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Zentrum für Vertreibung Von Thomas Schmid Es steckt eine
eigentümliche Kälte in der Haltung der Gesellschaft zur Vertreibung. Warum ist
der Schmerz, den viele Deutsche empfinden, der Mehrheit offensichtlich lästig?
Warum ahnt sie nichts von seiner nagenden Kraft? Sicher hat es mit der
Ostabwendung zu tun, die die Geschichte der Bundesrepublik begleitete.
In dieser Umgebung wäre das Zentrum gegen Vertreibungen, für das Erika Steinbach seit mehr als zehn Jahren kämpft, gut aufgehoben. Es soll – nomen est omen? – in das Deutschlandhaus in Berlin einziehen. Geeignet ist die Gegend, weil sie von Geschichte imprägniert ist – und heute etwas Entlegenes, leicht Zerzaustes hat. Schräg gegenüber steht die Ruine des Anhalter Bahnhofs, dessen prachtvoller, technisch anspruchsvoller Neubau 1880 in Anwesenheit von Kaiser und Kanzler eingeweiht wurde, im Volksmund hieß er „Tor zum Süden“. Er lag einmal mitten im urbanen Getriebe der Hauptstadt, die Leuchtreklame, die seit 1931 auf dem Dach des Deutschlandhauses für Odol warb, war eine regelrechte Touristenattraktion. Doch es war derselbe Anhalter Bahnhof, von dem aus ab 1942 insgesamt fast 10.000 Juden in sogenannten Alterstransporten in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte der schwer beschädigte Bahnhof 1952 seinen nur noch spärlichen Betrieb ein, sieben Jahre später wurde er gesprengt, nur Bürgerprotesten ist zu verdanken, dass wenigstens die Frontwand des Sackbahnhofs stehen blieb. Die Gegend, die heute einen unschlüssigen Charakter hat, aber längst nicht mehr so räudig wirkt wie einst viele mauernahe Zonen Berlins, steht für gute und schlechte Seiten deutscher Geschichte. Hier also soll das Zentrum gegen Vertreibungen hin – sofern es denn wirklich kommt. Es sieht nämlich so aus, als würde sich das Projekt nie aus dem giftigen Nebel der Querelen und Verdächtigungen befreien können, der es von Beginn an umgibt. Längst ist aus ihm eine Prestigefrage geworden, die sich verselbstständigt hat. Wer an das Zentrum denkt, denkt nicht zuerst an die Vertreibungen, eine der großen Kollektiverfahrungen der Deutschen und vieler anderer Völker im 20. Jahrhundert. Sondern man denkt an Erika Steinbach, diese hartnäckige, strategisch kühl planende Frau, der es gelungen ist, ihr Vorhaben gegen größte Widerstände auf den Weg zu bringen, ja durchzusetzen – und die doch zugleich selbst das größte Hindernis auf dem Weg zu dessen Verwirklichung zu sein scheint: überlebensgroß, Erika Steinbach. Man hätte das Zentrum schnell und gut und übrigens auch im Einvernehmen mit unseren östlichen Nachbarn verwirklichen können. Doch dem Vorhaben wohnte von Anfang an die Logik der Eskalation inne, und zwar nicht wegen Frau Steinbach. Sondern weil im Grunde – von den Betreibern abgesehen – niemand es wollte. Allen erschien es überflüssig, störend. Es bog die Aufmerksamkeit zurück auf etwas zwar Schlimmes, um das man aber nicht allzu viel Aufhebens machen wollte. Das Thema war ja kontaminiert, wer es aufbrachte, geriet ziemlich schnell in den Verdacht des Revisionismus, des Abwägens zwischen Holocaust und Vertreibung. Es war ein schmutziger, sperriger, verdorbener Gegenstand. Und es nützte auch nichts, dass der SPD-Politiker und -intellektuelle Peter Glotz – ganz und gar kein nationalistischer Deutscher, aber ein aus Eger (heute Cheb und in der tschechischen Republik gelegen) Vertriebener – von Anfang an dabei war. Hätte man nicht nachdenklich werden können, dass ein so erznüchterner Mensch wie Peter Glotz, der sich jede Sentimentalität strikt verbot, in späten Jahren dem schwierigen Problem der verlorenen Heimat vorsichtig auf der Spur war? Der sich strikt weigerte, die Vertreibungserfahrung zu politischen Nachhutgefechten zu nutzen. Und der im Vorwort zu seinem Buch „Vertreibung“ doch schrieb: „Das Thema verlangt eine neue – offenere – Sprache. Wir müssen unsere Verletzungen zeigen, damit die andere Seite die ihren zeigt. Nur so ist Verständigung möglich. In vielen Kreisen – gerade in den gutwilligen – hat sich die Meinung durchgesetzt, Takt bedeute, dass man sich auf ein politisch korrektes Gesäusel beschränke, ein allgemeines, niemand schmerzendes Versöhnungsgerede.“ Als ziemlich spät in der Geschichte der Bundesrepublik die Einsicht wuchs, dass die Deutschen planvoll und ohne jede Rücksicht den Genozid am jüdischen Volk betrieben hatten, machte sich allmählich ein ernst empfundenes Entsetzen breit. Und es sieht so aus, als sei dieser ungeheure Zivilisationsbruch inzwischen tief im Bewusstsein der Mehrheit angekommen. Es ist wirklich Empathie im Spiel. Die Zahl derer, die sich bis ans Ende ihrer Tage für dieses deutsche Menschheitsverbrechen auch dann schämen, wenn sie Nachgeborene sind, ist beträchtlich. Umso mehr verwundert es, dass der Transfer dieses Empathievermögens auf eine dramatische Erfahrung des eigenen Volkes, die Vertreibung, kaum möglich zu sein scheint. Hier ist es eher so, dass das Sache der Betroffenen (für die es heute die seltsame Bezeichnung „Erlebnisgeneration“ gibt) und ihrer Familien bleibt. Wie kam das? Sicher hat es mit der Ostabwendung zu tun, welche die Bewusstseinsgeschichte der Bundesrepublik begleitete. 1945 endete die so glanzvolle wie auch problematische Geschichte der deutschen Ostsiedlung. Ein Traditionsstrang brach gewaltsam ab, eine fühlbare Realität wurde Geschichte, Erinnerung, wurde etwas, das fortan weit weg war. Im Westen hat man das wohl leichter verkraftet, als das den Vertriebenen selbst möglich war. So gerne wir heute die Geschichten der gelungenen Integration hören und – siehe vor allem Bayern – uns vergegenwärtigen, dass es oft die fremden Deutschen waren, die dem Wiederaufbau den ganz besonderen Schwung gaben: Es bleibt die Tatsache, dass die Vertriebenen, die lange Jahre als solche für jedermann zu erkennen, zu erfühlen waren, mit ihrer bloßen Existenz einen Verlust, ein Scheitern, eine Amputation verkörperten. Viele wollten da nicht so genau hinschauen, die Leute sollten doch bitte schnell ankommen und ihren alten Leidenskram wegschließen und untereinander pflegen. An die Vertreibung der Deutschen zu erinnern und Schmerz darüber zu empfinden gilt vielen Deutschen als rückwärtsgewandt. Wer reif ist und die Lektionen der Geschichte gelernt hat, der kann und soll sich – so ein nicht eben schmaler Konsens – vom eigensinnigen Beharren auf altem Leid befreien. Es steckt eine eigentümliche Kälte in dieser
Haltung. Und eine Ahnungslosigkeit gegenüber der nagenden Kraft des
Verlustschmerzes. Vielleicht war es angesichts dieser Härte nur einer Frau wie
Erika Steinbach, die auch Härte kennt, möglich, das Zentrum gegen Vertreibungen
bis an die Schwelle der Verwirklichung zu treiben.
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