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Rede der Präsidentin Erika Steinbach
MdB Durch Wahrheit zum Miteinander Es gilt das gesprochene Wort! Anrede und Begrüßung!
60 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen, das bedeutet auch 60 Jahre ‚Tag der Heimat‘. Die Verkündung dieser singulären Willenserklärung am 5. August 1950 in Stuttgart war gleichzeitig die Geburtsstunde des ‚Tages der Heimat‘. Seither treffen sich Jahr für Jahr nicht nur hier in Berlin, sondern landauf, landab deutsche Vertriebene zum Heimatgedenken und bekräftigen dadurch den mit der Charta eingeschlagenen Weg des Miteinanders.
Unsere Charta ist zutiefst christlich geprägt. Davon zeugt schon die Einleitung, die da lautet: „Im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen, im Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zum christlich-abendländischen Kulturkreis“, aber auch der Hinweis „daß das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht“ werden solle. Aus keinem einzigen Satz, aus keiner Silbe dieser ersten gemeinsamen Deklaration der Heimatvertriebenen sprach Hass gegenüber den Nachbarvölkern. Im Gegenteil: „Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas“ war als Selbstverpflichtung postuliert.
Im Ganzen gesehen war die Charta ein beträchtlicher Gewinn, sowohl für unsere junge Demokratie als auch für die Vertriebenen. Das Vertrauen in die eigene Kraft, der Wille zur Selbstbehauptung und auch der Durchsetzungswille für rechtliche und soziale Gleichstellung mit den Einheimischen, all das wurde durch diese Proklamation gestärkt. Durch sie haben wir ein moralisches Fundament über den Tag hinaus.
Der 5. August 1950 ist für Deutschland und Europa von unschätzbarer Bedeutung. Hätten sich die Heimatvertriebenen an diesem Tag für einen anderen Weg entschieden, für einen Weg der Gewalt und Abschottung, so sähe Deutschland heute anders aus. Es war ein beeindruckender Akt der Selbstüberwindung und Klugheit. Die Botschaft von damals hat getragen bis heute.
Der Wert unserer Charta lässt sich nur ermessen, wenn man sich in ihre Zeit hineinbegibt und sich vor Augen führt, welchen Weg die Entwurzelten damals leicht hätten nehmen können. Ein solches Zeitdokument schreibt man nicht einfach um und übergibt es einem neuen Geist der Zeit. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Heimatvertriebenen der neuen Bundesländer dieses Manifest auch für sich übernommen haben. Wir alle, die wir nicht daran mitwirken konnten, sind den Verfassern der Charta zu Dank verpflichtet. Ich sage das mit tiefer Überzeugung und voller Bewunderung.
Der Bundesrat hat im Jahre 2003 unsere Forderung, „den 5. August eines jeden Jahres zum Nationalen Gedenktag“ zu erheben, aufgegriffen. Die damalige rot/grüne Bundesregierung hat sich dem genauso wie Bundespräsident Horst Köhler verweigert und die nachfolgenden Koalitionsregierungen haben sich bislang noch nicht damit auseinandergesetzt.
Der Bundesratsbeschluss erfolgte mit schwarz/gelber Ländermehrheit. Was also liegt näher, als nun mit einer dazu passenden Bundesregierung die politische Erkenntnis und Willenserklärung von damals heute durch Handeln umzusetzen. Glaubwürdigkeit von Politik kann sich jetzt erweisen.
Nichts machen wir uns in Deutschland leicht. Keine Reform, keinen Autobahn- oder Startbahnbau. Auch nicht die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses und schon gar nicht ein dauerhaftes Gedenken an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen, und das noch ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt. Unproblematisch sind nur Krötentunnel, Lichterketten oder Aids-Galas. Fast alle wollen dabei sein, und sei es in tiefer Heuchelei. Aber es macht sich einfach gut. Als im Jahre 1999 im Präsidium des BdV darum gerungen wurde, ob und mit welchen Zielsetzungen man eine Stiftung zur Erinnerung an die Vertreibung der Deutschen gründen wolle oder sollte, hatte es sich von uns Beteiligten keiner träumen lassen, was damit in den Folgejahren bis zum heutigen Tage ausgelöst werden würde. Die Vertriebenendebatten der letzten Jahre bis hin zum heutigen Tage sind direkte Folge der von unserem Verband damals getroffenen Entscheidung, die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ (ZgV) ins Leben zu rufen. Und sie sind Teil eines Klärungsprozesses, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Die heftigen Abwehrreflexe, die es nach wie vor gibt, sind das deutlichste Indiz dafür.
Wir haben durch die Gründung des ZgV Beachtliches erreicht. In dieser Woche, am 6. September ist unsere Stiftung 10 Jahre alt geworden. Das sind 10 Jahre hervorragender Arbeit, die dank zahlloser Spenden Privater und Patenschaften von Städten, Gemeinden und Ländern möglich wurde. Nur unserer Stiftung wegen, nur durch den Druck, den wir durch gute Argumente erzeugt haben, gibt es heute die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Durch das Engagement vieler ist es mit Hilfe unserer Stiftung gelungen, in Berlin eine dauerhafte Gedenkeinrichtung auf den Weg zu bringen, die an das Schicksal und Kulturerbe der deutschen Heimatvertriebenen erinnert. Der Weg dahin war außerordentlich schwierig – es war eine Art Extrembergsteigen – und der Weg war nicht ohne Verwerfungen und Steinschlag. Aber wir haben ihn unbeschadet und sehr erfolgreich bewältigt.
Der Bevormundung unseres Verbandes durch Teile der Bundesregierung bei der Besetzung des Stiftungsrates der Bundesstiftung haben wir uns erfolgreich widersetzt. Der Gordische Knoten in der Besetzungsfrage ist durch unsere Initiative aufgelöst worden. Und zwar nicht nach dem Motto „der Klügere gibt nach“, mit dem mancher uns locken wollte. Das hieße letztlich, der Dummheit das Feld zu überlassen. Unser Lösungsvorschlag hatte zum Ziel, Verbesserungen für die Bundesstiftung zu erreichen und das Vetorecht der Bundesregierung zur Besetzung des Stiftungsrates abzuschaffen. Das ist gelungen. Die Bundesregierung hat keine Einwirkungsmöglichkeiten in Fragen der Besetzung mehr, sondern der Deutsche Bundestag entscheidet über eine Liste der von allen berechtigten Organisationen Vorgeschlagenen insgesamt. Damit werden entweder alle oder keiner gewählt.
Aber nicht nur das konnten wir erreichen. Hinzu kommt, dass sich die Zahl unserer Vertreter im Stiftungsrat verdoppelt hat und damit auch prozentual von 23 % auf 29 % gestiegen ist. Außerdem haben wir erreichen können, dass die Ausstellungsfläche im Deutschlandhaus um 50 % erweitert wurde und die wichtigen Unterlagen über Vertriebenenschicksale, die im Bundesarchiv lagern, für die Bundesstiftung verfügbar gemacht werden.
Wir konnten im Gegenzug für den Verzicht des BdV auf meine Benennung für die Bundesstiftung und den BdV viel erreichen. Mehr als die meisten für möglich gehalten haben. Die feindseligen und aggressiven Reaktionen der Vertriebenengegner, die mit Vokabeln wie „Erpressung“ um sich warfen, sind der beste und deutlichste Beleg für unseren Erfolg. Das sind im Übrigen alles Personen, die, wenn es um Vertriebene in Afrika oder anderen Kontinenten geht, gar nicht genug Taschentücher haben, um ihre geheuchelten Tränenströme aufzufangen.
Die nachfolgenden Debatten und Empörungen um zwei der von uns benannten Stiftungsratsmitglieder haben eines auch offenkundig gemacht: Es ging die ganzen Jahre weder um Erika Steinbach noch heute um Arnold Tölg oder Hartmut Saenger, es ging immer darum, ein Projekt das man um keinen Preis haben wollte, zu verhindern.
Äußerungen der von uns als Stellvertreter benannten Mitglieder Arnold Tölg und Hartmut Saenger wurden und werden zum Anlass genommen, diesen beiden und dem BdV insgesamt ein revisionistisches Geschichtsbild zu unterstellen und ihnen den Willen zur Versöhnung abzusprechen.
Diese Versuche sind so durchschaubar wie untauglich, wenn man die verwendeten Argumente betrachtet. Der als untragbar bezeichnete Hartmut Saenger thematisierte in einem Beitrag „Historischer Kontext“ die polnische Politik der Zwischenkriegszeit. Seine sehr knappe Darstellung ist korrekt. Um das festzustellen, muss man weder in polnischen noch deutschen Archiven graben. Der dargestellte Sachverhalt gehört zum Grundwissen eines jeden Zeithistorikers.
Was das zehn Jahre alte Interview unseres ebenfalls angegriffenen Präsidiumsmitglieds Arnold Tölg betrifft, so sind auch seine Feststellungen zu Fragen der Ungleichbehandlung von Zwangsarbeitern unbestreitbar. Es ist ganz einfach Fakt, dass die Verschleppung zur Zwangsarbeit gemäß des Statuts für den Nürnberger Prozess als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft war und deswegen „deutsche Kriegsverbrecher zu recht“ wie Arnold Tölg feststellte, verurteilt wurden, während gleichzeitig Deutsche zur Zwangsarbeit verschleppt und missbraucht wurden und dieser Vorgang straffrei blieb. Es war zweierlei Maß. Die Zahl der Deutschen, die Zwangsarbeit leisten mussten, bezifferte Tölg auf eine Million, von denen Hunderttausende umgekommen seien. Wenn man daran Kritik üben wollte, dann nur deshalb, weil die Zahlen eher zu niedrig als zu hoch angesetzt sind. Der Sachverhalt als solcher wird von keinem seriösen Historiker bestritten.
Der platte Versuch, in einer konzertierten Aktion mit nahezu identischen Argumenten aller Beteiligten den BdV in eine Reihe mit Geschichtsfälschern zu stellen, kehrt sich bei Kenntnis der Fakten gegen die Protagonisten selbst. Dem BdV, mir und den von uns bestellten Stiftungsratsmitgliedern liegt an Wahrhaftigkeit bei der Darstellung von Flucht und Vertreibung. Darauf werden wir sorgfältig achten. Die führenden Mitglieder unseres Verbandes, die Vorsitzenden der Landsmannschaften und der Landesverbände sind durch und durch Demokraten – und zwar alle. Die, die sich an uns abarbeiten wollen, sollten vor ihrer eigenen Haustür kehren. Wenn Frau Künast groß den Mund aufmacht, um uns Mores zu lehren, kann ich ihr nur empfehlen, die antidemokratischen und gewaltgeprägten Lebensläufe mancher Spitzenpolitiker ihrer Grünen-Partei aufzuarbeiten und Bescheidenheit und Demut zu üben. Von der LINKS-Partei ganz zu schweigen. Das sei als Randbemerkung einmal deutlich gesagt.
Unser Stiftungsziel, ein vollständiges und wahrhaftiges deutsches und auch europäisches Geschichtsbild zu erreichen und die Bedeutung des kulturellen Erbes der Vertriebenen für unser Land für alle sichtbar zu machen, ist ein gutes Stück näher gerückt. Damit wird aber unsere eigene Stiftung, das ZgV, auf gar keinen Fall überflüssig. Im Gegenteil. Wir müssen und wir werden mit ihr und durch sie weiter treibende Kraft bleiben und die Bundesstiftung fürsorglich aber auch hartnäckig begleiten. Sie ist schließlich unser Kind. Ich selbst werde sie mit Herzblut gegen alle verteidigen, die sie verwässern, die sie bagatellisieren oder umdeuten wollen.
Heimat, der Tag der Heimat, ist für die deutschen Opfer von Vertreibung nicht Abschottung und geistige Enge, sondern Offenheit und der Blick über die Grenzen. Mit unserem Tag der Heimat erinnern wir an millionenfache Schicksale und an die Heimat. Wir erfahren jeden Tag über die Medien von neuen Vertreibungen weltweit. Wir wollen deshalb auch der heutigen jungen Generation den Wert von Heimat vermitteln und alle Menschen dazu aufrufen, Vertreibungen weltweit zu ächten. Vertreibung war und ist kein legitimes Mittel von Politik, sondern ein Verbrechen! Und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Recht, wenn sie in ihrem Grußwort zu unserer heutigen Veranstaltung schreibt: „Das Unrecht, das 15 Millionen Vertriebene zum Ende des Zweiten Weltkrieges erleiden mussten, geht uns alle an und darf uns niemals gleichgültig sein. Es bleibt Unrecht.“
Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung alljährlich zum Tag der Heimat die Beflaggung der öffentlichen Gebäude anordnet. Millionen Vertriebene mussten vor ihrer Vertreibung Zwangsarbeit leisten. Nicht nur für die Sowjetunion, sondern auch für Polen, die Tschechoslowakei oder Jugoslawien. Mittel-, Ost- und Südosteuropa waren über viele Jahre auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch gigantische Sklavenhalter-Regionen. In ihrem Buch Atemschaukel gibt die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller einen beklemmenden Eindruck davon. Die Toten dieser Lager wurden nicht bestattet, sie wurden einfach namenlos verscharrt. Rund zwei Millionen Deutsche haben bei der Flucht oder durch die Vertreibung in Arbeitslagern oder bei Massakern ihr Leben verloren.
Die Donauschwaben haben in den verschiedenen Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien in Verhandlungen mit lokalen Behörden und auch mit staatlichen Stellen erreicht, das inzwischen an fast allen Orten der früheren großen Todeslager für Deutsche mit riesigen Massengräbern Gedenkkreuze für die Opfer errichtet werden konnten. Auch in unseren Nachbarländern Polen und Tschechien gibt es zahllose oft auch noch unbekannte Massengräber.
Der polnische Historiker Witold Pronobis hat in einem Vortrag 2009 im Zusammenhang mit den in Marienburg bei Baggerarbeiten entdeckten mehr als 2.000 deutschen Opfern darauf hingewiesen. Er stellte fest: „Weitere Orte, an denen sicherlich eine beachtliche Anzahl verstorbener, zu Tode gequälter oder ermordeter deutscher Zivilisten vergraben liegen, sind die zahlreichen Lager und Gefängnisse für Deutsche in den ersten Nachkriegsjahren.“ Er bedauerte, dass es auf diesem Gebiet „keine solide Zusammenarbeit zwischen polnischen und deutschen Historikern“ gibt. Und er sagte sehr deutlich einen Satz, den man sich insbesondere in Deutschland hinter die Ohren schreiben sollte: „Die Suche nach Versöhnung durch Verschweigen, worauf die Mitglieder der polnisch-deutschen Lehrbuchkommission setzen, ist keine langfristige Lösung.“ Wie wahr! Die Verantwortung dafür trägt nicht allein Polen, sondern in weit erheblicherem Ausmaß seit Jahr und Tag die deutsche Politik.
Peter Glotz hat es sehr drastisch auf den Punkt gebracht als er schrieb: „Es wird kein politisches Europa geben, solange man einige europäische Völker wie sanfte Irre behandelt, mit denen offen zu diskutieren der Therapie widerspricht.“ So wie das Klima in Deutschland zur Zeit ist, müsste wohl auch Peter Glotz damit rechnen, aus der SPD ausgeschlossen zu werden, wie man es jetzt mit Thilo Sarrazin plant.
Was die zahllosen Massengräber mit deutschen Opfern betrifft, so muss man leider und beschämt feststellen, dass sich von deutscher Seite keine Bundesregierung über die Jahrzehnte hinweg darum gekümmert hat. Es ist im Grunde genommen nahezu unglaublich, dass die Beisetzung der 2.116 deutschen Toten von Marienburg ohne Beteiligung der Bundesregierung stattfand. Was wäre wohl geschehen, wenn es sich bei diesen Funden um polnische Opfer gehandelt hätte? Man mag es auch kaum für möglich halten, dass bei allen Einweihungen von Gedenkeinrichtungen an Massengräbern Deutscher in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien in all den Jahren zuvor niemals ein deutscher Minister oder gar Kanzler oder Bundespräsident zugegen war. Auch nicht bei der Einweihung des mit Abstand größten Massengrabes mit 12.000 Toten im heute serbischen Rudolfgnad im Jahre 1997. Niemand in unseren Nachbarländern würde ein deutsches Regierungsmitglied und schon gar nicht ein Staatsoberhaupt daran hindern, bei einer Beisetzung oder der Errichtung einer Gedenkstätte für deutsche Opfer Mitgefühl zu zeigen. Für ein solches Zeichen von Mitgefühl und Menschlichkeit hätte jeder Verständnis.
In all unseren Nachbarländern werden seit Jahren an vielen Orten Erinnerungsstätten für ermordete Deutsche errichtet. Witold Pronobis stellte auch hierzu sehr richtig fest: „Massengräber ermordeter deutscher Zivilisten oder Stätten ihres Martyriums erleben langsam ein Gedenken. Im Allgemeinen geschieht dies durch die Initiative von Familienmitgliedern der ermordeten Deutschen oder der Organisation des Bundes der Vertriebenen – aber mit Erlaubnis und der stetigen Zusammenarbeit der örtlichen polnischen Gesellschaft oder der Selbstverwaltung. Man errichtet Obelisken oder Denkmäler mit Tafeln, die eine zweisprachige polnisch-deutsche Inschrift tragen.“
In der Tschechischen Republik ist die Entwicklung sehr ähnlich und noch spektakulärer sichtbar. Ob in Brünn oder Aussig, Vertriebene und engagierte Einheimische tragen dazu bei. Die tschechische Jugendorganisation „Antikomplex“ oder die tschechischen Initiatoren für das Kreuz der Versöhnung in Weckelsdorf, die mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2003 unserer Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ in der Frankfurter Paulskirche ausgezeichnet wurden, sind Beispiele dafür. Das jüngste mutige Dokument der Anteilnahme an deutschen Schicksalen ist der Film „Töten auf tschechische Art“ des Regisseurs David Vondrácek, der zur besten Sendezeit im staatlichen Fernsehen unseres Nachbarlandes gezeigt wurde.
In Serbien geht man einen deutlichen Schritt weiter. Dort wurde die Regierung aktiv. Am 1.9.2009 fasste sie den Beschluss über die Gründung einer Staatskommission zur Auffindung und Markierung aller bislang geheimen Grabstätten, in denen sich sterbliche Überreste der nach der Machtübernahme von Tito 1944 Erschossenen befinden. Das betrifft im Bereich der Vojvodina insbesondere auch die donauschwäbischen Opfer, die im Herbst 1944 ohne Gerichtsurteil in vielen Fällen auf bestialische Weise umgebracht oder erschossen wurden.
Der Goethepreisträger Raymond Aron stellte fest, und in Deutschland muss man wieder und wieder daran erinnern und auch mahnen: „Der Charakter und die Selbstachtung einer Nation zeigen sich darin, wie sie mit ihren Opfern der Kriege und mit ihren Toten umgeht.“ Misst man Deutschland an diesem Satz, so macht allein schon das Beispiel Marienburg deutlich: Es gibt massive Defizite, die bis hin zur Herzlosigkeit reichen. Ich appelliere an die Bundesregierung und den Bundespräsidenten, hier endlich umzusteuern.
Das Leitwort unseres 60. Tages der Heimat lautet: Durch Wahrheit zum Miteinander. Aber gerade die Wahrheit ist es, die viele in Deutschland wie der Teufel das Weihwasser fürchten. Das gilt nicht nur für unser Schicksal. Die jüngsten Empörungswellen zeigen das auf. Nichts kann so schmerzlich sein wie die Wahrheit. Aber in Johannes 8, 32 ist zu lesen: „Nur die Wahrheit macht frei.“ Man muss kein gläubiger Christ sein, um die universelle und zeitlose Gültigkeit dieses oft angeführten schlichten Satzes zu begreifen, auch ohne seinen 2000 Jahre alten, biblischen Ursprung zu kennen.
Die Katastrophe der Vertreibung von fast 15 Millionen Deutschen mit allen nur denkbaren Grausamkeiten und Begleiterscheinungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist schmerzlicher und unauslöschbarer Teil unserer ganzen Nation. Die Opfer und ihre Nachfahren haben ein Anrecht darauf, dass ihr Schicksal, dem sie stellvertretend für alle Deutschen hilflos ausgeliefert waren, im nationalen Gedächtnis bewahrt wird. Die menschliche und kulturelle Dramatik dieser Massenvertreibungen lässt sich weder relativieren noch rechtfertigen. Auch nicht unter Hinweis auf ‚Ursache und Wirkung‘, wie es in der deutschen Politik und in manchen unserer Nachbarländer gang und gäbe ist. Eine Entschuldung derart bewegt sich abseits jeglicher Menschenrechtsnormen. Sie ist latent gespeist aus archaischem Blutrachedenken. Jeder im Land weiß, wer den Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Jeder im Land kennt die Barbareien des nationalsozialistischen Deutschland und das grenzenlose Leid, das dadurch über Europa gekommen ist.
Mein tiefes Mitgefühl gilt diesen Opfern. Niemand aber wird mich, die ich im Deutschen Bundestag für die Universalität von Menschenrechten fechte, mit dem Argument von ‚Ursache und Wirkung‘ davon überzeugen, dass eine Barbarei die andere jemals entschuldigen oder gar rechtfertigen kann und darf. Wer immer dem folgen wollte, wäre als Menschenrechtspolitiker fehl am Platze. Menschenrechte nach zweierlei Maß zu bemessen, ist paradox in sich. Die Würde eines jeden Menschen ist zu bewahren und darf nicht angetastet werden. Auch für deutsche Vertreibungsopfer gelten natürlich Menschenrechte unabdingbar, uneinschränkbar, unrelativierbar.
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