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Ausstellung: Flucht, Vertreibung,
Integration Lange angekündigt, über Jahre erarbeitet und nun von Dezember 2005 bis April 2006 im Bonner Haus der Geschichte gezeigt: Die Ausstellung Flucht, Vertreibung, Integration. Über Jahrzehnte war es kaum möglich, das Thema Vertreibung darzustellen, ohne dass es zu heftigen Protesten. gekommen wäre, auch hätte es eine öffentliche Institution kaum gewagt, sich in dieser Weise damit zu befassen. Es bedurfte erst eines Klimawechsels in unserer Gesellschaft, der die Voraussetzungen für ein solches Unternehmen schuf. Sicher waren die ethnischen Säuberungen in Ex-Jugoslawien ein Auslöser, nicht zu vergessen aber auch der Sinneswandel mancher Linksintellektueller, die nach Jahrzehnten der Sprachlosigkeit sich an einen tabuisierten Teil deutscher Geschichte erinnerten. Die Erwartungen waren hoch, zumal auch zu hören war, das Projekt könne ein Zentrum gegen Vertreibungen ersetzen. Obgleich viele Dokumente in Wort und Bild einen sicher in dieser Konzentration bisher noch nicht vermittelten Eindruck in das erlittene Leid deutscher Vertriebener geben, ist erstaunlich, welche Mängel offenkundig sind. Ohne ein umfassendes Wissen über die Siedlungsgeschichte der Deutschen, die staatlichen Zugehörigkeiten einzelner Gebiete sowie geschichtliche Abläufe wird ein Besucher zudem durch die Ausstellung sicher keine Bildungslücken aufarbeiten können, zu verwirrend und bruchstückhaft die Aneinanderreihung von Einzelgeschehen. Hinzu kommen falsche Fakten, missverständliche Aussagen, das Auslassen wichtiger Abläufe und politischer Hintergründe, die für den Gesamtzusammenhang unverzichtbar sind. Durch Grenzverschiebungen oder Verschiebungen von Minderheiten sollten ethnisch reine Staaten geschaffen werden, so hatte es 1915 der Schweizer Montandon postuliert. Die Ausstellung knüpft an diese Zielsetzung an und versucht, hiermit auch die Vertreibung der Deutschen zu begründen. Was die Macher des Projektes bewogen hat, die Theorie, ethnisch reine Gebiete zu schaffen durch Vertreibung von Minderheiten auch auf rein deutsch besiedelte Reichsgebiete undifferenziert zu beziehen, bleibt ihr Geheimnis. Das Potsdamer Protokoll, hier als Abkommen bezeichnet, so wird suggeriert, sei die rechtliche Grundlage. Hitler habe den Startschuss für all das gegeben, was nach dem Krieg über das deutsche Volk hereingebrochen ist, so heißt es auch in dem begleitenden Museumsmagazin. Eine gern benutzte These, um die Schuld anderer Völker und Staaten hinter den Verbrechen des NS-Staates zu verstecken und der Versuch einer Aufrechnung von Unrecht gegen Unrecht. Der eigentliche politische Kontext wird, wie schon bei bekannten Darstellungen von Guido Knopp, allerdings ausgeblendet. Keine Brandschriften eines Ilya Ehrenburg für die Rote Armee, kaum Dekrete über die Vertreibung und Behandlung der Deutschen eröffnen sich dem Besucher. Dass Stalin, wie es einst Ex-Bundespräsident Roman Herzog feststellte, Länder und Völker hin- und herschob, um seinen Machtbereich zu festigen bzw. zu erweitern, dieser wohl entscheidende Aspekt wird verschwiegen. Schon eingangs wird der Besucher auf das Jahrhundert der Vertreibungen eingestimmt, indem auf den Bevölkerungsaustausch zwischen Griechen und Türken, die Vertreibung der Armenier in der Türkei und der Polen im Warthegau hingewiesen wird. Die Vertreibung der Finnen und die Annexion von finnischen Gebieten nach dem Überfall der Roten Armee im November 1939 finden dagegen keinen Niederschlag. Dieses Völkerrechtsverbrechen der Sowjetunion hätte exemplarisch die bereits erwähnte Machtpolitik Stalins offengelegt und passte wohl nicht in das vorgegebene Bild. Eine Million Deutsche gab es in Polen nach dem 1. Weltkrieg, so ist zu lesen. Warum nennt man nicht die richtige Zahl von 2,4 Millionen? Eine Million, das war allein die Zahl der Deutschen, die bis 1939 auf Grund polnischer Bedrückung und Ausweisung das Land verlassen mussten. Sind die Dokumente des Völkerbundes, die noch immer in Genf lagern, hierüber nicht bekannt? Dieses für das Gesamtgeschehen der Vertreibung wichtige Faktum einfach wegzulassen, ist kennzeichnend für die Tendenz der Konzeption. Zu den 1920/21 auf Anordnung der Siegermächte des 1. Weltkrieges durchgeführten Volksabstimmungen heißt es, diese seien im südlichen Ostpreußen für Deutschland ausgegangen, aber in Oberschlesien nicht eindeutig gewesen. Deshalb sei eine Teilabtretung erfolgt. Einzelheiten hierzu bleiben im Dunkeln, z. B., dass die Abstimmung gar nicht ganz Oberschlesien erfasste, dass fast 60 % Stimmen für Deutschland abgegeben wurden, dass der polnische Anteil durch zugewanderte Arbeitskräfte - wie im Ruhrgebiet - erheblich erhöht wurde. Der Besucher gewinnt auf Grund der oberflächlichen Darstellung den Eindruck, eine Abtrennung sei die zwangsweise Folge gewesen, was aber nicht so war. Zum einen kann eine Mehrheit von 60 % durchaus als eindeutig angesehen werden, zum anderen umfasste das abgetretene Gebiet auch Städte wie Kattowitz, das selbst mit 85 % für Deutschland gestimmt hatte. Der polnische Überfall durch den Einmarsch von Truppenverbänden im Mai 1921 in das deutsche Oberschlesien, der das politische Ziel hatte, nach der für Polen ungünstigen Abstimmung vollendete Tatsachen zu schaffen, wird nur als kriegerische Auseinandersetzung bezeichnet. Dies liegt leider in der abwegigen Logik der Macher. Sicher hätte dieses Völkerrechtsverbrechen mit den einhergehenden Gräueltaten gegen die deutsche Zivilbevölkerung, wenn es denn Erwähnung gefunden hätte, auch andere - unerwünschte - Sichtweisen eröffnet. Mit der Elle des groben Vereinfachers werden auch andere Geschehensabläufe angegangen. So heißt es im Hinblick auf den Anschluss des Sudetenlandes 1938 an das Deutsche Reich, ca. 250.000 Tschechen hätten dieses Grenzland verlassen müssen. Unterschlagen wird dabei die Tatsache, dass viele Tschechen erst nach 1919 in diesem Gebiet angesiedelt wurden, um als Lehrer, Verwaltungsbeamte oder in der Armee Kontrolle und Einfluss auf die deutsche Bevölkerung auszuüben. Verwirrung gibt es auch bei anderen Zahlen. Die aus Schlesien vertriebenen Deutschen werden mit lediglich 3.222.600 angegeben. Es fehlt jedoch etwa eine Million, die in der Heimat festgehalten wurde und später als Aussiedler in die Bundesrepublik übersiedelten und die aus guten Gründen ebenfalls als Vertriebene gelten. Die 450.000 Vertreibungstoten aus Schlesien finden sich ebenso in der o. a. Zahl nicht wieder. Der Vorwurf des Beschönigens kann auch an vielen anderen Stellen nicht erspart werden. Zu wenig ist über die Gesamtorganisation der Vertreibung zu erfahren, obwohl es darüber umfangreiche Dokumente gibt. Warum wird kaum etwas über die von Polen betriebenen 1.200 Lager und KZ für die deutsche Zivilbevölkerung, viele andere gab es in den anderen Vertreibungsgebieten, berichtet? Hierzu heißt es lediglich ohne nähere Angaben, viele wurden ins Lager gesperrt, verschleppt, getötet oder mussten schwere Zwangsarbeit leisten. Viel ist von der Flucht der deutschen Bevölkerung die Rede, von Vertreibung wird im Zusammenhang mit Potsdam gesprochen, wieso werden die „wilden Vertreibungen” vor dem Potsdamer Protokoll nicht besonders thematisiert, warum nicht die Verhinderung der Rückkehr Geflüchteter durch polnische Milizen an Oder und Neiße? Wieso fehlen Berichte über die grausame Behandlung der zurückgebliebenen deutschen Bevölkerung in den folgenden Jahrzehnten? Warum werden ausländische Straftäter und verantwortliche Staatsmänner nicht genauso herausgestellt, wie dies bei deutschen Verbrechen erfolgt? Wohl um die Vertreiber in einem etwas milderen Licht erscheinen zu lassen, gibt es mehrfach Bezüge zu deutschem Unrecht. Die Heranziehung von Russen in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten zu Zwangsarbeit ist ein Beispiel hierfür. Was hat das mit der Vertreibung zu tun? Auch Aussagen, wie „die Bevölkerung der im Krieg besetzten Länder entlädt Hass über die verbliebenen Deutschen”, können nur als Versuch, Verständnis für die Verbrechen von Polen, Tschechen und Russen zu wecken, verstanden werden. Der erwähnte Hass entlud sich im übrigen überwiegend gegenüber den Deutschen, die gar nicht unter anderen Völkern gelebt hatten. Auch eine immer wieder gebrauchte Stereotype fehlt nicht: Örtliche Stellen der deutschen Verwaltung hätten die Flucht der Bevölkerung hinausgezögert und so in Gefahr gebracht. Hier soll wohl Schuld von den Eroberern genommen und auf das NS-Regime verlagert werden. Man muss fragen, warum war im Westen keine Evakuierung nötig, ausgenommen vorübergehend und punktuell wegen akuter Kampfhandlungen? Von Bedeutung ist für die Vertriebenen die Frage, wie werden ihre Anliegen, wie wird ihre Politik über die Jahrzehnte gewürdigt? Für Besucher eröffnen sich auch hier nur grob vereinfachende Darstellungen, wobei soziale Forderungen und der Kampf gegen Gebietsabtretungen als Schwerpunkte gesehen werden. Am Rande finden auch das Zentrum gegen Vertreibungen, gestellte Entschädigungsforderungen und die Kultur ihren Niederschlag, so dass wesentliche Gesichtspunkte der Vertriebenenpolitik außen vor bleiben. Welche übergeordnete Verpflichtung den Vertriebenen als Opfer eines der größten Verbrechen aufgetragen ist, bleibt verborgen. So bleibt man der Linie treu: Vertriebenenvertreter können nicht Sympathieträger sein, Deutsche können nicht als Opfer gezeigt werden, ohne auf ihre Rolle als Täter hinzuweisen. An den Deutschen begangene rassische Diskriminierungen durch die für sie ergangenen staatlichen Dekrete werden nicht thematisiert. Dass deutsche Juden, die die Ausrottungspolitik der NS-Zeit überlebt hatten, von den Vertreiberstaaten genauso entrechtet und vertrieben wurden wie andere Deutsche, diese zweite Diskriminierung ist den Ausstellern nicht wert, darüber zu informieren. Zu den Fernsehfilmen von Guido Knopp schrieb die
Frankfurter Allgemeine Zeitung vor vier Jahren, dass in vielerlei Hinsicht
Schadensbegrenzung. erfolgt, denn die deutschen Opfer sollen nicht in die Nähe
dessen kommen, was Deutsche ihrerseits verschuldet haben. Man kann diese Aussage
generell auch auf die Ausstellung anwenden, trotz des positiven Ansatzes, die
Vertreibung überhaupt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der
volkserzieherische Charakter ist nicht zu übersehen. Eine differenzierte, von
alten Verklemmungen befreite Darstellung hätte nach 60 Jahren erwartet werden
können. Es ist sicher nicht nur ein Schönheitsfehler, dass die Spitzenvertreter
der Vertriebenen zu der Eröffnungsveranstaltung nicht eingeladen wurden. Ein
Novum im Vergleich zu anderen Betroffenen, das sich aber in das Gesamtbild
einfügt.
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