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Anderthalb Stunden für die Volksgruppe Der seit Jahren gehegte Wunsch vieler heimatverbliebener Oberschlesier, einen Präsidenten ihres deutschen Mutterlandes bei sich empfangen zu können, blieb unerfüllt. Dabei war Bundespräsident Christian Wulff (CDU) einmalig nah, und die Gelegenheit so günstig: Wulff würdigte am Dienstag vergangener Woche im niederschlesischen Breslau das 200-jährige Bestehen der dortigen Universität. In der wegen ihrer barocken Pracht berühmten Aula Leopoldina hielten Wulff und sein polnischer Amtskollege Bronislaw Komorowski die Festreden – unter einem großen polnischen Adler, der nach der Polonisierung der einst preußischen Hochschule an deren Stirnseite thront. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, der aufgrund der Lemberger Bezüge der Universität eigentlich am Festakt hatte teilnehmen sollen, verpasste die Veranstaltung – sein Flugzeug konnte wegen Nebels nicht landen. Präsident Komorowski stellte die Geschichte der durch Friedrich Wilhelm III. in neuer Form gegründeten Universität als „Symbol der geistigen Einheit“ Europas dar. Die Alma mater begreife mit ihrer internationalen Zusammenarbeit, in Sonderheit mit der Ukraine, „dass der geistige Reichtum Europas ohne die Länder Osteuropas nicht komplett ist“. Polen versteht sich als Anwalt einer baldigen Aufnahme seines südöstlichen Nachbarn in die Europäische Union. Wulffs Ansprache, gewohnt geschichtspolitisch „korrekt“, hob ganz auf die grenzüberschreitende Kooperation in den natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen sowie die Europäisierung von Lehre und Forschung ab. Nur mit historischem Hintergrundwissen war aus seiner Rede zu erschließen, dass die Breslauer Universität eine von einem deutschen Herrscher gegründete deutsche Hochschule in einer deutschen Stadt war. Stattdessen sprach der Bundespräsident nebulös von „vielfältigen Wurzeln“, welche die Einrichtung „zu einer großen polnischen Universität haben gedeihen lassen“. Das Wiederaufleben der Universität nach dem Krieg verdanke sie „Professoren aus Lemberg“, das „im Sommer 1941 der Ort grausamer, unter deutschem Kommando verübter Massenmorde geworden war“. Dass der deutsche Lehrkörper enteignet, entrechtet und schließlich mit Gewalt vertrieben wurde und daher die eigene Wirkungsstätte nicht wieder in Betrieb nehmen konnte, sagte Wulff nicht. Für empfindliche polnische Ohren angenehm hingegen, wie der Gast aus Deutschland bereits im dritten Satz seiner Rede auf die Geschichte beider Länder zu sprechen kam, „deren dunkelste Seite aber Deutsche zu verantworten hatten“. Als „schmerzvolle Folge“ davon durften „nahezu alle deutschen Einwohner, die Breslau noch 1939 hatte, zehn Jahre später nicht mehr hier wohnen“, verniedlichte Wulff die Ausrottung des Deutschtums in der Stadt. Breslau profitiere „unermesslich“ von „Pluralität und dem Minderheitenschutz.“ Nach Recherchen der PAZ jedoch ist ein Studium in deutscher Sprache für die Angehörigen der deutschen Volksgruppe in Schlesien nicht möglich und auch für die Zukunft nicht geplant. Im Anschluss an den Festakt stattete Wulff den heimatverbliebenen Landsleuten einen anderthalbstündigen Besuch ab. Dort, bei der Begegnung mit etwa 30 handverlesenen Funktionären, darunter der einzige deutsche Sejm-Abgeordnete Richard Galla, am Sitz der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft (DSKG) in Breslau, bekannte Wulff, dass Breslau „700 Jahre eine deutsche Stadt“ gewesen war. Zum Geschenk erhielt der Gast ein Buch über die Geschichte Oberschlesiens – in polnischer Sprache. „Die Tatsache, dass Wulff, dessen Programm von zwei auf einen Tag gekürzt wurde, ausgerechnet Oppeln nicht mehr besuchen konnte, lässt sich offiziell natürlich terminlich begründen“, kommentierte das (schlesische) „Wochenblatt“ die Stippvisite des Bundespräsidenten. „Dennoch bleibt ein Fragezeichen.“ Auf der Facebook-Seite des „Wochenblatts“ machten Leser noch am Abend des Besuchstages kein Hehl aus ihrer Enttäuschung. „Mit ein bisschen mehr Rückgrat wäre er nach Oberschlesien gekommen“, schrieb eine Nutzerin. Ein anderer: „Man ist von den Deutschen doch nichts anderes gewöhnt, devot und unpatriotisch zu sein. An dieser Stelle könnte man sich sogar von Polen eine Scheibe abschneiden. Polen tritt demonstrativ für die polnische Minderheit in Litauen ein. Oppeln wäre eine gute Wahl, aber man könnte vielleicht glauben, dass der Bundespräsident sich für die Deutschen einsetzt.“ Ein dritter verglich mit den Deutschlandbesuchen des türkischen Premiers Erdogan: „Wenn der nach Deutschland kommt, um seine Landsleute zu besuchen, dann findet das in der Köln-Arena statt und die Hütte ist voll. Was sehe ich hier? Eine eher stille Räumlichkeit, bloß nicht zuviel Außenwirkung.“ - CR Zwischenruf: Beschämend devot Bundespräsident Christian Wulff hielt in Breslau aus Anlass des 200. Geburtstages der dortigen Universität ein Grußwort. Inhaltlich enthielt dieses kurze Grußwort Banalitäten, aber auch eine geschichtsklitternde Passage. Wir kennen das nicht anders vom amtierenden deutschen Staatsoberhaupt. Zitat: „Breslau ist von der Geschichte unserer beiden Länder geprägt, deren dunkelste Seite Deutsche zu verantworten hatten. Eine schmerzvolle Folge davon ist, dass nahezu alle deutschen Einwohner, die Breslau noch 1939 hatte, zehn Jahre später nicht mehr hier wohnen durften.“ Wulff erweckt mit dieser Passage den Eindruck, dass Breslau 1939 eine größere Anzahl polnischer Einwohner hatte und die dort lebenden Deutschen 1945 Aufenthaltsverbot bekamen. Dies ist eine gravierende Verharmlosung der Ereignisse um Flucht, Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit der Deutschen, die Polen zu verantworten hat. In einer weiteren Passage seines Grußwortes nennt der Präsident die Stadt Lemberg, und dann wörtlich: „Der Ort grausamer unter deutschem Kommando verübter Massenmorde im Sommer 1941.“ Keinesfalls sollen die Verbrechen der SD-Einsatzgruppen in Lemberg im Sommer 1941 geleugnet werden. Sie sind hinreichend bekannt. Aber in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts, rund 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ist kein Platz mehr für deutsche Selbstbezichtigung und Reuebekundung. Die Verwaltung der deutschen Schuld aus dem 20. Jahrhundert sowie die Pflege des deutschen Schuldbewusstseins dienen heute dazu, Herrschaft über die Deutschen auszuüben. Dies muss sich auch das deutsche Staatsoberhaupt ins Stammbuch schreiben lassen. Dem partnerschaftlichen und gleichberechtigten Miteinander der Völker innerhalb der EU wird durch Wulffs Einlassungen in Breslau ein Bärendienst erwiesen. Wilhelm von Gottberg
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