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Verständigung durch Anbiedern Die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gelten als so gut wie nie zuvor. Erst zu Beginn letzter Woche flog Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Mehrzahl der Kabinettsmitglieder zu den elften deutsch-polnischen Regierungskonsultationen nach Warschau. Locker und vertraut plauderte sie mit ihrem Amtskollegen Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), dessen Land soeben zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. In den vier Jahren, seit der Danziger als Ministerpräsident amtiert, ist die schwierige Periode der Kaczynski-Ära offiziell vergessen. Beide Staaten wollen innerhalb der EU-Strukturen künftig noch enger zusammenarbeiten. 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrags hätten Berlin und Warschau die Chance, „ein neues Verhältnis aufzubauen, das frei von Komplexen ist und auf Vertrauen gründet“, schrieben die beiden Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Radosław Sikorski (PO) in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die „Märkische Oderzeitung“ und die polnische „Gazeta Wyborcza“ im Vorfeld. Westerwelles Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die Koordinatorin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, Cornelia Pieper (FDP), wurde am vorvergangenen Mittwoch für ihre „Verdienste um die gemeinsamen Beziehungen“ mit einer Ehrenprofessur der Universität Kielce ausgezeichnet. Schon ihre Vorgängerin im Amt der Koordinatorin, Gesine Schwan (SPD), war letztes Jahr von Stadt und Universität Breslau mit dem Hedwigs-Preis „für die deutsch-polnische Verständigung“ bedacht worden. Bei nüchterner Betrachtung ist dieses „neue Verhältnis“ und die Verständigung durch deutsches Stillschweigen erkauft. Die Bundesregierung nimmt Themen von der Tagesordnung, mit denen der Nachbar im Osten nicht behelligt werden will, und gibt sich leisetreterisch, wenn es darum geht, ureigenste deutsche Ansprüche durchzusetzen, die über merkantile Interessen hinausgreifen. Das sichtbar freundschaftliche Verhältnis der beiden Außenminister beispielsweise rührt zu einem gut Teil daher, wie Westerwelle im Fall Steinbach agiert hat. Bei seiner ersten Auslandsreise im Amt, die ihn nach Warschau führte, distanzierte er sich demonstrativ von der Vertriebenen-Chefin, indem er zu verstehen gab, er werde deren Sitz im Gremium der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung verhindern: „Bei mir ist bisher keine Bewerbung gelandet.“ Dafür landete er einen Pluspunkt bei seinem polnischen Amtskollegen Sikorski. Erika Steinbach verzichtete 2010 schließlich auf ihren Sitz in der Vertriebenenstiftung – um der Sache willen. Doch politischen Beobachtern war klar: Die Kanzlerin hatte ihre Parteifreundin fallenlassen. Seither verbindet Merkel mit Tusk eine enge Partnerschaft. Ein ähnliches Muster wirkt auch in einer anderen zwischen beiden Ländern strittigen Angelegenheit: der Rückgabe kriegsbedingt verlagerter deutscher Kulturgüter. Der Verbleib dieser Güter auf dem heutigen Gebiet der Republik Polen ist nach Auffassung der Bundesregierung widerrechtlich. Die Haager Landkriegsordnung von 1907 verbietet eine Wegnahme von Kulturgütern. Im aktuellen Regierungsbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik fordert Berlin die „Beachtung des Völkerrechts“, um das „deutsche Kulturgut wieder in seinen kulturgeschichtlich-geografischen Zusammenhang einzugliedern“. Doch die bilateralen Verhandlungen darüber treten seit anderthalb Jahrzehnten auf der Stelle. Im jetzt gefeierten Nachbarschaftsvertrag von 1991 heißt es zwar, man sei bestrebt, „die Probleme im Zusammenhang mit Kulturgütern und Archivalien ... zu lösen“, doch verwirklicht hat Polen davon nichts. Als Einzelentscheidung wurde im Jahr 2000 eine Lutherbibel zurückerstattet. Doch dabei blieb es. Weder an eine Rückgabe der etwa 500.000 Bände der früheren Preußischen Staatsbibliothek noch der Deutschen Luftfahrtsammlung ist gedacht. In der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek lagert eine kostbare Sammlung deutscher Autografen – bezeichnenderweise „Berlinka“ genannt –, darunter Briefe von Goethe, Schillers Doktorarbeit, Notizen der Gebrüder Grimm, Originalpartituren von Bach, Mozart und Beethoven sowie das „Lied der Deutschen“ von Hoffmann von Fallersleben. Ferner vermissen die Städtischen Sammlungen Görlitz noch immer achtzig Prozent ihrer Vorkriegsbestände. Einst von dort ausgelagerte Kunstschätze befinden sich in den Nationalmuseen von Warschau und Krakau, aber auch in den schlesischen Städten Breslau und Lauban. Doch um des lieben Friedens willen spielte das Thema bei den jüngsten Stellungnahmen zum Stand der deutsch-polnischen Beziehungen keine Rolle: Weder im interfraktionellen Bundestagsbeschluss vom 10. Juni zu zwanzig Jahren Nachbarschaftsvertrag noch in der „Gemeinsamen Erklärung des Runden Tisches“ vom Pfingstsonntag in Warschau findet sich auch nur ein Wort über die Rückführung deutscher Kulturgüter. Im Rahmen der Regierungskonsultationen und im ausdrücklichen Kontext des Jubiläums schlossen die Berliner Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Warschauer Polnische Nationalbibliothek zwar ein Abkommen, bei der „Aufarbeitung und Bewahrung des gemeinsamen Kulturerbes“ sowie der Digitalisierung der Bestände in Zukunft zusammenzuarbeiten. Das für polnische Ohren leidige Rückgabethema war nach Auskunft der Staatsbibliothek nicht Gegenstand der Vereinbarung. Über eine „Rückerstattung“ ganz anderer Art konnte sich indes das Danziger Nationalmuseum freuen: Die Stiftung schickte im Oktober letzten Jahres sechs Gemälde und eine Skulptur an die Mottlau, weil diese Teil der – deutschen – Vorkriegssammlung des Danziger Stadtmuseums gewesen waren. Die Kunstwerke waren in den Nachkriegswirren nach Berlin gelangt. Zur gegenseitigen Freundschaft „ohne Komplexe“ trägt sicher auch bei, dass deutsche Regierungsvertreter bei den Rundtischverhandlungen nicht übermäßig Druck gemacht haben, den Interessen ihrer Landsleute jenseits von Oder und Neiße Geltung zu verschaffen. Die praktischen Verhandlungserfolge für die Deutschen sehen denn auch bescheiden aus. Die meisten Punkte der Warschauer Erklärung, welche die deutsche Volksgruppe betreffen, behandeln die Aufarbeitung historischen Unrechts wie die Zwangsassimilierung im kommunistischen Volkspolen und museale Aspekte der Kulturarbeit. Hinsichtlich des drängendsten Problems heute, die deutsche Sprache als Muttersprache wiederzugewinnen und in den Alltag zu heben, hat die polnische Seite lediglich zugestanden, die Bildungsstrategie für die Volksgruppe zu überprüfen und zu aktualisieren.
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