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Wenig Schutz für alte Namen Gleich doppelt kamen in den vergangenen Wochen die deutschen Ortsnamen in den Vertreibungsgebieten in die Diskussion: In Oberschlesien wurden auf der Grundlage eines polnischen Gesetzes zweisprachige Ortsschilder aufgestellt. Dagegen verschickten bundesdeutsche Finanzbehörden Bescheide, in denen deutsche Ortsnamen sogar rückwirkend für die Zeit vor 1945 polonisiert wurden. So mancher alte Schlesier wollte seinen Augen nicht trauen: „Geboren 1935 in Wroclaw/Polen“ mußte er beispielweise auf dem Bescheid des Bundesfinanzministeriums lesen, mit dem ihm eine neue Steuernummer zugeteilt werden sollte. Wenige Tage später dann eine erfreulichere Meldung: In der Gemeinde Lubowitz in Oberschlesien, dem Geburtsort des Literaturnobelpreisträgers Gerhart Hauptmann, und in mehreren anderen Kommunen der Region werden zweisprachige Ortstafeln aufgestellt. Es hat viele Jahre gedauert und ist immer noch ein umständlicher Prozeß, aber immerhin. Für die Preußische Allgemeine Zeitung sind beide Vorgänge ein Anlaß, einmal grundsätzlich nach den völkerrechtlichen Grundlagen und der politischen Praxis im Umgang mit der Ortsnamen von Minderheiten zu fragen – seien sie vertrieben worden oder nicht. Praktisch alle sprachlichen Minderheiten wünschen sich eine Beschilderung in ihrer Sprache – wenn möglich einsprachig, zumindest aber zweisprachig neben der Amts- oder Mehrheitssprache. Denn diese Beschilderung vermittelt nicht nur ein Gefühl der sichtbaren Anerkennung, sie bewahrt auch ein Kulturgut und markiert zudem das Siedlungsgebiet der Volksgruppe, ohne dabei abzugrenzen oder auszuschließen. Am einfachsten ist dabei die Lage in Nationalitätensprachen wie der Schweiz oder früher in Österreich-Ungarn. Dort gilt beziehungsweise galt das Prinzip, jede Region in ihrer Sprache zu beschildern. Folglich ist die Beschilderung im Schweizer Kanton Tessin einsprachig italienisch – niemand käme in der Schweiz auf die Idee, unter Hinweis auf 75 Prozent Deutschsprachige im Gesamtstaat neben nur neun Prozent Italienischsprachigen eine andere Beschilderung vorzuschlagen. Staaten, die sich trotz faktischer Mehrsprachigkeit als reine Nationalstaaten definieren – wie etwa Frankreich oder die Türkei – neigen zum anderen Extrem: Dort werden Minderheitengebiete einsprachig in der Staatssprache beschildert, und zwar auch dann, wenn vor Ort die Mehrheitsverhältnisse umgekehrt sind. In weiten Teilen der Bretagne, des französischen Baskenlandes oder auch des Elsaß wurde noch vor wenigen Jahrzehnten kaum Französisch gesprochen, dennoch war dort kein Orts- oder Straßenschild in der Regionalsprache zu sehen. Die Folge dieser Politik war allerdings eine deutliche Assimilation, die – auch wenn sie sich ohne offene Konflikte vollzog – gewiß eine kulturelle Verarmung bedeutet. Nach bitteren Erfahrungen mit ungelösten Nationalitätenkonflikten hat sich in Europa heute ein minderheitenrechtlicher Standard herausgebildet, der auch den Schutz angestammter Ortsnamen vorsieht. So heißt es in Artikel 10, 2 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen von 1992, die Vertragsparteien „verpflichten sich, folgendes zuzulassen und/oder dazu zu ermutigen: ... g. den Gebrauch oder die Annahme der herkömmlichen und korrekten Formen von Ortsnamen in Regional- oder Minderheitensprachen, wenn nötig in Verbindung mit dem Namen in der (den) Amtssprachen(n)“. Das ist seit 1998 in allen Ländern des Europarates geltendes Recht. Diese „Ortsnamenklausel“ ist dabei eine Maßnahme von insgesamt 98. In der Summe würden sie einen nahezu perfekten Minderheitenschutz gewährleisten, aber: Die Charta gilt bereits dann als erfüllt, wenn die Unterzeichnerstaaten insgesamt 35 aller 98 empfohlenen Maßnahmen erfüllen. Dieses „Menüprinzip“ ermöglicht es also den Signatarstaaten, zweisprachige Ortsschilder zu verweigern, wenn sie der Minderheit in irgendeinem anderen Punkt entgegen kommen. Eine zweite europarechtliche Grundlage der Schilder bildet das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates von 1995. Doch auch hier gibt es Vorbehalte und Bedingungen. Artikel 11, 3 lautet nämlich: „In Gebieten, die traditionell von einer beträchtlichen Zahl von Angehörigen einer nationalen Minderheit bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien im Rahmen ihrer Rechtsordnung... traditionelle Ortsnamen, Straßennamen und andere... topographische Hinweise auch in der Minderheitensprache anzubringen, wenn dafür ausreichende Nachfrage besteht.“ Diese „weichen“ Formulierungen lassen erahnen,
warum es seit der Wende 18 Jahre gedauert hat, bis in Oberschlesien das erste
zweisprachige Ortsschild eingeweiht werden konnte. Allerdings definieren diese
Abkommen nur Mindeststandards. Jedes Land kann großzügiger sein. Die Stadt
Cottbus beispielsweise ist komplett zweisprachig Deutsch und Sorbisch
beschildert, obwohl weniger als ein Prozent der Cottbuser Bevölkerung Sorbisch
spricht. Die über 99 Prozent Deutschsprachigen stört es nicht, sie betrachten es
als ein Stück „Lokalkolorit“ und sehen die Vorteile für die Tourismus-Werbung.
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