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Eindeutigkeit tut not Die jüngsten Regional- und Kommunalwahlen in der Republik Polen haben insbesondere in Oberschlesien für ein erhebliches Presseecho und lebendige Diskussionen in interessierten Kreisen gesorgt. Neben der zunächst bestehenden Verwirrung um die Regierungsbeteiligung der Liste der deutschen Volksgruppe an der Regierung in der Woiwodschaft Oppeln, kam es zu einem überraschenden Einzug der Bewegung für die Autonomie Schlesiens (RAS) in der Woiwodschaft Schlesien (Kattowitz) in das dortige Regionalparlament. Dieser „Erfolg“ wurde durch die unmittelbare Regierungsbeteiligung der RAS „gekrönt“. Vor dem Vorstand der AGMO e.V. – Gesellschaft zur Unterstützung der Deutschen in Schlesien, Ostbrandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen zeichnete der stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft, der Historiker Tobias Körfer, in einem detaillierten Bericht ein umfassendes Bild der politischen Lage in Oberschlesien. Neue Bewegung macht von sich reden Diese neue gesellschaftliche Kraft macht in Oberschlesien politisch mehr als je zuvor von sich reden. Die schlesische Autonomiebewegung (RAS) ist nunmehr auf der Bühne der Regionalpolitik angekommen. Schwerpunktmäßig im östlichen Oberschlesien beheimatet gab es im vergangenen Herbst Irritationen um ein Übergreifen in den Oppelner Bezirk. Doch ist mit den jeweiligen Wahlerfolgen der Autonomisten im östlichen und der deutschen Volksgruppe im westlichen Teil Oberschlesiens die Debatte keineswegs verstummt. Mit dem politischen Erstarken der RAS und dem Übergreifen in den Bereich des Oppelner Bezirks stellen sich für die DFK-Gliederungen auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen, zentrale, bislang stiefmütterlich behandelte, inhaltliche und existentielle Fragen. Wahrnehmung vorhanden doch unzureichend In einem jüngst im Schlesischen Wochenblatt publizierten Artikel „Wir prüfen unsere Strukturen“ (Nr. 2/2011, vom 7.01.2011), wurde die Frage des Umgangs mit der RAS thematisiert und Auswirkungen für die eigene Arbeit erörtert. Daß in dem besagten Aufsatz die Problematik durch den Vorsitzenden der SKGD Oppeln, Norbert Rasch erkannt wird, mag gut und richtig sein. Die Art und Weise des Umgangs mit dem Problem hingegen kann keineswegs beruhigen. Die schlesische Autonomiebewegung, so der SKGD-Vorsitzende Norbert Rasch, sei „für junge gebildete Schlesier vielfach zu einer interessanteren Alternative geworden“, da sie „ohne Zweifel interessante Aktionen“ zustande brächte und man müsse darüber hinaus „mehrere Schlüsselfaktoren berücksichtigen“. Wenn es denn für junge Menschen unattraktive DFK-Ortsgruppen gäbe, so sei dies auf „Verwaltungsfehler“ zurückzuführen. Daß sich die mangelnde Attraktivität auf einen einzigen „Schlüsselfaktor“, dem von der AGMO e.V. seit jeher angeprangerten, gänzlichen Fehlen deutscher Kindergärten und Grundschulen zurückführen läßt, bleibt von Rasch unerwähnt. Wie anders soll sich bei jungen und gebildeten Menschen ein eindeutiges Bewußtsein der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe herausbilden, wenn diese potentiellen Mitglieder und Mitarbeiter nicht in ihrer eigenen, der deutschen Muttersprache und damit in der deutschen Kultur von frühester Kindheit an fest verwurzelt worden sind? Der in dem selben Bericht getätigten Aussage des Geschäftsführers der SKGD Oppeln, Ryszard Donitza, daß die RAS nicht als ernsthafte Bedrohung gesehen würde, da sie in der Oppelner „Region keine so große Unterstützung“ habe, können die Aussagen, in einem ebenfalls im Schlesischen Wochenblatt (Nr. 50/2010, vom 10.12.2010) wenige Wochen zuvor erschienenen Interview mit dem Lokalpolitiker Stefan Zdzuj aus Groß Döbern (Bezirk Oppeln), entgegenhalten werden. Zdzuj erhält dort unter dem bezeichnenden Titel „Peinlich berührt“ die Gelegenheit ebenso fragwürdige, wie auch erhellende Aussagen über die „tatsächliche“ Lage zu tätigen. Inhaltliche Beliebigkeit erschwere eine klare Differenzierung und schrecke „junge, gebildete Menschen“ ab. Unverhohlen wird hier Werbung für den „lokalpatriotisch orientierten Verband“ der RAS gemacht, nicht ohne hinzuzufügen, daß er sich selber nicht als Deutscher, sondern als „Schlesier“ empfinde. Außerdem stünde er nicht alleine mit seiner Haltung da. Eine namentlich nicht näher bekannte „neue junge DFK-Vorsitzende bei Oppeln“ habe sich jüngst offen als „Schlesierin“ und ganz bewußt nicht als Deutsche bezeichnet. Bemerkenswert an dieser Bekundung, von Stefan Zdzuj, ist allenfalls, daß sowohl diese selbst, als auch ihre Wiedergabe im Wochenblatt, seitens der Interviewerin Frau Mroz nicht hinterfragt wird. Politische Ziele, offene Fragen und historische Anleihen Angesichts des nicht nur gedanklichen Einbruchs der RAS in das Revier der deutschen Volksgruppe im Oppelner Bezirk dürften auch journalistische Beiträge in der Jungen Freiheit und der Preußischen Allgemeinen Zeitung von einer gewissen Verkennung der Umstände geprägt sein. In den beiden Artikeln „Schlesische Autonomisten regieren mit“ (PAZ, 1/2011, 08.01.2011) und dem allzu euphorisch betitelten „Freiheit für Schlesien“ (Junge Freiheit, 2/2011, 07.01.2011) tritt deutlich zu tage, daß hierzulande selbst Kenner der Lage dem „jugendlich-frischen Charme“ der RAS und insbesondere ihres Vorsitzenden, Jerzy Gorzelik, zu erliegen scheinen. Gorzelik und die RAS mögen die jüngste Zerschneidung des historischen deutschen Oberschlesiens innerhalb des polnischen Staates in zwei Woiwodschaften (Oppeln und Kattowitz) bedauern. Sie wollen diese rückgängig machen und zudem innerhalb der kommenden zehn Jahre eine Volksbefragung über die von ihnen angestrebte Autonomie stattfinden lassen. Derlei ambitionierte Vorhaben dürften allem Anschein nach weniger einer profunden Kenntnis der historischen Umstände, sondern vielmehr dem Bestreben zu verdanken sein, den eigenen politischen Einfluß auch auf den Bezirk Oppeln auszudehnen. Denn die RAS ist nicht nur eine sich jugendlich gebende Bewegung. Sie ist auch eine politische Partei. Diese haben die grundsätzliche Angewohnheit ihren Einflußbereich ausdehnen zu wollen. Dazu zählt auch, daß man Kreide frisst. So, wie Gorzelik einst radikalste Forderungen erhob und nunmehr für Bildung und Kultur in der Woiwodschaft Schlesien zuständig ist, eine Position, die ihm laut dem RAS-Experten Przemyslaw Jedlecki „großen Einfluß verleiht“, zeigt auch die RAS selber eine erstaunliche Vielzüngigkeit (vgl. Nordkurier.de, „Schlesien will nicht das Kosovo Mitteleuropas werden“, vom 31.01.2011). Daher dürfte unter Zugrundelegung der oben erwähnten Ansinnen der RAS auch vielmehr machtpolitisches Kalkül im Vordergrund stehen. In einem zentralistischen Einheitsstaat, wie die Republik Polen einer ist, bliebe die RAS eine regionale Splitterpartei. Sollte Oberschlesien einmal „autonom“ werden, dann könnte die RAS damit rechnen innerhalb des Autonomiegebietes zu einer bestimmenden Kraft aufzusteigen. Verbrämt wird gestiftete Unruhe wohlklingend als „tiefgehende Dezentralisierung“ (vgl. „Europa heute“ im DLF vom 31.01.2011). Das in den Artikeln beschriebene, „eher positive Deutschlandbild und die Forderung nach voller Anerkennung der deutschen Volksgruppe in Oberschlesien, als ‚integralem Bestandteil unseres kulturellen Erbes‘“ kommt ein wenig zu gefällig daher. Messen lassen muß Gorzelik seine Worte an seinen Taten als Beauftragter der Woiwodschaft Schlesien für Kultur und Bildung! Die deutsche Volksgruppe in der Republik Polen ist seit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag eine anerkannte nationale Volksgruppe, die jedoch aufgrund mangelnden politischen Willens westlich und östlich von Oder und Neiße immer noch über keine eigenen deutschen Kindergärten und Grundschulen verfügt. Deshalb müssen, trotz formaler rechtlicher Voraussetzungen Jahr für Jahr Generationen junger deutscher Kinder polnische Kindergärten und Grundschulen besuchen, an denen nicht über wenige Wochenstunden hinaus in der Sprache der Volksgruppe, wenn überhaupt, unterrichtet wird. Schwierigkeiten scheinen die RAS und ihr Umfeld zudem mit der Einschätzung historischer Zusammenhänge zu haben. Wie Andrea Schmidt-Rössler in einem 1999 in der Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung erschienenen Aufsatz (Autonomie- und Separatismusbestrebungen in Oberschlesien 1918-1922, in: ZfO 48 (1999), S. 1-49) eindeutig belegt, war die sog. „Autonomie“ Schlesiens der Zwischenkriegszeit nicht mehr als Augenwischerei und Propaganda zum Stimmenfang bei der Volksabstimmung 1921. Ebenso eine Farce, wie es die Forderungen der heutigen RAS unter Berufung darauf nicht anders sein können. Aufgrund historischer und politischer Erfahrungen und der daraus in der Republik Polen seit jeher gezogenen Schlüsse, dürfte es unmöglich sein, eine Verfassungsänderung zwecks Bildung autonomer Regionen auch nur anzudenken. Doppeltes Spiel der polnischen Politik Weshalb dann das auf den ersten Blick irritierende Verhalten der Partei des polnischen Premiers Donald Tusk, der PO (Bürgerplattform), in den Woiwodschaften Oppeln und Schlesien/Kattowitz nach den letzten Regionalwahlen? Die bewährte Zusammenarbeit mit der Liste der gesetzlich anerkannten deutschen Volksgruppe im Oppelner Sejmik wurde zunächst aufgekündigt, obwohl diese einen leichten Stimmenzuwachs zu verzeichnen hatte. In der Woiwodschaft Schlesien/Kattowitz hingegen koaliert die PO ungezwungen mit den unerfahrenen Polit-Neulingen der RAS, die nur aufgrund einer beschämend geringen Wahlbeteiligung mit lediglich drei Abgeordneten im Kattowitzer Sejmik sitzen. Gorzelik wurde sogar zum Vize-Marschall des Sejmik ernannt. Hingegen scheint bei näherer Betrachtung, das Agieren der PO mitnichten widersprüchlich zu sein. Auch den Parteistrategen in Warschau dürfte aufgefallen sein, daß es sich durchaus lohnen könnte, die RAS bis zu einem bestimmten Punkt gewähren zu lassen und mit ihr zusammenzugehen. Die, ein ominöses, gar nicht zu konkretisierendes „Schlesiertum“, dessen politische Vertretung natürlich ihr selber zufällt, bzw. eine nirgendwo verbindlich definierte „schlesische Nationalität“ vertretende RAS bindet Manche mit der aktuellen Lage Oberschlesiens Unzufriedenen politisch an sich. Und das ohne eine Chance mit ihren Kernzielen, der Autonomie, aufgrund von erheblichen Schranken in der polnischen Verfassung, jemals durchdringen zu können. Sie bildet insofern eine Art „politische Knautschzone“. Mit der RAS kann ohne weitere Konsequenzen „Dampf“ aus dem sozialen Kessel gelassen werden. Die Wahlliste der deutschen Volksgruppe hingegen ist die politische Vertretung einer rechtlich anerkannten nationalen „Minderheit“ in der Republik Polen. Sie hat nicht nur einen rechtlichen Status, sondern könnte zudem, wenn ihre politischen Vertreter nur wagten, sehr weitgehende – zulässige (!) – politische Forderungen erheben. Diese wären letzten Endes aufgrund ihrer juristischen Statthaftigkeit für die polnische Politik sehr viel unangenehmer, als die im Grunde „staats- bzw. verfassungsfeindlichen“ Wolkenschlösser schlesischer Autonomisten. Des Weiteren mag man in Warschau und vor Ort darauf setzen, daß bei der RAS wahrscheinlich kurzfristig auch das eintreten dürfte, was schon bei den Bündnis-Grünen hierzulande wirkte. Die durch Konfrontation mit der Realpolitik eintretende Entzauberung und Entschärfung. Die im Deutschlandfunk in der Sendung „Europa heute“ vom 31.01.2011 von ihm wiedergegebene Aussage über die Ziele der RAS, wird der Kattowitzer Vorsitzende der Kaczynski-Partei PiS sicherlich polnisch-nationalistisch gemeint haben, doch müsste seine Ausführung unter veränderten Vorzeichen grundsätzlich auch von der Führung der deutschen Volksgruppe stammen können: „Es ist ein gefährliches Spiel.“ Die Nutznießer der Entwicklung und die Volkszählung 2011 Man darf nun also die Frage stellen: „Cui bono?“. Wem nützt es, wenn die Autonomisten in die Wählerklientel der deutschen Volksgruppe eindringen und zugleich von der polnischen Seite hofiert werden? Hat die polnische Regierung etwa ihren Machiavelli gelesen und nimmt das altbekannte „Divide et impera“ – teile und herrsche – wörtlich? Das könnte sich für die deutsche Volksgruppe fatal auswirken, wenn sie zunächst politisch und dann auch gesellschaftlich marginalisiert würde. Die Gefahr ist sehr real und droht bereits in naher Zukunft. 2011 steht eine weitere Volkszählung in der Republik Polen an. Schon bei der letzten Volkszählung im Jahre 2002 flüchteten viele Deutsche in Oberschlesien, aus Angst sich offen zu bekennen, in die „Ersatzidentität“, der „schlesischen“ Nationalität. So kam es, daß die Ergebnisse der Volkszählung, was die Anzahl der Deutschen betraf, den tatsächlichen Bevölkerungsanteil nicht wiedergaben und -geben. Neben vielen anderen kann ein solches Verhalten als zusätzlicher Indikator dafür gelten, daß der Geist des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages von der polnischen Seite vielleicht doch nicht ganz so vorbildlich erfüllt wurde, wie von der bundesdeutschen Politik gerne behauptet wird (PStS Dr. Christoph Bergner MdB auf dem 15. Schlesienseminar auf Schloß Groß Stein/OS vom 29.09. bis zum 03.10.2010). Entgegenzuwirken wäre dem mit einem klaren, eindeutigen und glaubwürdigen Bekenntnis – vor allem der politischen Führung der Deutschen in der Republik Polen – zur eigenen nationalen, deutschen Identität, und zwar durch Schaffung eigener Bildungseinrichtungen in Form von deutschen Kindergärten und Grundschulen, wie es die AGMO e.V. seit langem anmahnt. So und nicht anders lassen sich Anhänger gewinnen, Zweifler überzeugen und Schwankende umstimmen. Das allzu verlockende politische und zeitgeist-affine Gesäusel der RAS vom kulturell vielschichtigen Schlesien mit seinen zahlreichen Prägungen, die nur mit Hilfe einer Autonomie „besser regiert werden“ könnten, so Gorzelik, mag den Ohren schmeicheln. Es kann und darf jedoch keine Alternative für die deutsche Volksgruppe östliche von Oder und Neiße darstellen. -o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o- Der Autor, Tobias Norbert Körfer, ist stellvertretender
Vorsitzender der als gemeinnützig anerkannten „AGMO e.V. – Gesellschaft zur Unterstützung
der Deutschen in Schlesien, Ostbrandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen“ mit Sitz
in Bonn (www.agmo.de).
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