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Streit über Straßennamen Wie die Deutschen ihre Vergangenheit entsorgen Von Alan Posener In Münster tobt ein Streit über die Umbenennung des Hindenburg-Platzes. Man spricht von "Bilderstürmerei". Wollen die Deutschen geschichtslos werden? Dieser Wunsch wäre im Kern totalitär. Man kann mit der Vergangenheit leben. Oder sie entsorgen wie stinkenden Restmüll. In Deutschland, wo die Saubermänner und -frauen wohnen, bevorzugt man von jeher die zweite Variante. Was man an den Straßennamen ablesen kann. Nach jedem Umbruch werden die Straßen und Plätze umbenannt. Als die Nazis rankamen, war es vorbei mit Friedrich-Ebert-Platz und Phillip-Scheidemann-Straße. Wer wollte schon an die Gründer der verhassten Republik erinnert werden? Man war ja immer dagegen gewesen. Adolf-Hitler-Straße, das klang doch völkisch gesehen ganz anders. Zwölf Jahre später war’s auch damit vorbei. Nazi war man sowieso nie gewesen. Innere Emigration. Im Westen waren wieder Ebert und Scheidemann dran. Man war eigentlich ja immer für die Republik gewesen. Im Osten ehrte man Karl Marx. Oder Ernst Thälmann. Oder Josef Stalin. Oder Walter Ulbricht. Ulbricht und Stalin verschwanden bald wieder – Stalinist? Nie gewesen. Und Ulbricht? Immer schon suspekt gefunden. Und nach der Wende, obwohl bekanntlich "alles nicht schlecht gewesen" war und man gern an Marx und hier und dort auch an Thälmann festhielt, verschwanden die meisten anderen Helden des sozialistischen Pantheons zusammen mit ihren Büsten aus dem Stadtbild. War da was gewesen? Nö. Wenn es dabei geblieben wäre, die allzu kompromittierten Vertreter diverser deutscher Irrwege zu entfernen, hätte man kaum etwas dagegen sagen können. Aber der deutsche Furor ist bekanntlich gründlich. Wer den politischen Sauberkeitsansprüchen des 21. Jahrhunderts nicht standhält, landet auf dem Müllhaufen der Geschichte. So beschloss der Stadtrat in Münster vor Kurzem, den zum Autoabstellen benutzten Platz zwischen Stadt und Schloss umzubenennen. Er heißt nämlich seit 1927 ununterbrochen Hindenburgplatz. Nun mag man Hindenburg vorwerfen, dass er als Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg Militarist war. Wir Deutsche sind bekanntlich immer schon gegen Militarismus. Man muss Hindenburg auf jeden Fall vorwerfen, dass er als Reichspräsident den verachteten "böhmischen Gefreiten" Hitler zum Reichskanzler ernannte. Hindenburgs VerdiensteAndererseits darf man aber auch nicht vergessen, dass Hindenburgs Sieg bei Tannenberg 1914 den Vormarsch der zaristischen Armee stoppte, was ihm auf Dauer und zu Recht die Dankbarkeit der Deutschen eintrug. Der Konservative war das bisher einzige direkt von den Bürgern gewählte Staatsoberhaupt und galt lange Zeit auch den Sozialdemokraten als letzte Bastion gegen Hitler und die Nazis. Kurzum: Der Mann ist, wie so viele Politiker, zumal in Deutschland, keine reine Lichtgestalt, aber nicht ohne Verdienste. Vor allem ist er Teil unserer Geschichte, zusammen mit der Hindenburg-Begeisterung, die ihren Niederschlag in so vielen Hindenburg-Dämmen, -alleen, -straßen und -plätzen fand. Wer Hindenburg entsorgt, entsorgt vor allem die Erinnerung daran, dass sich die Werte der Gesellschaft – auch einer demokratischen Gesellschaft – wandeln und dass man nicht immer so gedacht hat wie gerade jetzt. Gegen die "Bilderstürmerei" des Stadtrats hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die eine Volksabstimmung erzwungen hat. Am 16. September entscheiden also die Münsteraner, ob Hindenburg bleiben darf. Sie mögen sich daran erinnern, dass eine der allerersten Bürgerinitiativen der deutschen Geschichte 1967 in West-Berlin entstand, als die Politik den Kaiserdamm in Konrad-Adenauer-Damm umbenannte. Die Berliner wollten ihren ollen Kaiser Willem wieder ham. Und ihre Geschichte. Die Politik musste einen Rückzug machen. Zweifellos ist Adenauer eine angenehmere Gestalt als "Willusch", wie Wilhelm der Zweite zu Lebzeiten in Berlin genannt wurde. Aber die Geschichte besteht eben nicht nur aus Leuten, die allen immer angenehm sind. Und die Stadt ist nun einmal Stein gewordene Geschichte. Wenn sich die Münsteraner an Berlin kein Vorbild nehmen wollen, mögen sie nach Israel schauen. In Tel Aviv ist die wichtigste Geschäftsstraße seit den Zeiten des britischen Mandats nach dem britischen Feldmarschall Edmund Allenby benannt, dem "blutigen Stier", der Syrien und Palästina im Ersten Weltkrieg eroberte. In der heiligen Stadt Jerusalem heißt die wichtigste Geschäftsstraße immer noch "King George V Street". Die Israelis haben ihre Unabhängigkeit gegen die Briten erkämpft. Sie haben es nicht nötig, alle Spuren der einstigen Kolonialherren aus dem Stadtbild zu tilgen. Der deutsche Umbenennungsfuror ist kein Zeichen demokratischer Gesinnung. Er belegt nur den Wunsch, geschichtslos zu sein, Dieser Wunsch aber ist – das hat George Orwell in "1984" gezeigt – im Kern totalitär.
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