Mediziner untersucht Kinder der Flucht:
Wenn das Trauma im Alter krank macht Von Wolfgang Blumenthal
Traumatische Erlebnisse bei Flucht und Vertreibung - sie haben auch
körperliche Folgen. Das zumindest glaubt Dr. Christoph Muhtz an der Hamburger
Uni-Klink.
Hamburg - Es sind schreckliche Erlebnisse,
die viele Flüchtlinge als Kind durchleben mussten. So berichtet ein aus
Ostpreußen stammender Patient am Universitäts-klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE),
wie sein Flüchtlings-Treck zwischen den Fronten niedergeschossen wurde. Damals
war er ein kleine Junge - acht Jahre alt. Er überlebte das Kriegsdrama.
Es sind Kindheits-Erlebnisse, über die die heute 60- bis 70-jährigen
Vertriebenen nur selten reden, die aber tiefe seelische Wunden hinterlassen
haben. "Die aber später sogar zu körperlichen Erkrankungen führen können",
glaubt Dr. Christoph Muhtz (32), Mediziner am UKE. Statistisch beweisen kann er
diese Annahme noch nicht. Aber vielleicht im kommenden Jahr, wenn die Ergebnisse
seines groß angelegten Forschungsprojektes vorliegen.
"Oft leiden die Betroffenen im Alter unter Depressionen"
"Über die körperlichen Spätfolgen durch traumatische Erlebnisse bei jenen,
die Flucht und Vertreibung als Kind erlebt haben, gibt es bislang wenig
Studien", berichtet Projektleiter Muhtz. Ihm sei aber in den sechs Jahren, in
denen er in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKE arbeitet, eines
aufgefallen: Unter den Patienten fanden sich immer wieder auch einstige
Flüchtlingskinder aus den ehemals deutschen Ostgebieten.
Beispielsweise eine Frau aus Ostpreußen, die als Achtjährige von russischen
Soldaten vergewaltigt worden war. "Oft konnten die Menschen 30 Jahre und mehr
damit leben", weiß Dr. Christoph Muhtz. "Im Alter jedoch tauchten die Traumata
dann wieder auf, in Form von spontanem Wiedererleben und Alpträumen. Oft leiden
die Betroffen im Alter unter Depressionen."
Probanden für Befragungen gesucht
Doch dabei bleibt es nicht, so sein Eindruck. Oft leiden die Betroffenen auch
körperlich mehr als Gleichaltrige, die als Kind keine dramatischen
Fluchterlebnisse verarbeiten mussten. Typische Symptome seien Bluthochdruck,
Übergewicht und Diabetes. Überdies seien sie möglicherweise häufiger von
Herzinfarkt oder Schlaganfall betroffen.
Das sechsköpfige Projekt-Team des UKE will es jetzt genau wissen. Es ruft
deshalb Betroffene im Norden auf, sich zu melden. Zur Zielgruppe gehören
Menschen, die zwischen 1933 und 1940 geboren wurden und nach dem Zweiten
Weltkrieg bei Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien,
Sudetenland und Masuren / Ermland traumatische Erlebnisse als Kind verarbeiten
mussten.
"Wir hoffen auf eine Rückmeldung von 1000 Betroffenen"
Interessierten wird ein umfangreicher Fragebogen zugeschickt. Unter anderem
möchte das Untersuchungsteam gerne wissen, wann genau die Menschen als Kind
vertrieben wurden und - wenn auch belastend - welche Erlebnisse sie dabei
hatten. Auch nach der aktuellen psychischen und körperlichen Situation wird
gefragt.
"Wir hoffen auf eine Rückmeldung von 1.000 Betroffenen", sagt Muhtz. Nach
einer ersten Auswertung würden dann bis zu 100 Menschen ins UKE nach Hamburg
eingeladen, wo sie dann gründlich untersucht werden. "Uns ist klar, dass das
möglicherweise ein schwieriges Thema für sie ist", wendet sich Projektleiter
Dr. Muhtz an die Betroffenen. Und verspricht, sie nicht allein zu lassen: "Egal,
welche Probleme oder Belastungen beim Ausfüllen der Fragebögen entstehen - man
kann uns immer anrufen."
Das Projekt wird Bedeutung für die Zukunft haben. Dr. Muhtz: "Vielleicht
können wir mit diesem Wissen neben den älteren auch den jungen Menschen helfen,
die heutzutage Flucht und Vertreibung erlebt haben - beispielsweise in
Afghanistan oder im ehemaligen Jugoslawien."
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