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»Versteinertes Besatzungsrecht« Dr. phil. Bruno Bandulet promovierte über Adenauers Außenpolitik, arbeitete in der CSU-Landesleitung als Referent für Deutschland- und Ostpolitik, war Autor von „Zeitbühne“ und „Transatlantik“, Chef vom Dienst der Tageszeitung „Die Welt“ und Mitglied der Chefredaktion der Illustrierten „Quick“. 1995 gründete er den politischen Hintergrundienst „Deutschlandbrief“, der seit 2009 als monatliche Kolumne im libertären Magazin „Eigentümlich frei“ erscheint. Bandulet ist Mitglied der Friedrich A. von Hayek Gesellschaft und hat soeben im Kopp-Verlag ein Aufsehen erregendes Buch mit dem aufschlussreichen Titel „Beuteland. Die systematische Plünderung Deutschlands seit 1945“ herausgebracht. Bernd Kallina sprach mit ihm über wichtige Thesen seiner Neuerscheinung. PAZ: Herr Bandulet, In Ihrer jüngsten Veröffentlichung „Beuteland“ greifen Sie so ziemlich alle politisch korrekten Sichtweisen zur deutschen Nachkriegsgeschichte an. Gefallen Sie sich in der Rolle des unerschrockenen Provokateurs? Bruno Bandulet: Wenn sich jemand provoziert fühlt, bitte sehr. Das habe ich einkalkuliert. Das Berufsethos eines Historikers kann doch nur darin bestehen, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie so zu schildern, wie sie sich zugetragen haben. Dass die politische Klasse und die tonangebenden Medien sich in einem Geschichtsbild eingerichtet haben, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat, ist deren Problem. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der Herausgeber der Tageszeitung „Handelsblatt“ schrieb in einem Kommentar, 1945 seien die Ostdeutschen aus den „zuvor von ihnen besetzten Gebieten“ geflohen. Ich habe ihn schriftlich um Antwort gebeten, welche Gebiete er damit meinte – keine Antwort bis heute. Vermutlich lässt er noch recherchieren, zu welchem Staatsgebiet Ostpreußen und Schlesien gehört haben. PAZ: Auch widersprechen Sie der pauschalen These von der Befreiung Deutschlands 1945 und verweisen auf eine offiziell kaum bekannte US-Direktive JCS 1067. Was besagt denn diese ominöse Direktive? Bandulet: Weder hat sich die Mehrheit der Deutschen befreit gefühlt, wie wir von vielen Zeitzeugen wissen, noch wollten die Siegermächte Deutschland befreien. Die These von der Befreiung verträgt sich ja auch schlecht mit der These von der Kollektivschuld. Nein, sie wollten das Land erobern. Auch Konrad Adenauer spricht in seinen Erinnerungen nicht von Befreiung, sondern von Besetzung. Die von Präsident Franklin D. Roosevelt am 23. März 1945 unterschriebene Direktive 1067 der Joint Chiefs of Staff, der Vereinten Stabschefs, legt in allen Einzelheiten die künftige amerikanische Besatzungspolitik fest. Sie galt bis zum Sommer 1947. In Paragraph 4 der Direktive heißt es: „Deutschland wird nicht zum Zweck der Befreiung besetzt werden, sondern als besiegte Feindnation.“ Und in Paragraph 5 wurde untersagt, den Wiederaufbau der Wirtschaft in die Wege zu leiten. PAZ: Führte das etwa dazu, dass der berüchtigte Morgenthauplan, der Deutschland ursprünglich in eine Wüste verwandeln sollte, keineswegs schon im Sommer 1945 begraben wurde, wie Sie behaupten? Bandulet: Der genozidale Morgenthau-Plan wurde zwar nicht eins zu eins umgesetzt, ging aber in abgeschwächter Form in die Besatzungsdirektive JCS 1067 ein. Als diese am 10. Mai 1945 auch vom neuen amerikanischen Präsidenten Truman unterzeichnet wurde, sprach Henry Morgenthau von einem „großen Tag“. Er hoffe, fügte er hinzu, dass nicht jemand die Direktive „als den Morgenthau-Plan wiedererkenne“. Tatsächlich war der barbarische Plan in den USA nicht unumstritten. Aber erst im Juli 1947 wurden die „Morgenthau-Boys“, die Beamten aus dem Finanzministerium, die über die Durchsetzung von JCS 1067 wachen sollten, aus Deutschland abgezogen. Der Bruch mit Stalin und der heraufziehende Ost-West-Konflikt waren es, die Deutschland retteten. PAZ: Herr Bandulet, Sie sind ja ein richtiger Legenden-Killer: So schreiben Sie, dass die von Harry S. Truman aufgestellte Behauptung, die USA hätten keine Reparationen verlangt, unrichtig sei. Was stimmt also? Bandulet: Die Behauptung ist nur insofern richtig, als die USA keine Reparationen „verlangt“ haben – die Siegermächte haben sie sich einfach genommen. Der Unterschied zu Versailles bestand ja darin, dass kein Friedensvertrag abgeschlossen wurde, sondern dass willkürlich und nach Gutdünken der Sieger geplündert wurde. Der Wert des geraubten Privateigentums, der Ostgebiete, der Zwangsexporte, der zwei Milliarden Arbeitsstunden der Kriegsgefangenen nach Kriegsende, der intellektuellen Reparationen und der Demontagen lässt sich objektiv nicht beziffern. Ich nenne aber Summen und überlasse es dem staunenden Leser, sich ein Urteil zu bilden. Mein Fazit lautet, dass nach 1945 weitaus mehr aus Deutschland herausgezogen wurde, als auf Grund des Versailler Vertrages an Reparationen geleistet wurde. PAZ: Bei den „intellektuellen Reparationen“, wie Sie den Wissenstransfer nach 1945 aus Deutschland nennen, handelte es sich angeblich um den größten Wissenstransfer aller Zeiten. Können Sie ihn in dieser superlativen Dimension wirklich belegen? Bandulet: Stellen Sie sich einmal vor, die USA würden besetzt und die Sieger ließen überall im Land Teams von Spezialisten ausschwärmen, die in Firmenzentralen, Fabriken und Forschungsinstitute eindringen, um sämtliche Betriebsgeheimnisse und den gesamten Stand der Forschung zu sichten und fortzuschaffen. Nichts anderes hat sich in Deutschland 1945 und danach abgespielt. Allein im Berliner Reichspatentamt wurden von den dort liegenden Patenten und Patentanmeldungen mehr als 17 Meilen auf Mikrofilm fotografiert. Nicht zu vergessen die Wissenschaftler, die mehr oder weniger freiwillig nach Amerika, Russland, Frankreich und Großbritannien gingen. Die deutsche Technologie war in wichtigen Bereichen Weltspitze. Eine derart systematische Plünderung von Wissen hatte es nie zuvor gegeben. PAZ: Seit der Wiedervereinigung folge die deutsche Politik einem geheimen Fahrplan – jenseits von wirklicher Souveränität. Heißt dass, das zum Beispiel weiterhin Besatzungsrecht bei uns gilt? Bandulet: Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde die Bundesrepublik völkerrechtlich souverän, und seitdem kann sie den fremden Truppen auf deutschem Boden kündigen. Was bleibt, ist „versteinertes Besatzungsrecht“, eine weithin unbekannte und komplizierte Materie, auf die ich im Detail eingehe. Im Übrigen muss Souveränität auch politisch gelebt und wahrgenommen werden – und daran mangelt es bis heute. Der „geheime Fahrplan“ findet sich in einem erstaunlich offenen Aufsatz von Hans Arnold, der als Inspekteur des Auswärtigen Dienstes für die Ausbildung deutscher Diplomaten verantwortlich war. Der Titel sagt alles: „Deutschland muss sich selbst entmachten“. Der entscheidende Schritt zur Selbstentmachtung war die Aufgabe der Deutschen Mark und damit der monetären Souveränität. Die Regierung Adenauer kämpfte noch um mehr Selbstbestimmung. Seit Kohl und Merkel läuft der Film rückwärts. PAZ: EU und europäische Integration blieben die Ziele deutscher Staatsräson und die Einführung des Euro sei der Kardinalfehler der deutschen Politik seit 1949. Was wären denn die Alternativen gewesen? Bandulet: Die Alternative wäre ein vertraglich seriös geregelter europäischer Staatenbund gewesen, möglichst auch mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, an Stelle des bürokratischen Monstrums EU. Und statt des Euro ein Europäisches Währungssystem, das Kooperation ermöglicht, aber die nationalen Währungen beibehält. PAZ: Zu Merkels sogenannter Willkommenskultur: Da äußern Sie den Verdacht, dass es sich hierbei um einen weiteren Akt einer Vergangenheitsbewältigung handeln könnte, die nicht vergeht (Ernst Nolte) und verweisen auf den französischen Philosophen Alain Finkielkraut. Bandulet: Ich bin immer noch unsicher, was Merkel dazu getrieben hat, 2015 Recht zu brechen und die Grenze für eine unkontrollierte Masseneinwanderung zu öffnen. Vielleicht war es ein schuldinduzierter Akt der Vergangenheitsbewältigung. Vielleicht folgte sie dem Fahrplan maßgebender Kreise, die Homogenität des Nationalstaates zu unterminieren. Vielleicht war es eine Mischung aus Naivität, Gutmenschentum und Skrupellosigkeit mit dem Hintergedanken, Deutschland zur moralischen Großmacht zu erheben. PAZ: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, heißt es so schön. Herr Bandulet, Ihr Buch „Beuteland“ präsentiert ja eine nicht gerade ermutigende Lageanalyse deutscher Befindlichkeiten. Wie kommen denn die Deutschen aus dieser prekären Lage wieder heraus? Bandulet: Nichts ist mächtiger als der
sich stets wandelnde Zeitgeist. Wir sehen ja, wie das oktroyierte schiefe
Geschichtsbild der Deutschen die ersten Risse bekommt. Sonst würde sich mein
Buch nicht so gut verkaufen. Es hat offenbar einen Nerv getroffen. Die lange
Zeit zementierte politische Landschaft in Deutschland beginnt aufzubrechen. So
wie es aussieht, wird 2017 eine echte Opposition in den Deutschen Bundestag
einziehen.
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