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Einfach unter den Nagel gerissen Im Sommer 1949 hatte sich die SED-Führung endgültig überzeugt: Die neue Grenze zwischen Deutschland und Polen ist nicht nur unabänderlich, sondern dient auch eindeutig dem Frieden und der Völkerverständigung. Dies war nicht so selbstverständlich, wie es heute manch einem erscheinen mag. Noch am 12. September 1946, kurz vor den ersten, noch einigermaßen freien Wahlen in der Sowjetischen Besatzungszone, veröffentlichte die SED-Landesleitung Mecklenburg-Vorpommern einen Aufruf, in dem es hieß, die SED habe sich „mit den gegenwärtigen Ostgrenzen Deutschlands nicht abgefunden“, sondern trete für eine Verbesserung der „heutigen provisorischen Grenzen ein“. Von Wilhelm Pieck, dem KPD-Vorsitzenden und späteren Präsidenten der DDR, wird sogar berichtet, er habe 1945 auf die Nachricht von der Besetzung Stettins durch Polen wutentbrannt geschrieen: „Das ist ein Übergriff, den wir uns nicht bieten lassen werden. (...) Wir werden uns alles wieder zurückholen, was uns die Pollacken geraubt haben; auch meine Heimatstadt Guben.“ Nicht nur Polen ist verantwortlich Natürlich ist für die Annexion der deutschen Provinzen östlich von Oder und Neiße und die Vertreibung der dortigen deutschen Bevölkerung nicht nur Polen verantwortlich, das man nur mit viel gutem Willen zu den Siegern des Zweiten Weltkriegs zählen kann. Vielmehr handelte es sich stets um Entscheidungen Stalins, der den Polen auf Kosten des Kriegsverlierers Deutschland, aber mit Billigung der Westmächte eine Entschädigung für die Westverschiebung ihres Landes zugunsten der Sowjetunion zukommen lassen wollte und somit langgehegte Träume polnischer Chauvinisten aus der Zwischenkriegszeit erfüllte, die unter dem Begriff „Westgedanke“ bis ins 19. Jahrhundert zurückzuverfolgen sind. Allerdings waren die Polen mit dieser Entschädigung bis zur natürlichen Grenze Oder nicht zufrieden. Sie versuchten vielmehr, die Grenze noch weiter nach Westen zu verschieben. So erhielten sie auf der Konferenz von Potsdam große Teile Niederschlesiens, indem nicht die Glatzer, sondern die Lausitzer Neiße als Grenzfluß bestimmt wurde. Weniger erfolgreich waren sie mit ihrer Forderung nach einer etwa zehn Kilometer breiten Sicherheitszone westlich von Oder und Neiße, die auf eine Abtrennung von Görlitz, Bad Muskau und Forst herausgelaufen wäre. Weiter nördlich, in Vorpommern, hatten sie mehr Glück. Dies betraf vor allem die Stadt Stettin. Wer heute die deutsch-polnische Grenze in ihrem nördlichen Teil beschreiben will, kann sich nicht auf die Oder stützen. Der sogenannte Stettiner Zipfel liegt eindeutig westlich des Flußlaufs. Das Buch von Bernd Aischmann schildert ausführlich und auf viel bislang unbekanntes Material gestützt, wie es 1945 nach dem Ende der Kampfhandlungen zu diesem Verlauf der Grenze kam – eine Geschichte, die man auch sechzig Jahre später nicht ohne Erschütterung liest. Dabei sah es anfangs für die Deutschen in Stettin trotz aller Drangsalierungen gar nicht so schlecht aus. Die Rote Armee etablierte unmittelbar nach der kampflosen Einnahme der Stadt am 26. April eine deutsche Stadtverwaltung unter Führung des Kommunisten Ernst Rusch (1893–1965), zu der ab 5. Mai eine Gruppe Moskauer Exilkommunisten unter Führung von Gustav Sobottka (1886–1953) stieß. Bis zum 10. Juni erschien sogar eine deutschsprachige Zeitung, die Deutsche Zeitung. Die Polen, die gleichzeitig eine polnische Verwaltung aufzubauen versuchten, werden mehrfach von den Russen aus der Stadt gewiesen. Der Grund für dieses Hin und Her dürfte in der Ungewißheit gelegen haben, ob die Amerikaner und Briten, die weit nach Osten, teilweise über die Elbe, vorgerückt waren, sich wirklich wie vereinbart aus Sachsen, Thüringen und Mecklenburg zurückziehen und mit den Westsektoren in Berlin begnügen würden. Erst als sich das als zutreffend erwiesen und die Rote Armee am 1. Juli die mecklenburgische Hauptstadt Schwerin von den Amerikanern übernommen hatte, übergab die Sowjetunion am 5. Juli Stettin in polnische Verwaltung. Sowjets setzten 1945 in Stettin deutsche Politiker ein Die deutsche Stadtverwaltung, bestehend aus sechzig bis siebzig ausgewählten KPD- und SPD-Genossen, zog sich auf vorbereitete Quartiere in Dörfern weiter westlich zurück, wohin sie Lebensmittel und sonstiges Material aus der Stadt verbracht hatte. Stalin hatte somit die Wünsche der Polen auch bezüglich der Odermündung und des Hafens Stettin erfüllt. Nur die Übertragung der ganzen Insel Usedom, die ebenfalls auf dem polnischen Wunschzettel stand, blieb ihnen versagt. Den Westmächten war die Grenzziehung offenbar gleichgültig. Sie glaubten, auf die Mitwirkung Stalins bei der Niederringung Japans trotz der amerikanischen Atombombe nicht verzichten zu können. Die Leidtragenden auch im Raum Stettin waren die besiegten Deutschen. Es ist der große Vorzug dieses Buches, daß Aischmann nicht nur die großen Linien der Politik betrachtet, sondern den Alltag der Bevölkerung nicht aus den Augen verliert. Er ist gekennzeichnet durch Hunger, Obdachlosigkeit, Zwangsarbeit und Vertreibung, durch Plünderung und Vergewaltigung, diesmal nicht nur durch Angehörige der Roten Armee, sondern auch von Polen. Daneben steht das Bestreben, die zerstörte Infrastruktur wieder in Gang zu bringen und in all dem Chaos so etwas wie Verwaltungshandeln aufrechtzuerhalten. Dessen Zeugnissen verdanken wir heute interessantes Quellenmaterial. Die sogenannte Oder-Neiße-Grenze, die ihren Namen nur teilweise zu Recht trägt, ist am 11. Juni 1951 (bislang) zum letzten Mal verändert worden. Damals erhielt Polen das auf DDR-Gebiet befindliche Wasserwerk am Wolgastsee bei Korswandt auf Usedom und die DDR dafür einige Äcker im Kreis Randow. Diese polnische „Nase“ bei Swinemünde ragt jetzt nach Deutschland hinein. Die deutsch-polnische Grenze allerdings hat spätestens seit dem 21. Dezember 2007 infolge des Beitritts Polens zur Europäischen Union ihren Schrecken verloren. Wir können jetzt gelassen abwarten, wie sich die Zusammenarbeit zwischen einem nationalbewußten Polen und einem weitgehend nationsvergessenen Deutschland in Pommern entwickelt. Bernd Aischmann: Mecklenburg-Vorpommern, die Stadt Stettin ausgenommen. Eine zeitgeschichtliche Betrachtung. 2. durchgesehene Auflage, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2009, 228 Seiten, Abbildungen, 34 Euro
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