Der Landkreis
Lötzen / Ostpreußen
Der
Landkreis Lötzen ist 897,38 qkm groß und hat 50.012 Einwohner, das sind 55,7 auf
1 qkm. Er liegt im ehemaligen Gau Galinden und im Gebiet der einstigen großen
Wildnis, die seit dem 14. Jahrhundert durch den Deutschen Orden, danach durch
die preußischen Herzöge und Kurfürsten besiedelt worden ist. Sein Gepräge erhält
der landschaftlich schöne Kreis durch die vielen Seen, die eine Fläche von
zusammen 144 qkm bedecken. Das Herzstück des Kreises ist der 24,62 qkm große
Löwentinsee mit seinen anschließenden Gewässern. Um ihn gruppieren sich die End-
und Grundmoränen mit ihren Hügeln und Bergen, Moor- und Wiesensenken und dem nur
noch geringen Waldbestand. Am Löwentinsee liegt malerisch gebettet die
Kreisstadt Lötzen. Infolge ihrer bevorzugten Lage gehört sie zu den schönsten
Städten Ostpreußens. Sie ist aus dem Zusammenschluss von drei Siedlungspunkten
entstanden: dem Ordenshaus Lötzen, der Burgsiedlung Neuendorf und dem
„Marktplatz" Lötzen. Zwischen dem Mauer- und dem Löwentinsee ließ der
Hochmeister Dietrich von Altenburg (1335-1341) an der schmalsten Stelle der
Landenge ein Wild- und Wachthaus erbauen. Es gehörte zur Komturei Brandenburg.
1365 wurde es von dem Litauerfürsten Kynstut erobert und zerstört, um 1390 an
der jetzigen Stelle in Stein, und zwar einflügelig mit viereckiger Ringmauer
erbaut. Es war Sitz eines Pflegers, in der Herzogszeit der eines Amtshauptmanns.
1613 ließ es der Herzog im Barockstil um zwei Flügel erweitern, die im 18.
Jahrhundert abbrannten. Das Schloß diente den Herzögen bzw. Kurfürsten bei den
Jagden zur Hofhaltung. Die schönen Renaissancegiebel sind 1560 von dem
herzoglichen Baumeister Christoph Römer errichtet worden. Im 19. Jahrhundert
wohnte der Festungskommandant im Schloß. In jüngster zeit beherbergte das
Marstallgebäude die „Vaterländische Gedenkhalle" (das Ostpreußische Kriegsmuseum
und Heimatmuseum). Neben dem Ordenshause entwickelte sich eine Lischke, „Neuendorff
vor Leczen" genannt. An dies Dorf erinnern die Neuendorfer Straße und das
„Dörfchen". Am Rande der Dorfgemarkung im Raume des jetzigen großen Marktplatzes
entstand eine zweite Siedlung mit Krügern und Handwerkern; in ihr wickelte sich
der Markt- und Durchgangsverkehr ab. Sie erscheint 1523 erstmals als „Leczen"
und wurde bald der Mittelpunkt für das Marktleben der umliegenden Ortschaften.
Sein Name bürgerte sich seit dem 16. Jahrhundert für Neuendorf und Lötzen ein.
Herzog Johann Sigismund verlieh dem Flecken 1612 das Stadtrecht, der 1613 das
Rathaus und 1633 die Kirche massiv erbaute. Im 17. Jahrhundert erlitt die junge
Stadt harte Schicksalsschläge. 1657 äscherten die Tataren die ganze Stadt mit
Ausnahme der Kirche und des Rathauses ein; tausend Menschen verloren Leben und
Freiheit. Der Große Kurfürst erneuerte und erweiterte 1669 das Stadtrecht. 1686
vernichtete abermals eine Feuersbrunst fast die ganze Stadt. In den Jahren
1709/1711 verlor Lötzen etwa 800 Menschen durch die Pest. Eingewanderte
Salzburger und andere Bürger brachten der Stadt neuen Auftrieb. Auch der
1765/1772 erbaute Kanal, der den Mauer- und den Löwentinsee miteinander
verbindet, trug dazu bei. In den Jahren 1786, 1816 und 1822 erlitt die Stadt
neue Brandschäden. Sie blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein eine
Ackerbürgerstadt, deren Bewohner hauptsächlich Ackerbau, Getreide-, Vieh-, Holz-
und Leinwandhandel, Fischerei und Töpferei trieben. In den letzten Jahrzehnten
bestimmten das Wirtschaftsleben vor allem Sägewerke, Brauereien,
Maschinenfabriken, Zementwaren- und Seifenfabrikation. Bedeutend war auch der
Fremdenverkehr. Der Ausbau des masurischen Kanalystems südlich des Löwentinsees
1857, der Anschluß an die Südbahn Königsberg-Prostken
1868/1870
und die Garnison hatten diese Entwicklung begünstigt. 1844 hatte der
Kriegsminister von Boyen den Grundstein für die Feste Boyen gelegt; ihre
strategisch günstige Lage bewährte sich im Ersten Weltkrieg. Nach 1900 setzte
ein reger Dampferverkehr ein, der Lötzen zum Mittelpunkt des Schiffsverkehrs auf
den masurischen Seen machte. Hier hatten die Masurische
Dampfschiffahrtsgesellschaft ihren Sitz wie auch das Wasserbauamt und der
Oberfischmeister. Die ev. Kirche, die mehrmals abgebrannt ist, wurde 1827 neu
erbaut und 1881 restauriert. Die kath. Kirche mit dem Namen Brunokapelle wurde
1936 vollendet. Bruno, dem ersten Missionar Masurens (+1009), ist auf denn hohen
Ufer des Löwentinsees außerhalb der Stadt das St.-Bruno-Kreuz errichtet worden.
Das Stadtgebiet wurde 1912 durch den Erwerb des Gutes Grünhof bis zum Stadtwalde
und 1917 der Domänenvorwerke Antonowen und Woysack erweitert. Im August und
September 1914 war Lötzen Brennpunkt schwerer Kämpfe. Im Winter 1914/1915
beherbergte Lötzen das Hauptquartier Hindenburgs und Ludendorffs. Bei der
Abstimmung am 11. Juli 1920 stimmten 4.909 Personen (im Kreise 29.378) für
Deutschland und nur drei (im Kreise neun) für Polen. Im Jahre 1929 wurden das
Schloßgebiet, die Feste Boyen und Freiort in Lötzen eingemeindet. 1939 hatte die
Stadt 16.300 meist ev. Einwohner. Im Zweiten Weltkrieg drangen die Russen vom
22. Januar 1945 ab von Osten her in das Kreisgebiet ein und besetzten am 25. die
Stadt Lötzen; sie ist zu 60 v. H. zerstört worden. Am 28. Januar war der gesamte
Kreisraum in den Händen der Russen. Seit Mai 1945 gehört Lötzen samt dem Kreise
zum polnisch besetzten Teil Ostpreußens.
Südostwärts Lötzen liegt am Südzipfel des gleichnamigen
Sees der Marktflecken Widminnen. Der Chronist Hennenberger nennt ihn 1595 „ein
großes Kirchdorff mit Marktrecht und zehn Krügen". Seine Wochen- und Jahrmärkte,
besonders die Pferdemärkte, hatten große Bedeutung für das nordöstliche
Kreisgebiet. Die Kirche, ein verputzter Feldsteinbau, ist nach dem Brande von
1656 im Jahre 1701 wiederhergestellt worden. Kanzel und Altar haben prächtige
Schnitzereien aus dem Jahre 1719.
Die zwischen Lötzen und Widminnen gelegenen
Dörfer Dankfelde (Schedlisken) und Kraukeln (Kruglinnen) liegen in einer
fruchtbaren Gegend und haben beachtliche Bauernhöfe. Westlich
Lötzen liegt an der Südbahn das 1387
gegründete Kirchdorf Groß-Stürlack, die älteste Siedlung im ehemaligen Amt
Lötzen. Die 1598 erbaute Kirche wurde 1832
durch eine neue ersetzt, deren Turm ist erst 1884 vollendet worden. Die in der
Dorfgemarkung gelegenen umfangreichen Bruchflächen sind kultiviert und in
wertvolles Acker- bzw. Wiesenland verwandelt worden; die Pferdezucht des Bauern
Czygan war über den Kreis hinaus bekannt. Rotwalde (Rydzewen), malerisch am
hohen Ufer des Saitensees gelegen, besitzt eine 1579 gegründete und 1591
vollendete Kirche. In den Pestjahren 1709/1711 starben 86 Bewohner des Dorfs an
der Seuche. Im Ersten Weltkrieg steckten die Russen über 60 v. H. der Wohn- und
Wirtschaftsgebäude in Brand, der Wiederaufbau dauerte bis 1921. - Eine der
ältesten Kirchen Masurens steht in Milken; sie ist um 1481 erbaut und nach dem
Brande von 1656 erneuert worden. Ihre Ausstattungsstücke stammen größtenteils
aus dem 17. Jahrhundert. Die Bewohner des Kreises trieben vornehmlich Land-,
Forst- und Fischwirtschaft. Die Lötzener Milchwerke verarbeiteten jährlich 20
Millionen Liter Milch. Die neun Kartoffelbrennereien im Kreise hatten das
Brennrecht für 4.907 hl Branntwein.