An der kurzen Leine
Ein Kommentar von Gernot Facius
Dass es in Verbänden, Parteien und Organisationen 
mitunter mal heftig kracht, ist das Normalste der Welt; einen Streit 
auszufechten gehört zur politischen Hygiene. Dass dabei Führungspersonen ihr Amt 
verlieren können, ist auch nicht unbedingt eine Aufregung wert. So gesehen 
könnte man den aktuellen Konflikt in der Landsmannschaft Schlesien (LS) getrost 
vergessen, würfen nicht die Umstände der Abwahl des seit dreizehn Jahren 
amtierenden Vorsitzenden Rudi Pawelka ein Licht auf die innere Verfassung von 
Vertriebenenorganisationen: Sie lassen sich mehr und mehr von der Politik 
vorschreiben, wie sie zu ticken haben.  
An Pawelkas Amtsführung mag einiges 
auszusetzen sein, das betrifft aber nicht den Kern des Skandals. Der 
LS-Vorsitzende wurde gestürzt, weil Vorstandskollegen einem Wink aus der 
Landesregierung in Hannover folgten. Was war geschehen? Der CDU-Mann Pawelka 
hatte auf dem traditionellen Deutschlandtreffen der Schlesier in der 
niedersächsischen Landeshauptstadt die Forderung nach einer Entschuldigung 
Polens und der Tschechischen Republik für die Vertreibung der Deutschen 
erneuert. So etwas gilt heute als politisch unkorrekt und wird geahndet. Durch 
Liebes- und Mittelentzug. Von 2015 an werde es keine finanzielle Förderung des 
großen Landsmannschaftstreffens mehr geben, sollte es nicht zu grundsätzlichen 
Umorientierungen des Verbandes und seiner Aktivitäten kommen, schrieb die 
rot-grüne Regierung an LS-Vorstandsmitglieder. Und weiter: Künftig müsse 
sichergestellt werden, dass die Landsmannschaft sich dem „Gedanken der 
Aussöhnung" verschreibe und von, “rückwärtsgewandten und revanchistischen 
Äußerungen" ablasse. Es folgte die Drohung: "Das Schlesiertreffen wird also nur 
Bestand haben, wenn es sich als Brücke ins heutige Schlesien, als Ort der 
Begegnung und des kulturellen Austausches sowie des generationenübergreifenden 
Dialogs versteht."
Jetzt weiß man es also. Hinter den schönen Worten 
Begegnung und Dialog verbirgt sich die Absicht, die Deutungshoheit über 
„Aussöhnung" zu beanspruchen. Der aus der moraltheologischen Sphäre stammende 
Begriff „Versöhnung" beziehungsweise „Aussöhnung" wird politisch umgemünzt - und 
gegen die Landsmannschaft gewendet. Es wird ignoriert, dass 
Vertriebenenorganisationen seit Jahrzehnten Kontakte mit Kommunen, Verbänden, 
Kirchen und Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft in den ehemaligen 
Vertreiberstaaten pflegen. Oberlehrerhafte Belehrungen haben sie nicht nötig. 
Man verlangt von ihnen politisches Wohlverhalten das ist der Skandal. Wer darauf 
beharrt, Warschau und Prag an die an Deutschen verübten Verbrechen zu erinnern 
und Gesten der Heilung von Unrecht einzufordern, wird als Unruhestifter und 
Revanchist stigmatisiert. Kulturorganisation ja, Opferverband, der 
Rechtsansprüche geltend macht, entschieden nein: Das ist die brutale Botschaft 
von der Leine. Die Politik sagt, wo es langzugehen hat. Wer nicht in dieser Spur 
bleibt, wird von den staatlichen Geldtöpfen weggedrängt. Dass in ihnen auch 
Steuern von Heimatvertriebenen stecken, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist: 
Man erzieht sich Organisationen, die sich vor der Peitsche der Politischen 
Korrektheit (und damit vor dem Verlust an Verbandsmitteln) fürchten. Das 
niedersächsische Beispiel ist kein Einzelfall, Pressionen und Pressionsversuche 
sind auch aus unionsgeführten Landesregierungen bekannt, von der Bundesregierung 
ganz zu schweigen.  
Der missliebige Pawelka, das muß man ihm zugutehalten, gehört 
zum Verein für deutliche Aussprache. Er meldet sich auch dann zu Wort, wenn 
andere schweigen. Mit einer Stellungnahme im Pressedienst Schlesien geißelte er 
die Scheu deutscher Politiker, das Wort „Vertreibung" in den Mund zu nehmen.
Pawelka nahm dabei auch die Konzeption der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, 
Versöhnung" unter die Lupe. Leider sei vielen nicht aufgefallen, auch den 
Vertretern der Vertriebenen im Stiftungsrat nicht, wie Tatbestände durch Worte 
verfälscht würden: Bis zur 
Verabschiedung des Potsdamer Protokolls am 2. August 
1945 spricht die Konzeption von 'wilden Vertreibungen', danach gibt es nur noch 
Zwangsaussiedlungen, die auf der 'Grundlage der 
Potsdamer Konferenz' erfolgte“. 
So als sei durch die Großen Drei neues Recht geschaffen worden. Für die 
Vertriebenen bedeute dies eine tiefe Demütigung, weil man verschweige, daß sie 
unter Bruch des Völkerrechts durch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit 
vertrieben worden seien. Man billige ihnen nur zu, zwangsausgewiesen zu sein. 
Ausweisung heiße nach einschlägigen Wörterbüchern, die polizeiliche Ausweisung 
eines Ausländers aus einem Staat: „Die Vertriebenen wurden demnach auf der 
Rechtsgrundlage von Potsdam wie Ausländer ausgewiesen, und zwar innerhalb 
Deutschlands."
Solch klare Worte wünschte man sich auch von der 
deutschen Politik im Jahr 2013. Sie aber duckt sich hinter - dubiosen - 
Rechtsauffassungen der Siegermächte. Die Vertreibung war eine gegen das 
Völkerrecht - auch das damalige - verstoßende 
ethnische Säuberung", schrieb 2003 
der SPD-Politiker Peter Glotz („Die Vertreibung - Böhmen als Lehrstück"). 
Vertreibungen seien Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 
Schon das Internationale Militärtribunal von Nürnberg habe so entschieden, genau 
zu der Zeit, als die Tschechen die Sudetendeutschen vertrieben. Im Statut des 
Tribunals ist die „Deportation" als Straftatbestand schon enthalten. Ein Exkurs 
in die unmittelbare Nachkriegszeit schafft Klarheit. Den deutschen Angeklagten, 
die für Hitlers Massendeportationen mitverantwortlich waren, wurde am 20. 
November 1945 vom französischen Ankläger vorgehalten: „Solche Deportationen 
verletzen die internationalen Konventionen, insbesondere Artikel 46 der 
Haager 
Landkriegsordnung von 1907, die Kriegsgesetze und Gebräuche, die allgemeinen 
Grundsätze des Strafrechtes, wie sie sich aus den Strafgesetzen aller 
zivilisierten Nationen herleiten, die Strafgesetze jener Länder, in denen solche 
Verbrechen verübt wurden, und Artikel 6 b des Statuts." Artikel 6 b betraf 
Kriegsverbrechen. Der Sozialdemokrat Glotz, 1939 in Eger geboren, hatte noch den 
Mut, auf die Verletzungen des Völkerrechts hinzuweisen, aus denen sich eine 
Pflicht zur rechtlichen Heilung ergibt. Die nachfolgende Politikergeneration hat 
sich von dieser Position weit entfernt - oder nimmt die völkerrechtlichen 
Implikationen nicht zur Kenntnis. Sie negiert auch das Faktum, dass im 
Potsdamer 
Protokoll keine Aussage über den Entzug des Vermögens der vertriebenen 
Bevölkerung getroffen wurde; sie stellt sich taub, wenn von Betroffenen 
beziehungsweise deren Nachkommen die Eigentumsfrage thematisiert wird - oder 
stellt Forderungen nach Wiedergutmachung pauschal unter Revanchismusverdacht. 
Dabei müsste auch den Akteuren in - Berlin, München und andernorts klar sein: 
Auf den Eigentumstitel generell zu verzichten würde bedeuten, die Entrechtung 
und spätere Vertreibung anzuerkennen. Muss man an diesen Zusammenhang erinnern? 
Offensichtlich ja.