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Notiz aufgetaucht Eine Mitarbeiternotiz offenbart, wie katastrophal das Treffen zwischen Jaroslaw Kaczynski und Helmut Kohl 1991 verlief. Der Pole habe sich wie eine Hummel benommen. Kohl nahm nie wieder Kontakt auf. Als hätte Europa nicht genug Probleme, sind auch zwischen Berlin und Warschau schwierige Zeiten angebrochen. Wenn am Freitag Polens Regierungschefin Beata Szydlo Berlin ihren ersten Besuch abstattet, wird man zwar öffentlich freundliche Worte austauschen, aber über ihrem Besuch liegt der lange Schatten ihres Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Dieser hat seit 1990 wichtige Beiträge zur Verschlechterung der Beziehungen geleistet – zu Deutschland ebenso wie zur Familie der christlich-demokratischen Parteien in Europa. Das geht aus einer ausführlichen Notiz seines früheren Beraters Andrzej Kostarczyk hervor, die der "Welt" vorliegt. Die Notiz schildert den ersten und einzigen Besuch Kaczynskis bei Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn im September 1991. Kaczynski war damals Chef des Präsidialamts unter dem Präsidenten Lech Walesa.
Wie Kostarczyk beschreibt, beschränkte sich Kaczynski bei dem Treffen "im Grunde auf zwei Punkte: darauf, von Kohl eine Erklärung bezüglich der Anerkennung unserer Westgrenze zu bekommen, und auf die Besorgnisse, die Deutschen könnten ihre Güter in Polens Westgebieten zurückgewinnen wollen. Dies stellte Kaczynski als Problem dar, das seitens des Kanzlers eine entschlossene Reaktion verlange. Kaczynski führte Beispiele an, wo Bürger der BRD nach Polen reisten und Häuser fotografierten, in denen sie früher gewohnt hatten." Der in Bonn anwesende Kostarczyk schreibt dazu, Kaczynski habe mit dieser Gesprächsführung offenkundig "seinen Rang als seriöser Politiker heruntergestuft". Er habe es – wie fast alle Politiker Polens damals – Kohl übelgenommen, dass dieser nicht schon zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung im Oktober 1990 in der Frage der deutsch-polnischen Grenze Farbe bekannt habe. Allerdings wurden bald darauf, nach Vereinigung und Bundestagswahlen, erst der Grenzvertrag und im Juni 1991 der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag abgeschlossen. Kohl suchte nie wieder den Kontakt Kostarczyk schreibt ironisch, Kaczynski habe das offenbar übersehen. "Alle haben (nach den Verträgen) aufgeatmet – alle, bis auf Jaroslaw Kaczynski. Er benahm sich in Kohls Arbeitszimmer wie eine Hummel, die vorzeitig aus dem Winterschlaf geweckt wurde und die glaubt, sie fliege weiter über die Wiese der vorigen Saison." Kaczynski habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und die wichtigen Themen der Zukunft – einen möglichen EU-Beitritt und Beitritt seiner Partei zur Europäischen Volkspartei – nicht angesprochen. "Er wirkte wie ein Katholik, der das II. Vatikanische Konzil ignoriert." Sein Misstrauen Deutschland gegenüber ähnele jenem, das der einstige KP-Chef und Diktator Wladyslaw Gomulka an den Tag gelegt habe. Offenbar hat Kohl später nie wieder den Kontakt zu Kaczynski gesucht. Der Altbundeskanzler wollte Jahre später, auf die Begegnung angesprochen, nicht dazu Stellung nehmen. Später hat Kaczynski selbst dieses Treffen, das auf eine Stunde angesetzt war und schon nach einer halben Stunde endete, als "sehr misslungen" bezeichnet. In einem Gespräch mit der "Welt" sagte der Politiker, ihm sei in Bonn auch klar geworden, "dass die Deutschen ein sehr anachronistisches Bild von Polen haben." Ihn habe "amüsiert, aber auch verärgert", dass Kohl den polnischen Staatschef der Zwischenkriegszeit, Marschall Jozef Pilsudski, als "Freund" Hermann Görings bezeichnet habe. "Doch Pilsudski hat von der NS-Führung als einer 'Bande' gesprochen, Göring ist er wohl nur einmal begegnet. Einem Treffen mit Hitler, das ihm angeboten wurde, ist er ausgewichen", sagte Kaczynski. Kostarczyk behandelt in seinen Aufzeichnungen auch die spätere Entwicklung: Belgiens Ex-Premier Wilfried Martens hatte ebenfalls eine schwierige Begegnung mit dem erratischen Kaczynski zu absolvieren. Im März 2004, kurz vor Polens EU-Beitritt, kam Martens als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) nach Warschau und sprach mit ihm. Er wollte wissen, ob Kaczynskis Partei jetzt ihre frühere Absicht wahrmachen wolle, der Parteienfamilie beizutreten. "Das Gespräch verlief in ähnlicher Atmosphäre wie die Begegnung Kaczynskis mit Kohl, obwohl Martens, anders als der deutsche Kanzler, ein sehr versöhnlich auftretender Politiker ist", schreibt Kostarczyk. Kaczynski habe "trocken und ohne ein Minimum an Höflichkeit" erklärt, man könne nicht einer Parteienfamilie beitreten, die in ihren Reihen (Vertriebenen-Präsidentin) Erika Steinbach dulde. Außerdem habe Kaczynski – wie mehrfach seit 1990
– seine "tiefe Skepsis" gegenüber der engen Integration in Europa zum Ausdruck
gebracht. Danach soll Martens –Kostarczyk zufolge – geseufzt haben: "Mein Gott,
ich hoffe nur, dass wir niemals mit ihm als Premier Polens zu tun haben werden."
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