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Deutschland soll »aufwachen« Trotz alter Feindschaft wird die deutsche Führungsschwäche auf EU-Ebene in Polen mit Sorge betrachtet. Alles scheint nur noch um deutsches Geld zu gehen, Visionen für Europa seien nicht mehr erkennbar. Dass das Verhältnis der Polen zu Deutschland „schwierig“ ist, gehört zu den Konstanten der europäischen Politik. Zum Grundgefühl des östlichen Nachbarn gehört der beunruhigende Eindruck, zwischen zwei Riesen, Deutschland und Russland, gleichsam eingeklemmt zu sein. Dazu gesellt sich das bohrende Empfinden, als große europäische Nation nicht das Gewicht zu entfalten, das Polen eigentlich zustünde. Vor diesem Hintergrund ist es eine Nachricht von einigem Rang, wenn der Chefredakteur der größten polnischen Zeitung von Deutschland fordert, es möge endlich „aufwachen“, um in Europa die Führung zu übernehmen. Grzegorz Jankowsky, Chef des Massenblattes „Fakt“, beklagt sich in einem Beitrag für die „Welt“ bitter über die Perspektivlosigkeit der europäischen Politik, die mangelnde Qualität des politischen Führungspersonals in den EU-Hauptstädten und das Fehlen jedweder politisch-strategischer Vision. Zwar gehört „Fakt“ wie die „Welt“ zum deutschen Springer-Verlag. Doch daraus sollten keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Das Blatt verfolgt eine polnisch-nationale Linie und pflegt insbesondere zu den Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen ein alles andere als konziliantes Verhältnis. Jankowsky jedoch treibt die ernste Sorge um, dass ohne ein waches und starkes Deutschland ganz Europa auf die „Rutschbahn“ gerate und seine Länder international zu „zweit- oder drittklassigen politischen Partnern herabgesetzt werden“. „Langsam, aber sicher zerbricht die Europäischen Union – und dies vor unser aller Augen“, warnt der polnische Meinungsbildner. Die Ursachen für das heraufdämmernde Desaster sind laut Jankowsky vielfältig. Da sei zunächst der breiter werdende Riss zwischen reichen und armen EU-Staaten. Von Deutschland und Frankreich „erzwungen“, drifteten beide Lager immer weiter auseinander. Allerdings leitet der „Fakt“-Chef daraus keineswegs die üblichen Forderungen nach „mehr Solidarität“ der „Reichen“ in Form von noch mehr Subventionen, noch mehr Rettungsschirm-Milliarden und noch mehr Garantien für die „Armen“ ab. Im Gegenteil: Streng geißelt Jankowsky die planlose Freigiebigkeit der Deutschen: „Die Deutschen erkennen nicht – oder wollen nicht wahrhaben –, dass ihre Subventionierung von Spanien, Portugal, Irland, Polen, Tschechien oder Griechenland überhaupt nichts bewirkt. Sie exportieren bares Geld, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten ... Natürlich sind alle sehr dankbar für dieses Geld. Aber warum, zum Teufel, folgt diesem Geld kein politischer Gedanke, keine Idee, kein Konzept für Europa?“ Was die „Dankbarkeit“ angeht, so wird die in Deutschland weniger wahrgenommen. Das Fehlen eines zukunftsträchtigen Konzepts für Europa bemängeln indes auch deutsche Beobachter bei ihrer eigenen Regierung. Grzegorz Jankowsky sieht die Ursache für diese Ziellosigkeit in der „katastrophalen Qualität“ unserer politischen Führungsschichten: „Ergebnis ist die intellektuelle Ohnmacht bei der Schaffung langfristiger politischer Konzepte“, so der Pole. Dazu bremse die „allgegenwärtige politische Korrektheit“. Die Politiker in London, Paris oder Berlin dächten nur noch an die nächsten Wahlen. Ihre Kraft reiche nicht einmal mehr dazu, die bereits von ihren Vorgängern ausgearbeiteten Ziele umzusetzen. Hier allerdings möchte der Leser fast um etwas Gnade bitten für die heutigen Führer Europas: Ihre auch von Jankowsky gepriesenen Vorgänger wie Helmut Kohl haben, siehe Euro, die Wurzeln vieler heutiger Probleme gelegt. Ihre Politik war von dem Wunschdenken geprägt, dass die Eigendynamik der europäischen Integration die meisten Probleme von selbst lösen würde. Zudem trieb der Argwohn gegenüber einem starken Deutschland dazu, mit der D-Mark einen wesentlichen Stabilitätsanker des gesamten europäischen Wirtschaftsgefüges einzuholen, ohne einen auch nur halbwegs gleichwertigen Ersatz zur Hand zu haben. So sind heutige Politiker dazu verdammt, gegen eine fatale Drift anzukämpfen, die ihre „visionären“ Vorgänger ausgelöst haben. China werde Europas Platz einnehmen, so prophezeit Jankowsky, auch, weil die „bequemen Deutschen, Briten und Franzosen eben dorthin die Mehrheit ihrer Produktion und Technologie ausgelagert haben“. Hier trifft der „Fakt“-Chef eine Sorge auch vieler Deutscher exakt. Machtlos blicken sie darauf, wie die Chinesen die Früchte jahrzehntelanger Entwicklungen, oft mit viel deutschem Steuergeld subventioniert, einfach abschöpfen. Beim Ausmachen einer weiteren Bedrohung ist Jankowsky dann wieder ganz und gar Pole: Gegenüber dem „Giganten aus Moskau“ hätten das „vereinsamte Frankreich und Deutschland ... keine Chance“. Gigant? Die wirtschaftliche, technologische, gesellschaftliche wie auch demographische Entwicklung Russlands lassen den Begriff ein wenig übertrieben erscheinen. Zumal die chinesische Herausforderung Russland noch unmittelbarer treffen könnte als den Rest Europas: Ein Bruchteil des chinesischen Volkes würde ausreichen, um ganz Sibirien zu überschwemmen und, auf welche Weise auch immer, nach und nach an sich zu reißen. Das dürfte die Neigung des Kreml, im Westen eine zweite Front aufzumachen, etwa durch einen „Gaskrieg“ mit Deutschland, in Grenzen halten. Dass sich der Chef der auflagenstärksten polnischen Zeitung mehr deutsche Führung in Europa wünscht, ist – ungeachtet solcher polnischer Besonderheiten – ein ermutigendes Signal der Normalisierung. Grzegorz Jankowsky dürfte jedoch leider Recht behalten: Rettungslos verhakt im Gezerre um den angeblich „alternativlosen“ Euro hat Berlin weder die Luft noch den Mut oder die Phantasie, die ihm angediente Rolle auszufüllen.
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