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Die Täter nannten es »Aussiedlung« In der 1949 entstandenen Bundesrepublik wurden 225,000 Ungarndeutsche amtlich registriert. Die dafür verantwortliche Vertreibung der deutschen Volksgruppe aus Ungarn ist leider nicht einzigartig, der Umgang des heutigen Ungarn damit hingegen schon. In dem von Polizei umstellten Budapester Vorort Wudersch (Budaörs) wurden die „Schwaben“ aus den Betten geholt. Nur das Allernötigste durften sie zusammenklauben, bevor sie zum Bahnhof getrieben wurden. In bereitstehenden Viehwaggons verließen 1.058 Bewohner die Ortschaft; zehn Tage später kamen sie in Aalen an. Ein zweiter Transport mit 1.054 Menschen erreichte Anfang Februar 1946 Göppingen. Binnen fünf Wochen sahen sich 6.753 Wuderscher wie Vieh nach Württemberg und Baden verfrachtet. Das benachbarte Wudigess (Budakeszi) mussten 3.800 „Schwaben“ im März 1946 in vier Transporten Richtung Süddeutschland verlassen. Dorf für Dorf, Komitat (Bezirk) für Komitat, in denen die Schwaben (svábok), wie die Ungarndeutschen stets genannt wurden, seit Generationen lebten, leerte sich. In der Volkszählung vom 21. Dezember 1941 hatten 477.057 Personen „deutsch“ als ihre Volks- oder Sprachzugehörigkeit angegeben; 161636 ungarische Staatsbürger deutscher Nationalität verließen bis Dezember 1946 das Land. Der US-amerikanische General Lucius D. Clay hielt 168.000 als Zahl der Ankömmlinge in seinem Besatzungsgebiet fest. Auf seine Anordnung hin endete am 1. Dezember 1946 die „Aussiedlung“ in den US-amerikanisch besetzten Teil Deutschlands. Aber zwischen Frühjahr 1947 und Sommer 1948 verbrachte man noch einmal gut 50.000 Deutsche aus Ungarn in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ), von denen viele den Weg in die Westzonen wählten. In der 1949 entstandenen Bundesrepublik wurden 225.000 Ungarndeutsche amtlich registriert. Neben Vertriebenen gehörten dazu auch Heimkehrer aus der Sowjetunion. 64.000 „Schwaben“ waren dorthin zur Zwangsarbeit deportiert worden. 16.000 überlebten diese Deportation und Zwangsarbeit nicht. Die „Aussiedlung“ (kitelepítés) – so der beschönigende amtliche Sprachgebrauch – war im Staatsanzeiger (Magyar Közlöny) Nr. 211 vom 29. Dezember 1945 veröffentlicht und über die Verordnung Nr. 12.330 bekanntgemacht worden. Sie berief sich auf die Legitimierung durch die Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945. Aus Sitzungsprotokollen der Alliierten geht indes hervor, dass die Vertreibung der Ungarndeutschen ursprünglich gar nicht vorgesehen war, sondern von der damaligen ungarischen Regierung beantragt und erst nach „Genehmigung“ – nicht „auf Weisung“, wie Zoltán Tildy, ein reformierter Pfarrer, Ministerpräsident bis 1946, danach bis 1948 Staatspräsident, in der von ihm unterzeichneten Verordnung behauptet hatte – durch die Alliierte Kommission ermöglicht worden war. Es sind auch nicht die Kommunisten allein gewesen, welche die Ungarndeutschen kollektiv büßen ließen. Alle den „Schwaben“ geltende Maßnahmen – Entrechtung, Enteignung, Vertreibung, Umsiedlung Verbleibender innerhalb Ungarns – wurden zwischen 1945 und 1947 ergriffen, als in Budapest überwiegend ungarisch-nationale Parteien das Sagen hatten. Die Partei der Unabhängigen Kleinlandwirte, die in der Wahl zur Nationalversammlung am 4. November 1945 57,03 Prozent der Stimmen erhalten hatte, bildete mit Sozialdemokraten (17,41 Prozent), Kommunisten (16,95 Prozent), Nationaler Bauernpartei (6,87 Prozent), Demokratischer Partei (1,62 Prozent) sowie den Radikalen (0,12 Prozent) eine (von der sowjetischen Besatzungsmacht angeordnete) Allparteienregierung, von deren 16 Ministern die Kommunisten vier stellten. Den aus Moskau zurückgekehrten führenden ungarischen Kommunisten war der Gedanke kollektiver Bestrafung selbstredend nicht fremd. Enthalten war er im Konzept für eine radikale Bodenreform, das der nachmals berühmte Imre Nagy, seinerzeit Agrarreferent der „Moskowiter“, vor Bildung der provisorischen Regierung in Debrecen 1944 ausgearbeitet hatte. Es sah vor, „Vaterlandsverräter, Kriegsverbrecher, Mitglieder des deutschen Volksbunds und Personen, die in der Wehrmacht gedient haben, vollständig und entschädigungslos zu enteignen“. Andererseits propagierten nationalistische Kreise die „Kollektivbestrafung der Schwaben“. Besonders die Nationale Bauernpartei rührte die Trommel. Generalsekretär Imre Kovács wetterte am 7. April 1945: „Sie haben sich selber aus dem Körper der Nation herausgerissen und in allen ihren Taten bewiesen, dass sie mit Hitler-Deutschland fühlen. Nun sollen sie auch Deutschlands Schicksal tragen. Wir werden sie aussiedeln.“ Und das Parteiorgan der Kleinlandwirte „Kis Újság“ stimmte ein: Das „deutsche Gift“ müsse „ausgeleitet, das deutsche Geschwür aus dem nun heilenden Körper der Nation herausgeschnitten“ werden, hieß es in der Ausgabe vom 18. April 1945. Außenminister János Gyöngyösi überreichte schließlich am 26. Mai die formell an die Sowjetunion gerichtete Note: „Die ungarische Regierung ist zu dem Entschluss gelangt, dass es notwendig ist, jene Deutschen, die die Sache Ungarns verrieten und in den Dienst Hitlers traten, aus dem Lande zu entfernen, weil nur auf diese Weise sicherzustellen ist, dass der deutsche Geist und die deutsche Unterdrückung nicht mehr darin Herr werden.“ Sie ersuche „die Sowjetunion um ihr Einverständnis, die zu entfernenden Deutschen – 200.000 bis 250.000 an der Zahl – nach Deutschland auszusiedeln.“ Was während der kommunistischen Ära ein Tabu war, dafür hat sich das erste frei gewählte ungarische Parlament 1990 in aller Form entschuldigt. Und das ungarische Verfassungsgericht annullierte alle Bestimmungen, auf denen die Vertreibung fußte. Andernorts steht derlei aus, ja trotz EU-Mitgliedschaft sind in Tschechien sowie in der Slowakei die Beneš-Dekrete, in Slowenien die Avnoj-Bestimmungen nach wie vor Bestandteile der geltenden Rechtsordnungen. Seit 1993 ist in Ungarn ein Minderheitengesetz in Kraft. Alle Minoritäten, so auch die deutsche, verfügen seit 1995 über Selbstverwaltungsorgane. Laut der Volkszählung von 2011 bekennen sich knapp 186.000 Personen zur deutschen Nationalität, was 1,9 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. 92.000 geben Deutsch als ihre Muttersprache an. Am 18. Juni 2006 wurde die Landesgedenkstätte zur Vertreibung der Ungarndeutschen auf dem Alten Friedhof zu Wudersch eingeweiht. Dort legte Viktor Orbán, der weithin im Westen verhasste ungarische Ministerpräsident, aus Anlass des von seiner Regierung vor zwei Jahren eingeführten Gedenktags für die vertriebenen Deutschen, den es in keinem anderen ehemaligen Vertreiberstaat gibt, auch dieses Jahr einen Kranz nieder. Mit den Worten „Im Namen der ungarischen
Regierung wünsche ich unseren in Ungarn lebenden deutschen Mitbürgern, dass sie
das Andenken ihrer Ahnen bewahren und ihre Kinder als in der deutschen Kultur
aufgewachsene gute Ungarn erziehen sollen. Ehrfurcht den Opfern. Gebührende
Erinnerung an die Leidenden. Ein Verneigen vor der Erinnerung an die
Unschuldigen. Anerkennung und Ruhm jenen, die den in Not geratenen
Ungarndeutschen geholfen hatten. Alles Gute unseren mit uns zusammenlebenden
deutschen Mitbürgern“, schloss er seine Ansprache – dort, wo 70 Jahre zuvor
alles begonnen hatte.
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