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Tiefe Spuren von Schmerz Am letzten Maiwochenende werden in Erfurt viele tausend Ostpreußen zusammenkommen, um beim Deutschlandtreffen in den dortigen Messehallen ein Bekenntnis zur angestammten Heimat abzulegen. Neben politischen Veranstaltungen gehören traditionsgemäß auch Ausstellungen zum Programm. Eine widmet sich dem Thema Flucht und Vertreibung aus der Sicht von betroffenen Künstlern. Zusammengestellt wurde die Schau vom Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg. PAZ-Redakteurin Silke Osman sprach mit Dr. Jörn Barfod, Kustos am Landesmuseum, über die Ausstellung. PAZ: Herr Dr. Barfod, Sie haben für die Ausstellung des Ostpreußischen Landesmuseums auf dem Deutschlandtreffen in Erfurt ein ganz spezielles Thema gewählt – Flucht und Vertreibung. Was bewegte Sie zu diesem Entschluss? Dr. Jörn Barfod: Das Thema dieser Zusammenstellung von Grafiken aus der Sammlung des Ostpreußischen Landesmuseums ist hier die Flucht aus Ostpreußen 1944/45. Viele ostpreußische Künstler der Erlebnisgeneration haben sich aus eigener Betroffenheit mit diesem traumatischen Geschehen beschäftigt. Allerdings geschah das aus ganz unterschiedlichen Erlebnissen oder Anregungen und zu ganz verschiedenen Zeiten. Die Katastrophe der Flucht der Zivilbevölkerung am Ende des Zweiten Weltkriegs hat in sehr vielen Biografien der Überlebenden tiefe, oft von Schmerz gezogene Spuren hinterlassen. Zur Verarbeitung des erfahrenen Leids wählten viele Betroffene – oft nach langen Jahren des hilflosen Schweigens – eine ihnen gemäße Form der Verarbeitung der Erlebnisse. So unterschiedlich die Künstler und ihre Schicksale sind, so verschieden sehen auch die Bilderfindungen zu diesem Thema aus. Nachdem vor wenigen Jahren erst die Aufmerksamkeit auch für diese Motive im Besonderen begann, tauchen noch immer neue Namen und Werke auf. PAZ: Ja, viele Vertriebene haben sich nach langer Leidenszeit ihre Erlebnisse geradezu von der Seele geschrieben. Es gibt aber nicht viele bildende Künstler, die diesen Weg gegangen sind. Barfod: Natürlich waren auch viele bildende Künstler aus dem Osten von diesen Erlebnissen der Flucht, der Zerstörung ihrer angestammten Heimat betroffen. Doch haben nicht so sehr viele diese Thematik dann auch einmal in ihren Werken ausgedrückt. Umso interessanter ist es zu sehen, in welcher Art dies schließlich doch durch einige Malerinnen und Maler, Grafikerinnen und Grafiker geschehen ist. PAZ: Und daraus ist jetzt diese Ausstellung entstanden? Barfod: Am Beispiel von Arbeiten aus Ostpreußen stammender Künstler, die die Schrecken der Flucht als Erwachsene oder noch als Kind erlebten, soll diese Ausstellung das tragische Thema beleuchten, das leider bis heute auf der Welt, aber auch in Europa noch für viele Menschen schmerzlich aktuell geblieben ist. PAZ: Ist bekannt, wie die Arbeiten entstanden? Denn oft ist ein frühes Entstehungsjahr zu erkennen. Barfod: Manche Künstler zeichneten schon unmittelbar auf der eigenen Flucht Skizzen. Alle anderen aber, die sich in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise diesen schweren Erlebnissen zur Verarbeitung stellten, haben auch erst nach einer Phase der inneren Auseinandersetzung Bildfindungen gestaltet. PAZ: Was gibt es zu sehen? Barfod: Zum einen gibt es die Situationsschilderungen: Zerstörung, verstörte Menschen, der Treck und so weiter werden dargestellt in beteiligter, aber das vor Augen Stehende gegenstandsgetreu wiedergebender Weise. Hierbei ist jedoch die Möglichkeit, Gefühle und Gedanken des Künstlers selbst mit ins Bild zu bringen, recht begrenzt. Daher haben viele Grafiker und Maler einen anderen Weg, oft zusätzlich, gewählt. Dies war zeittypisch der Ausdruck in Symbolen, gegenständlicher und kompositorischer Art oder auch mit abstrakten Formen in etwas späterer Zeit. PAZ: Gibt es zu einzelnen Künstlern auch Informationen für die Besucher der Ausstellung? Barford: Zu den Künstlern, die mit Arbeiten in der Ausstellung vertreten sind, gibt es weitere Hinweise in Kurzbiografien. In einer früheren Ausstellung dieser Bilder hatten wir zusätzlich eine kleine Sammlung mit Ausschnitten aus Fluchtberichten angefügt. Dies ist auch jetzt wieder geplant. PAZ: Welche Künstler werden mit Arbeiten vertreten sein? Barfod: Der aus Königsberg stammende Maler und Grafiker Eduard Bischoff, der Professor an der Königsberger Kunstakademie gewesen war, Gertrud Lerbs Bernecker, eine der bedeutendsten Grafikerinnen Ostpreußens in der Zwischenkriegszeit, Alfred Partikel, Maler und ab 1929 Lehrer und Professor an der Königsberger Kunstakademie, die Grafikerin und Illustratorin Lieselotte Plangger-Popp, der aus Riga gebürtige deutschbaltische Künstler Eugen Weidenbaum, die Grafikerin Edeltraud Abel-Waldhauer und nicht zuletzt Marta Worringer sowie der aus Mohrungen stammende Gerhard Bondzin. PAZ: Eine bunte Mischung, auf die man gespannt sein darf. Vielleicht gibt es später auch einmal eine Dokumentation, die deutlich macht, was diese Künstler geleistet haben? Barfod: Sollte sich die Gelegenheit ergeben, aus diesem Material eine Dokumentation zu veröffentlichen, würde es mich sehr freuen. Noch sind wir allerdings in der Phase des Sammelns. Da die Thematik alle Museen betrifft, die nach § 96 des Bundesvertriebenenförderungsgesetzes (BVFG) für die Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge arbeiten, habe ich beispielsweise das Schlesische Museum darauf aufmerksam gemacht. Da bleibt noch ein besonderes Kapitel deutscher Kunstgeschichte zu schreiben.
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