des Ordens gegen das östliche Preußen (Prußen), an Weichsel und Haffküste entlang, die günstigen rückwärtigen Verbindungen nach Danzig und
Pommern wie nach Schlesien und die strategischen Erfahrungen während der
Besetzung des Landes bestimmten die Wahl des Platzes, der sogleich neben
Elbing
bevorzugter Aufenthalt des Landmeisters und bald als Haupthaus des Ordens in
Betracht gezogen wurde. 1309 wurde dann tatsächlich durch den Hochmeister
Siegfried v. Feuchtwangen der Sitz der Ordensregierung von Venedig hierher
verlegt. Durch die Erwerbung Danzigs und Pommerellens im gleichen Jahre erhielt
das Schloß eine zentrale Lage. Von den Großgebietigern saßen hier der
Großkomtur als Vertreter des Hochmeisters, gleichzeitig Komtur der Burg, und
der Treßler, der die Einkünfte des Schlosses und die Überschüsse sämtlicher
Komtureien verwaltete. Die laufenden Geschäfte der Komturei führte in Marienburg der
Hauskomtur. Hier fand das große Kapitel des Gesamtordens statt, an dem auch
Deutschmeister und Meister in Livland teilnahmen und das vor allem den
Hochmeister und die fünf Großgebietiger wählte. Entsprechend war die Stadt nahezu
regelmäßiger Versammlungsort der sechs großen preußischen Städte: Danzig,
Elbing, Königsberg, Thorn, Kulm und Braunsberg, die auch der Hanse angehörten.
Das
Hochschloß war schon vor 1309 ausgebaut worden und enthielt Kapitelsaal, Konventsremter und
Dormitorium, also die Versammlungs-,
Wohn-, Eß- und Schlafräume des eigentlichen Brüderkonvents, der hier ein
gemeinsames Leben führte, dann vor allem die Schloßkirche, nicht zu vergessen
die weit gegen den Fluß hinausgebauten sanitären Anlagen des Dansker. Im 14.
Jh. wurde durch den Hochmeister Dietrich v. Altenburg die Kirche St. Marien
ausgebaut, 1344 der stattliche Hauptturm vollendet, darunter die St.
Annenkapelle als Grabstätte der Hochmeister ein gerichtet und bis 1449
benutzt. Außen am Chor, gegen Sonnenaufgang, grüßte ein hohes Marienbild
weit über die flache Landschaft hinaus. - Auch die Vorburg war 1309 in den
Anfängen schon vorhanden. Das große Kornhaus an der Nogatseite hat Hochmeister Dietrich erbaut, ebenso eine Pfahlbrücke über den Fluss. Einzig in seiner Art
und ganz auf die europäische Bedeutung des Haupthauses eingestellt, ist das
Mittelschloß mit den Verwaltungsräumen des Großkomturs und der Firmarie (Spital)
im Nordflügel. Im westlichen liegt Meisters großer Empfangsremter von drei
Säulen gestützt, im östlichen befinden sich die ausgedehnten Gastkammern. Das
Kleinod der Backsteinbaukunst des Ordens, der Hochmeisterpalast an der
Flußseite, vielleicht das reifste Werk mittelalterlicher Backsteingotik überhaupt, wurde
1393 durch den Rheinländer Niklaus Fellenstein vollendet. So spiegelt das
Haupthaus in unübertroffener Weise das Wesen des Ordensstaates in seiner
straffen Organisation, seiner ausgewogenen Politik, seiner Wohlfahrtspfiege,
seinem Reichtum und seiner Schönheit. Der Baustil ist bedeutend reicher als
in anderen Ordenshäusern, aber der auf schlichte Größe abgestimmte Grundzug
der Baukunst des Ordens bleibt auch hier maßgebend, und wie diese stummen
Zeugen über die Jahrhunderte hinweg Geschmack und Geisteshaltung jedes Ost- und
Westpreußen durch ihren ständigen Anblick mehr oder weniger beeinflusst haben,
so war ein Besuch der Marienburg weitaus den meisten in gewissen Zeitabständen immer
wieder lebhaftes Bedürfnis. Wer von Berlin kam, fühlte sich beim Anblick des
großartigen Schlosses beglückt wieder zu Hause. Ein großes Spital zum heiligen
Geist befand sich bei der Stadt, jedoch außerhalb der Mauern. Die Stadt blieb
an Größe hinter anderen Handelsplätzen des Ordens zurück, erfreute sich aber
besonderer Fürsorge der Hochmeister. Insbesondere Winrich v.
Kniprode, der die
Hochblüte des Ordenslandes heraufführte, förderte das Zunftwesen, legte eine
Neustadt an und gründete die Lateinschule. Schon 1365 werden die zusammenhängenden, überbauten Vorlauben am Markt erwähnt. 1380 wurde das
gotische Rathaus errichtet. Im Ordenshaus sammelten sich Gelehrte aus aller Welt,
die hier eine Art Rechtsschule entstehen ließen und den Plan einer Universität
des Ordenslandes zu Kulm im Jahre 1387 einleiteten. Für die europäischen und deutschen
Ritter und Fürsten, die dem Orden laufend zu seinen Litauerkämpfen zu Hilfe
kamen, wurde 1374 auf dem Haupthaus zum ersten Male der Ehrentisch für
bewährte und hochgeachtete »Gäste« aufgestellt, der seitdem eine der
höchsten Auszeichnungen für die Ritter des Abendlandes geblieben ist. Geistig,
politisch und strategisch war Marienburg Mittelpunkt und letzte, sicherste Stütze der
Ordensherrschaft: Weder 1410 noch 1454 konnte der polnische Angriff das Land
gewinnen, solange das Haupthaus unbezwungen in der Hand des Ordens blieb.
Nach der Tannenberger Schlacht warf sich der Komtur von
Schwetz, Heinrich v. Plauen, eiligst in die Burg, sammelte dort die
Versprengten, verstärkte die Befestigungen und gab zur Erleichterung der
Verteidigung, um dem Gegner keinen Stützpunkt zu bieten, die Stadt den Flammen preis, denen Rathaus und Kirche allein widerstanden. Die opferwilligen Bürger
zogen in das Schloß. Erst zehn Tage nach der Schlacht begann der König von Polen
die Belagerung, die er am 19. September wegen des Abzuges der Litauer und
Masovier und wegen herrschender Seuchen angesichts des ungebrochenen
Widerstandswillens der Verteidiger
aufheben musste. Sichtbare Zeichen göttlicher Hilfe hat man mit gestärkter
Zuversicht in dem misslungenen Schuss auf das Marienbild erblickt, bei dem der
polnische Richtschütze erblindete, und in der fehlgegangenen Kugel auf die einzige
Säule in Meisters Remter, die im Gewölbe erhalten blieb. Der Wiederaufbau der
Stadt ging erstaunlich schnell vor sich: Schon nach sechs Jahren gab es wieder
400 Bürgerfamilien. Im Jahre des Aufstandes 1454 waren Ende Februar Marienburg,
Stuhm und Konitz die einzigen Burgen, die der Orden behaupten konnte. Wieder
wurde ein Plauen der Verteidiger, der Ordensspittler Heinrich Reuß.
Belagerer waren hauptsächlich die Danziger, die Söldner des
Preußischen Bundes und nur wenige Polen. König Kasimir IV. war mit einem großen
Aufgebot gegen Konitz gezogen. Als er dort am 18. September vernichtend
geschlagen wurde, musste auch die Belagerung Marienburgs am 19., nach sieben Monaten
abgebrochen werden. Der Verkauf des bereits am 9. Oktober 1454 mit anderen
Ordensschlössern an die Söldner zur Befriedigung ihrer Lohnforderungen
verpfändeten Hauses durch den Böhmen Ulrich Crvenk von Leditz und seine
Rotten, die sich in Besitz des Schlosses gesetzt hatten, war Rechtsbruch und
Verrat: Diese "Verkäufer", wie man sie nannte, bildeten nur ein Drittel
aller Ordenssöldner, und nur an deren Gesamtheit waren die Pfänder übertragen
worden, so daß die Marienburger kein Recht hatten, allein darüber zu
verfügen. Auch bot der Orden ihnen das Geld früher, wenn auch zunächst in
Raten, an als der König (Anm. von Polen) und der Preußische
Bund, die dann auch nur in kleinen Posten zahlten.
Weiter galt es, selbst bei den zuchtlosen Landsknechten, als ehrloses
Verbrechen, sich unter Preisgabe seines Herrn an den Feind zu verkaufen. Crvenk
wurde deswegen von seinem Landesherrn, König Georg Podiebrad v. Böhmen, der
Ritterwürde entkleidet und in den Kerker geworfen. Der Verrat fand im ganzen
Reiche einmütige Verurteilung. Am 7. Juni 1457 zog der König von Polen in das
Schloß ein, das der Hochmeister Ludwig v. Erlichshausen erst am Tage vorher
hatte verlassen können, um auf abenteuerlicher Fahrt nach Königsberg zu
gelangen. - Die Stadt wurde am 27. September dank der Hilfe ihres ordenstreuen
Bürgermeisters Bartholomäus Blume durch den Söldnerführer v. Zinnenberg und
den Spittler wiedergewonnen. Fast wäre auch ein Handstreich auf das Schloß
geglückt. Als dann die Polen und Bündner zur Belagerung schritten, hielt sich
die Stadt bis zum 6. August 1460, erlitt aber schwere Beschädigungen. Der
gefangene tapfere Bürgermeister Blume wurde zwei Tage danach mit zweien seiner
Freunde enthauptet. Das Schloß war 1457-1772 Sitz eines der drei westpreußischen
Palatinate. Die Befestigungen verfielen. - In den beiden Schwedenkriegen 1626-1629
und 1656~1660 war die Stadt dauernd von schwedischen Truppen besetzt. 1629-1635 stand sie
unter kurbrandenburgischer Treuhandverwaltung. Am 26. Mai 1656 erlangte König Karl X.
Gustav v. Schweden im Marienburger Vertrag die Unterstützung des Großen
Kurfürsten gegen Zusicherung von vier polnischen Palatinaten. Die damals
angelegten schwedischen Befestigungen von Stadt und Schloß haben sich bis ins 19.
Jh. erhalten, wurden 1807 durch französische Ingenieure instandgesetzt und verstärkt,
1877/1879 abgetragen.
Die preußische Verwaltung verwendete den Bau 1773 zunächst als
Kaserne und Lagerhaus. 1803 veröffentlichte Max v. Schenkendorf als 19j.
Student in der Berliner Zeitung "Der Freimütige" seinen Protest gegen
weitere Vernachlässigung. Am 13. August befahl König Friedrich Wilhelm III. die
Erhaltung; 1806 begannen die Wiederherstellungsarbeiten. 1817 wurden sie auf
Betreiben des Oberpräsidenten der damals vereinigten Provinzen Ost- und
Westpreußen, Theodor v. Schön, planmäßig wieder aufgenommen. Auch Joseph v.
Eichendorff hat sich dafür eingesetzt. 1882 bis 1922 war Konrad Steinbrecht
»Baumeister der Marienburg«, seitdem bis 1945 Bernhard Schmid. - Die Stadt
hatte 1772 gezählte 3.635 Einwohner, stieg zwei Jahre später bereits um mehr als
ein Drittel, auf 4.985; 1895 waren es 10.738, 1939 27.300 Einw. Bei der russischen
Märzoffensive von 1945 haben Granaten die Stadt zu 45 v. H. zerstört, das
Schloß hauptsächlich auf der Landseite schwer mitgenommen: Von der
Schloßkirche standen nur noch die seitlichen Mauern, der Chor war völlig
eingestürzt, der Turm zerschossen. Der Hochmeisterpalast hatte schwere Treffer
erhalten. Der polnische Wiederaufbau beschränkte sich auf notdürftige
Erhaltungsarbeiten. Am 9. September 1959 brach in einem als Hotel verwendeten
Teil des Mittelschlosses, vermutlich durch Brandstiftung, Feuer aus, das besonders das Dach des großen Remters verzehrte,
das bis dahin verschont geblieben war.
Quelle:
Text: Handbuch der historischen Stätten Ost- und Westpreußen,
Kröner Verlag, 1966-1981, Seite 128-133
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