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Klartext aus Zürich Das einzigartige Filmdokument über die Erschießung von 42 meist deutschen Zivilisten in Prag am 10. Mai 1945 zieht Kreise. Ein Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) vom 10. Juni hebt die Diskussion auf eine neue Ebene. Sehr gedämpft fiel zunächst die Reaktion auf die sensationelle Sendung „Töten auf tschechische Art“ aus, die das tschechische Fernsehen am 6. Mai zur besten Sendezeit ausstrahlte. Bis zu zwei Millionen Deutsche kamen zwischen Ende 1944 und etwa 1948 bei Flucht, Vertreibung und Verschleppung ums Leben. Nun waren erstmals Filmaufnahmen des politisch und juristisch unbewältigten Massenmordes aufgetaucht und vor einem Millionenpublikum gezeigt worden − und niemand schien es zu kümmern. Auch nicht die Tschechen selbst: Bei der Parlamentswahl 14 Tage später spielte das Thema „Sudetendeutsche“ anders als in früheren Jahren keine nennenswerte Rolle. Immerhin berichtete der „Spiegel“ mit ein paar Wochen Verzögerung über die Sensation, und das ZDF ließ verlauten, es wolle den Film in Übersetzung zeigen. Weit klarer und intensiver hat sich nun die „Neue Zürcher Zeitung“, eine der angesehensten Tageszeitungen der Welt, des sperrigen Themas angenommen. Unter der Überschrift „Der Krieg nach dem Krieg − Mord an den Sudetendeutschen − noch immer weigern sich die Tschechen, Verantwortung zu übernehmen“, berichtet das Blatt über die damaligen Ereignisse und den heutigen Umgang mit ihnen. Unter den 42 Ermordeten seien höchstwahrscheinlich auch Schweden gewesen, berichtet die „NZZ“ (ohne Quellenangabe) und erklärt: „Man unterschied nicht zwischen Naziopfern und Nazitätern. So mussten beispielsweise des Tschechischen nicht mächtige Holocaust-Überlebende ebenso wie Deutsche eine weiße Binde tragen, die sie als Feinde auswies.“ Autor Stephan Templ bedauert das Verhalten der Völkergemeinschaft in dieser Sache: „Es gibt keinen internationalen Druck auf Tschechien, die Greueltaten von damals zu klären. Im Gegenteil: Man gab bei den Verhandlungen zum Lissabonner Vertrag Präsident Klaus nach und strich einen Paragraphen, der Eigentumsklagen gegen den tschechischen Staat ermöglicht hätte.“ Templ führt aus, wie im Gebiet der heutigen Tschechischen Republik nacheinander von den deutschen Besatzern die Juden, „unter der Regie der Tschechen die deutschsprachigen Bewohner“ und dann 1948 die tschechische Bourgeoisie enteignet worden seien. „Was 1968 noch übrig war und was die politischen Emigranten hinterließen, fiel den Günstlingen des Regimes zu.“ Dann zieht die „NZZ“ ein Resümee, das die Eigentumsfrage als eine offene Frage der Politik des Jahres 2010 charakterisiert: „Unzählige Tschechen schlafen noch heute in den Betten der ermordeten Juden, unzählige ausländische Botschaften befinden sich in einst ,arisierten‘, aber nie restituierten Villen, die der Staat als keineswegs gutgläubiger Erwerber vermietet. Der verbreitete tschechische Komplex, alles befinde sich in fremder Hand und Tschechen seien nur Gäste im eigenen Land, verstellt den Blick auf das eigene Handeln, auf das eigene Geschichtsbild. Nur so ist es erklärbar, dass eine Pilsener Fabrik nach der Wende an die tschechischen Enteigner restituiert wurde und nicht an die in Australien lebenden Nachkommen des ermordeten jüdischen Besitzers.“ Das Schweizer Blatt wendet dann den Blick wieder
dem Ort des Massakers vom 10. Mai 1945 zu. Der sehe „noch so aus wie bei
Kriegsende. Die große ungemähte Wiese direkt an der Ausfallstraße zum
internationalen Flughafen fällt auf – denn Bauland ist hier rar und sehr
gefragt. Mit gutem Grund begann man hier nicht zu graben.“
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_________________________________ www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/der_krieg_nach_dem_krieg_1.6018586.html; |