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Erst Gulag, dann Missbrauch
Jahrelang unternahm die am 29. November 1940 in Königsberg geborene Monika Dahlhoff immer wieder den Versuch, sich die einzelnen Stationen ihres langen Leidensweges in der Kindheit und Jugend ins Gedächtnis zu rufen und aufzuzeichnen. Dann aber verbrannte sie jedes Mal alle vollgeschriebenen Zettel, weil sie die Vorstellung nicht ertrug, dass ihr Mann und ihre beiden Töchter von den Vergehen und Verbrechen erfahren würden, denen sie zum Opfer gefallen war. Sie hatte, was bei einer schweren traumatischen Belastung oft als Folge auftritt, einen Teil der Schande, die die Missetäter über sich selbst brachten, auf die eigene Person übertragen. Der Drang, seelisch zu gesunden, war letzt-endlich stärker. Die wichtigste Voraussetzung dafür war, alles Elend und Unrecht, das ihr angetan worden war, ans Licht zu bringen. Ihr war klar: „Ich muss meinem Mann und meinen Töchtern meine Geschichte zumuten, damit sie verstehen.“ Ihre wahrhaft erschütternde Geschichte hat Dahlhoff schließlich mithilfe einer erfahrenen Autorin in Form einer romanhaften Autobiografie aufgeschrieben. Der Titel „Eine Handvoll Leben. Meine Kindheit im Gulag“ deckt allerdings nur den Zeitraum 1944 bis 1948 ab.
Nach den Bombardements von Königsberg durch britische Bomberverbände Ende August 1944 wurden Monika Dahlhoff und ihr einjähriger Bruder von ihrer Mutter verlassen, nachdem diese ihre Kinder auf dem Gutshof der Großeltern untergebracht hatte. Im Dezember 1944 überfielen russische Soldaten den Gutshof und töteten fast alle Bewohner. Zusammen mit anderen Kindern wurden Monika und ihr Bruder in einem Lkw in die Sowjetunion deportiert. Gleich nach der Ankunft in einem Barackenlager trug eine Frau den zu Tode erschöpften kleinen Jungen weg. Monika sah ihren Bruder nie wieder. Sie selbst wurde mit anderen Mädchen in einer Baracke untergebracht, wo die Kinder völlig sich selbst überlassen waren. Es mangelte an allem. Statt Betten gab es Strohhaufen, Toiletten waren nicht vorhanden und die Nahrung war unvorstellbar karg oder blieb tagelang ganz aus. Die Rattenplage ließ nicht auf sich warten. „Im ersten Gulag-Jahr hatten wir Einsamkeit, Hunger und unvergleichliches Elend erlebt, aber der nächste Winter lehrte uns wirklich das Fürchten.“
Es grenzt an ein Wunder, dass einzelne der im Laufe der Zeit immer mehr verwahrlosten, von Ungeziefer und Geschwüren geplagten Kinder sich im Kampf um das Dasein behaupten konnten und das Grauen knapp überlebten. Nach ihrer Befreiung aus dem Gulag kam Monika Dahlhoff in ein Krankenhaus in der sowjetischen Besatzungszone und wurde geheilt. Man hält es nicht für möglich, was anschließend geschah. In Zuchau wurde das ohnehin schwer traumatisierte Mädchen von ihrem scheinbar biederen, jedoch schwer abartig veranlagten Pflegevater häufig schwer geschlagen. Mehrmals prügelte er sie wie besinnungslos mit einem Eisenstab fast zu Tode. Ihr Martyrium war aber noch nicht zu Ende, nachdem ihr Onkel sie 1955 ausfindig gemacht und zu ihrer Mutter und deren neuem Ehemann nach Oberstdorf gebracht hatte. Dort fiel erneut ein Perverser über sie her, denn auch ihr Stiefvater, ein berühmter Skifahrer, hatte eine nachtschwarze Kehrseite. An ihrem 18. Geburtstag verließ sie die Familie und wandte sich nach Düsseldorf. Es gelang ihr durch jahrelange harte Arbeit, eine sorgenfreie Existenz führen zu können.
Neben dem Schockeffekt, den er auslöst, hat der gut geschriebene Roman auch einigen Unterhaltungswert. Manches bleibt allerdings im Dunkeln. Vor allem mit Bezug auf das Leben im Gulag wäre es sinnvoll gewesen, im Rahmentext zu erwähnen, wie groß der Anteil der ganz oder teilweise frei erfundenen Bestandteile der Darstellung ist. In der Einleitung und im Abspann sind dazu keine Informationen enthalten.
Monika Dahlhoff: „Eine Handvoll Leben. Meine Kindheit im Gulag“, Verlag Bastei Lübbe, Köln 2013, broschiert, 268 Seiten, 8,99 Euro
Quelle: |
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weitere Informationen:
Erlittenes Unrecht ausgleichen
Monika Dahlhoff: „Eine Handvoll Leben. Meine Kindheit im
Gulag“ Kurzvorstellung Schloss Burg 2015 |